Homestory #21/2025
In der Redaktion Ihrer Lieblingszeitung sorgt der alljährliche Eurovision Song Contest für wenig Begeisterung. Immerhin ein Kollege war einst redlich bemüht, sich den Musikwettbewerb bei einer öffentlichen Übertragung anzuschauen, hat dann aber doch rauchend vorm Festsaal stehend die ganze Show verpasst.
Kaum verpassen ließen sich in diesem Jahr die Beschwerden über die Teilnahme Israels, genauso wie die darüber, dass der Wettbewerb zu politisch geworden sei. Die Beschwerden sind noch kaum verklungen, da wirbt Russland für eine Gegenveranstaltung, den Intervision Song Contest, eine angeblich entpolitisierte Alternative zum ESC. Der Musikwettbewerb solle am 20. September in der Live-Arena in Moskau stattfinden, berichtete das russische Staatsfernsehen am Montag.
Russland wurde 2022 wegen seines Angriffskriegs gegen die Ukraine vom ESC ausgeschlossen. Da das Spektakel in Russland jedoch viele Anhänger hat, ordnete Präsident Wladimir Putin die Wiederbelebung des Intervision genannten Schlagerwettbewerbs aus der Sowjetzeit an. Er fand ursprünglich 1965 bis 1968 und erneut zwischen 1977 und 1980 statt. An ihm nahmen zunächst Länder des Ostblocks an, darunter Ungarn und die DDR, im Laufe der Jahre dann auch Portugal, die Schweiz und Spanien. 1981 wurde die Intervision aufgrund zunehmender politischer Unruhen abgesagt, insbesondere wegen des Aufstiegs der Solidarność-Gewerkschaftsbewegung in Polen. 2008 gab es ein kurzes Comeback unter russischer Ägide, aber weitere Shows kamen nie zustande.
Nichts verspricht mehr »entspannte unpolitische Musikshow«, als die höchsten Kreml-Beamten mit der Leitung dieses Events zu beauftragen.
Im Februar dieses Jahres holte Putin die Intervision wieder aus der Versenkung und unterzeichnete ein entsprechendes Dekret, um die »internationale kulturelle und humanitäre Zusammenarbeit zu entwickeln«. Darin ernennt Putin den stellvertretenden Ministerpräsidenten Dmitrij Tschernyschenko zum Vorsitzenden des Organisationskomitees und den stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, zum Vorsitzenden des Aufsichtsrats – denn nichts verspricht mehr »entspannte unpolitische Musikshow«, als die höchsten Kreml-Beamten mit der Leitung zu beauftragen. Mehr als 20 Staaten haben angeblich ihre Teilnahme bestätigt, darunter China, Indien sowie Länder aus Lateinamerika und dem Nahen Osten.
Mit kitschigen Darbietungen, die oft LGBT-Interpreten feiern, und nachbarschaftlichen Abstimmungen gilt der ESC, früher bekannt als Grand Prix Eurovision, als eine Art Party der europäischen Musikdiplomatie. Das Ziel der Intervision hingegen lautet: Den Respekt vor »traditionellen universellen, spirituellen und familiären Werten« zu betonen. Der beliebte ultranationalistische Sänger Jaroslaw Dronow, mit Künstlernamen Shaman, soll Russland vertreten. Shaman sagte, er sei »sehr glücklich und dankbar«, von seinem Land ausgewählt worden zu sein. Dort ist er für Hits wie »Ja russkij« (»Ich bin Russe«) und »Moj Boj« (»Mein Kampf«) bekannt. Auch diesen Auftritt rauchend zu verpassen, empfiehlt sich von selbst.