29.05.2025
Wegen eines antisemitischen Postings muss der Kommentator Gary Lineker die BBC verlassen

Antisemitismus glatt übersehen

Der englische Fußballmoderator Gary Lineker verlässt die BBC, nachdem er ein antisemitisches Posting weiterverbreitet hatte.

»Ey, ich sag euch was, der Fußball ist wieder da! War das gut genug?« Mit diesen Worten begann 1999 die Karriere des ehemaligen englischen Fußballnationalspielers Gary Lineker als Fußballmoderator der BBC. Für seine Moderation des »Match of the Day« – des Spiels des Tages – bekam der ehemalige Spieler von Leicester City, Everton, Tottenham und Barcelona eine jährliche Gage von umgerechnet über einer Million Euro, das Spitzengehalt der BBC, die sich zum größten Teil aus einer Rundfunkgebühr finanziert. Ganze 26 Jahre später ist schließlich klar: Lineker war nicht gut genug.

Dass der inzwischen 64jährigen Lineker, der als Fußballer angeblich nie die Rote Karte zu sehen bekam, ein Instagram-Posting der Gruppe Pal­estine Lobby teilte, führte nun für zum finalen Platzverweis seitens der BBC. Das Posting beinhaltete eine Videoaufnahme, gesprochen von Diana Buttu, ehemals Beraterin der palästinensischen Organisation Fatah. »Alles über Zionismus in zwei Minuten«, versprach das Video und erklärte unter anderem, dass Zionismus die Besiedlung Israels durch Jüdinnen und Juden auf Kosten von dort heimischen Palästinensern bedeute. Zur Charakterisierung dieser Jüdinnen und Juden zierte den Post deutlich sichtbar das Emoji einer grauen Ratte, die direkt aus dem Propagandakatalog der Entmenschlichung und des Judenhasses der Nazis hätte stammen können.

Es folgten Empörung, kontroverse Diskussionen und zwei Tage später eine Stellungnahme Linekers: Die Ratte sei ihm nicht aufgefallen, behauptete er und entschuldigte sich. »Ich habe auf Instagram Material weiterverbreitet, von dem ich später lernte, dass es anstößige Verweise enthält«, sagte er. Das tue ihm äußerst leid, denn, so versicherte er: »Ich hätte niemals bewusst etwas Antisemitisches geteilt.« Antisemitismus widerspreche seinen Überzeugungen. Er habe den Post gelöscht, sofort nachdem er darauf aufmerksam gemacht wurde, was er bedeute.

»Gary Lineker einen Abschied mit mutmaßlich vielen Lobeshymnen zu erlauben, sendet eine klare Botschaft an alle Juden und Beitragszahler: Antisemitismus kümmert die BBC nicht.« Alex Hearn, Co-Direktor der Gruppe Labour Against Antisemitism

Doch vielen, darunter Phil Rosenberg, dem Präsidenten des britisch-jüdischen Dachverbands Board of Deputies of British Jews, reichten diese Worte nicht. Er betonte, es habe sich nicht um ein einmaliges Versehen Linekers gehandelt. Der Starkommentator war schließlich bereits vorher aufgefallen, und auch nicht nur mit Posts über Gaza, sondern mit einem ganzen Katalog politischer Aussagen, von denen jede einzelne die strengen Richtlinien der BBC verletzt habe. Diese verlangen nämlich von den Angestellten, öffentlich strikt neutral aufzutreten.

2016 und 2018 hatte Lineker sich in Tweets gegen den EU-Austritt positioniert. 2020 sprach er sich für Black Lives Matter aus und warb für eine Schulmahlzeiten-Kampagne des Fußballspielers Marcus Rashford, in der die damalige konservativen Regierung Boris Johnsons verurteilt wurde. 2023 verglich er die Politik der immer noch von den Tories gestellten Regierung Rishi Sunaks gegen Bootsflüchtlinge mit dem »Dritten Reich«, was ihm schließlich eine zeitweilige Suspendierung wegen des Verstoßes gegen die BBC-Vorschriften einhandelte.

Doch es geht nicht nur um das, was er schrieb, sondern auch um das, was er nicht schrieb. Nicht nur schwieg er am Tag des Massakers des 7. Oktober 2023, sondern auch wenige Tage danach, als der englischen Fußballverband FA anlässlich eines Länderspiels gegen Italien nicht erlaubte, das Wembley-Fußballstadion zum Zeichen der Solidarität mit den Opfern des Hamas-Terrors blau-weiß anzustrahlen. Ein Jahr später schwieg Lineker ebenfalls, als in Amsterdam gezielt Jagd auf Fans von Maccabi Tel Aviv Fußballfans gemacht wurde.

Hingegen teilte Lineker bereits einen Monat nach im November 2023 einen Tweet, in dem behauptet wurde, dass der israelische Gegenangriff das Lehrbuchbeispiel eines Genozids sei. Lineker gab zu diesem auf ein Video verweisenden Posting den empfehlenden Kommentar: »Gut investierte Zeit für jeden.«
Immer wieder und immer öfter befasste sich Lineker danach mit dem Thema Israel. Er teilte eine Aufforderung, Israel von allen internationalen Sportveranstaltungen auszuschließen und bezeichnete in einem Interview den Angriff auf Israel am 7. Oktober verharmlosend als »das Hamas-Ding«.

Als die BBC sich im Februar entschied, eine von ihr finanzierte Dokumentation über Kinder im Krieg in Gaza nicht mehr zu zeigen, weil sich der 13jährige Hauptprotagonist nach der ersten Ausstrahlung als Sohn eines Hamas-Repräsentanten entpuppt hatte, der dazu auch noch bezahlt worden war, sprach Lineker von der »Kapitulation vor Lobbyisten« – ein Anklang an antijüdische Verschwörungsphrasen. Bereits voriges Jahr rechtfertigte sich der Fußballmoderator, der in sozialen Medien über 1,2 Millionen Personen erreicht, dass seine Posts zum Israel-Gaza-Krieg lediglich gegen die israelische Regierung gerichtet seien, was er in einem Interview mit der britischen Zeitung Daily Telegraph Anfang Mai dieses Jahres wiederholte. Er fügte an. »Ich fühle einfach mit den Palästinensern.«

Hinter den Kulissen wuchs unterdessen der Druck auf die BBC, Lineker zu entlassen. Bereits im Dezember 2024 wurde angekündigt, dass er seine Rolle als Starmoderator des »Match of the Day« aufgeben werde. Gleichzeitig wurde betont, dass er als Kommentator für die Fußballweltmeisterschaft 2026 eingeplant bleibe.

Am 19. Mai, eine Woche nach dem Ratten-Posting, verkündete BBC-Generalintendant Tim Davie: »Gary hat zugegeben, dass er einen Fehler gemacht hat. Wir haben deshalb vereinbart, dass er auf seine Moderatorenrolle nach dieser Saison verzichten wird.« Insidern zufolge hatte zuvor der BBC-Vorsitzende Samir Shah Druck auf Davie ausgeübt. Der ließ dieser Aussage indes Komplimente folgen: Linekers Leidenschaft und sein Wissen hätten den Sportjournalismus positiv beeinflusst und ihm Respekt von Sportfans aus dem Vereinigten Königreich und darüber hinaus eingebracht. Selbst im Zuge seiner Entlassung wegen eines antisemitischen Postings behandelte er Lineker also äußerst freundlich und tat zudem so, als gehe es nur um einen einzigen geteilten Post.

Lineker wandte sich dann in einem Video auf Instagram an seine Follower, in dem er seine Erklärung aus der Vorwoche wiederholte: »Ich weiß, dass ich mein Leben lang für Minderheiten und humanitäre Anliegen einstand und gegen alle Formen des Rassismus, natürlich auch gegen den Antisemitismus, für welchen ich keinen Platz habe und für den es nie einen Platz geben sollte.« Daher sei es am besten, wenn er als BBC-Moderator abtrete. Auch dieses Video endete mit einem positiven Rückblick.

Der Direktor des London Centre for the Study of Contemporary Antisemitism, David Hirsh, sieht diese Art des Abgangs sehr kritisch. »Wenn sich jemand entschuldigt, muss auch klargestellt werden, wofür, sonst ist es wertlos«, sagte er der Jungle World. Hirsh glaubt, dass Lineker nicht verstanden habe, was ihm eigentlich vorgeworfen wurde.

Aber warum dauerte es so lange, bis Lineker zur Verantwortung gezogen wurde? Alex Hearn, der Co-Direktor der Gruppe Labour Against Antisemitism, teilte der Jungle World mit, dass sich »sozusagen gute Menschen antisemitisch verhalten können, ohne dass dies ihrer Glaubwürdigkeit in Sachen Antirassismus schadet«. Mittlerweile sei es so weit, »dass man auf den Straßen Londons Hakenkreuz-Plakate schwenken kann, ohne dass einen jemand zur Rede stellt – solange es im Rahmen einer Kundgebung gegen Israel geschieht«. Antisemitismus werde in Großbritannien »im Vergleich zum Konflikt in Gaza als unwichtig abgetan« – als ob der Konflikt an sich nichts mit Antisemitismus zu tun habe. Dass Lineker trotz einer womöglich drohenden polizeilichen Ermittlung die BBC im Prinzip zu seinen eigenen Bedingungen verlassen durfte, hält Hearn für problematisch: »Ihm einen Abschied mit wahrscheinlich vielen Lobeshymnen zu erlauben, sendet eine klare Botschaft an alle Juden und Beitragszahler: Antisemitismus kümmert die BBC nicht.«

Der orthodoxe Rabbiner Y. Y. Rubinstein, der 2022 seine langjährige Tätigkeit bei der BBC mit den Worten »Kein Jude, der sich selbst etwas wert ist, kann hier arbeiten« beendete, sagte im Gespräch mit der Jungle World, dass die Trennung von Lineker und der BBC schon »lange überfällig« gewesen sei. Allerdings gehe er davon aus, dass viele Mitarbeiter der BBC und im britischen Medienbereich generell Linekers Verabschiedung als Ungerechtigkeit empfinden würden. Tatsächlich sprach sich eine ganze Reihe Prominenter selbst nach dem geteilten Ratten-Posting für ihn aus. Rubinstein überrascht das nicht: »Linekers Haltung zu Israel und vielen anderen politischen Themen steht im Einklang mit weiten Teilen der britischen Medien.«

Sein Blick auf den Sender BBC ist entsprechend pessimistisch: »Wer nicht entlang der Linie der britischen Zeitung Guardian denkt, hat bei der BBC keinerlei Karriereaussichten. Meinen Erfahrungen nach ganzen 25  Jahren bei der BBC zufolge leidet der Sender institutionell und unheilbar an Antisemitismus.« Rubinstein glaubt, dass Lineker am Anfang seiner Karriere tatsächlich gegen jegliche Ausgrenzungen engagiert gewesen sei, doch nicht nur Teenager, sondern auch Erwachsene durch das Internet radikalisiert werden könnten – durch antisemitische Verschwörungslügen, die sich vom Mittelalter bis hin zur Jetztzeit und Gary Lineker reichen.