29.05.2025
Elon Musk und anderen US-Rechten gilt Mitgefühl als selbstmörderisch

Fehler im System

Elon Musk und Ideologen des »Dark Enlightenment« wie der kanadische Marketingprofessor Gad Saad erklären das Mitgefühl zum neuesten »woke mind virus«: toxisch und selbstmörderisch. Zweiter Teil der Serie »Dark Maga«.

»Ich war schockiert von dem Ausmaß an Hass und Gewalt, das ich von der Linken, von den Demokraten erlebt habe. Ich dachte, die Demokraten seien die Partei des Mitgefühls und der Fürsorge. Und dann brennen sie Autos ab, werfen Molotow-Cocktails auf Autohäuser, schießen auf Autohäuser, zerstören Teslas.« Füllen sich die Augen von Elon Musik etwa gerade mit Tränen, während er in einem Interview mit dem rechtspopulistischen Talkshow-Moderator Sean Hannity das Unrecht beklagt, das ihm und seiner Firma widerfahren ist? Dafür, dass die Demokratische Partei an den Angriffen auf Tesla-Autohäuser beteiligt war, gibt es übrigens keinerlei Beweise.

Musk hat mit seinem Department of Government Efficiency (Doge) doch nur bei Massenentlassungen etwa 250.000 Arbeitsplätze in der Bundesverwaltung der Vereinigten Staaten vernichtet. Gelder für Flugsicherung, Katastrophenschutz und Wetterdienst, Sozialämter, Grundlagenforschung, Entwicklungshilfe und die Nasa hat Musk so zusammengestrichen, dass deren Funktionsfähigkeit in Frage gestellt ist. Dabei hat er besonders die Handlungsfähigkeit derjenigen Behörden zerstört, die seine eigenen Unternehmen überwachen, wie etwa die Verkehrsbehörde, die Sicherheitsprobleme bei Space X untersuchte, oder die Food and Drug Administration (FDA), die an klinischen Studien zu Neuralink arbeitet, Musks Unternehmen für Gehirn-Computer-Schnittstellen. Für sein Zerstörungswerk lobte er sich in seinem Microblogging-Dienst X in hämischen Kommentaren.

Der »Atlantic«-Reporter Adam Serwer schrieb schon 2018 über die erste Regierung Trump: »The Cruelty is the Point« – Macht werde bewusst auf grausame Weise ausgeübt, um politische Gegner und Andersdenkende einzuschüchtern.

Und nun dieser Hass!

Ein Stichwort in Musks Fernsehlamento lässt aufhorchen: der Appell an das Mitgefühl (empathy) von einer Person, die selbst keinesfalls für Ihre Mitmenschlichkeit bekannt ist, wie zum Beispiel die gnadenlosen Arbeitsbedingungen und die überdurchschnittliche hohe Zahl von Unfällen in seinen Tesla-Werken belegen. Der Begriff führt in eine sinistre Gedankenwelt, die für die zweite Amtszeit von Donald Trump und die »Dark Maga«-Bewegung eine ähnlich wichtige Rolle spielen wie das neoreaktionäre »Dark Enlightenment«.


Denn Musk selbst hatte noch vor kurzem Mitgefühl zur »fundamentalen Schwäche der westlichen Zivilisation« erklärt – darunter macht es ein Visionär nicht. In einem dreistündigen Laber-Flash im Podcast des ehemaligen Kampfsportlers Joe Rogan erläuterte er Ende Februar nicht nur einmal mehr die Verschwörungstheorie von der »Großen Umvolkung«, die die Demokraten geplant hätten, und dass es in Kalifornien »praktisch illegal« sei, die Republikaner zu wählen. Nein, das staunende Publikum erfuhr auch, dass »Mitgefühl einen Programmierfehler in unserem System« ausnutze und dass es »als Waffe verwendet werden« könne, um uns »wie einen Roboter zu steuern«.

Solche Erkenntnisse verdankt Musk seiner Bekanntschaft mit Gad Saad, einem Neuzugang unter den Wortführern des neoreaktionären »Dark Enlightenment«. Dessen Parole von der suicidal empathy (selbstmörderisches Mitgefühl) übernimmt Musk im Podcast wörtlich. Der kanadische Marketingprofessor Saad gehört zu einer unheiligen Allianz, die in Nordamerika versucht, die urchristliche Tugend der Nächstenliebe zu etwas Negativem umzudeklarieren. Da ist zum Beispiel die Influencerin und Podcasterin Allie Beth Stuckey, die in ihrem im vergangenen Jahr erschienenen Buch »Toxic Empathy: How Progressives Exploit Christian Compassion« in dasselbe Horn wie Saad stößt: Mitgefühl sei »ein Werkzeug der Manipulation durch linke Aktivisten, die Menschen dazu drängen, progressive Positionen zu vertreten, um empathisch zu sein«. Der Pfarrer Joe Rigney aus Idaho wiederum beschreibt in seinem Buch »The Sin of Empathy: Compassion and Its Counterfeits« Mitgefühl als »ein menschenfressendes Unkraut, das Familien, Beziehungen, ja sogar Kirchen und Gemeinden verschlingt«. Der Krieg der Rechten gegen die Empathie hat dabei oft einen frauenfeindlichen Unterton, denn diese wird häufig als eine »typisch weibliche« Eigenschaft dargestellt.

Aber ist Mitgefühl mit den Schwächsten und Bedürftigsten nicht die zentrale Botschaft des Neuen Testaments? Hat Jesus nicht dem Matthäus-Evangelium zufolge auf Nachfrage des Pharisäers gesagt, dass man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst? Heißt es nicht in der Bergpredigt: »Wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete auch die andere dar«? Gilt die wertschätzende, helfende caritas nicht immer als die christliche Tugend?

Fast könnte man glauben, die Umwertung des Mitgefühls von einer christlichen Tugend zu einer Sünde durch diese komischen Heiligen sei eine Übung in gaslighting – also der Manipulationstechnik, bei der man so lange offensichtliche Tatsachen bestreitet, bis der Gegenüber an seinem Verstand zu zweifeln beginnt. Schwarz ist weiß. Hell ist dunkel.

Oder: »Krieg ist Frieden. Freiheit ist Sklaverei. Unwissenheit ist Stärke«, wie es in George Orwells dystopischem Roman »1984« heißt, wo diese Art von mind fuck als Herrschaftstechnik funktioniert. Die Umkehrung der Realität durch die allmächtige Partei und den Großen Bruder dient dazu, die Menschen so zu verwirren, dass sie die Verlautbarungen der Partei nicht mehr hinterfragen.

Möglicherweise überschätzt man den strategischen Weitblick der gegenwärtigen US-Regierung, wenn man ihr solche Absichten unterstellt. Wie es schwer vorzustellen ist, dass Donald Trump jemals von den Vordenkern des »Dark Enlightenment« gehört hat, so dürfte ihm wohl noch nie eines der erwähnten Bücher untergekommen sein. Bei Trump ist die Ablehnung von Mitgefühl schlicht die tiefsitzende Charaktereigenschaft eines narzisstischen Egoisten. Als Mariann Edgar Budde, die Bischöfin der anglikanischen Diözese von Washington, D.C., ihn beim Gottesdienst zu seiner Vereidigung zu Gnade und Erbarmen mit Flüchtlingen und Minderheiten ermahnte, kanzelte Trump sie als »radikale linke Hardlinerin und Trump-Hasserin« ab und forderte eine Entschuldigung von ihr und ihrer Kirche. Dafür braucht es keine theologische Debatte, sondern lediglich die Selbstgerechtigkeit und die Großkotzigkeit eines abgehobenen Menschen, der in seinem Leben kaum je ein Wort des Widerspruchs ertragen musste.

Wenn man nach der geistigen Grundlage sucht, auf deren Basis die US-Regierung mit sadistischer Freude unbescholtene Bürger in einem Foltergefängnis in El Salvador verschwinden lässt und ihre illegalen Abschiebeorgien dann in den Social-Media-Kanälen des Weißen Hauses mit Memes und ASMR-Videos abfeiert, sollte man sich wohl eher an die Beobachtungen des Atlantic-Reporters Adam Serwer halten, der schon 2018 einen Essay über die erste Regierung Trump mit dem Titel versah: »The Cruelty is the Point«, die Grausamkeit ist der Kern der Sache.

Nach Serwers Ansicht zielten die Machenschaften der ersten Regierung Trump weniger darauf ab, politische Ziele zu erreichen oder Probleme zu lösen, als vielmehr darauf, Macht bewusst auf grausame Weise auszuüben, um politische Gegner und Andersdenkende einzuschüchtern und die eigene Anhängerschaft an sich zu binden. Dass die Regierung Trump 2018 im Rahmen einer sogenannten Null-Toleranz-Politik Tausende von Migrantenfamilien auseinanderriss und selbst Kinder zeitweise in Lagern und sogar in Käfigen einkerkerten, scheint heute nicht nur in den USA weitgehend vergessen, wenn nicht gar als normal akzeptiert zu sein. Viele der damals verhafteten Kinder haben wegen der chaotischen Vorgänge und wegen der Inkompetenz der beteiligten Behörden ihre Eltern bis heute nicht wiedergesehen.

Trumps Vize J. D. Vance scheint die öffentliche Abmahnung durch die Bischöfin jedoch stärker gewurmt zu haben. In einem Interview mit Fox-News-Moderator Sean Hannity erwähnte er einige Wochen danach die christliche Maxime der ordo amoris, also der »Ordnung der Liebe«, ein Konzept, das auf antike und mittelalterliche Kirchenväter wie Augustinus und Thomas von Aquin zurückgeht. Vance – der selbst erst vor kurzem zum katholischen Glauben übergetreten ist – erläuterte als frischgebackener Religionsethiker, dass nach seinem Verständnis der christlichen Glaubenslehre zuerst die Familie, dann Nachbarn, dann die Mitbürger und erst zuletzt der Rest der Welt zu lieben sei. Die far left habe diese Reihenfolge umgekehrt. Diese Sichtweise hat Papst Franziskus scharf kritisiert, der noch kurz vor seinem Tod in einem Schreiben an die US-Bischöfe betonte, dass wahre christliche Liebe universell sei. Auch der neue Papst Leo XIV. hat bisher wenig Neigung gezeigt, die Verdrehungen des Konzepts der christlichen Nächstenliebe durch nordamerikanische Kulturkrieger hinzunehmen.

Dass über so etwas überhaupt diskutiert wird, zeigt, wie kaputt die politische Debatte in den USA inzwischen ist. Musk, der reichste Mann der Welt, war als Leiter von Doge stolz darauf, dass er durch die faktische Auflösung der Hilfsorganisation USAID die US-amerikanische Unterstützung für die Ärmsten der Armen praktisch abgeschafft hat. Inwiefern seine Truppe bisher überhaupt nennenswerte Beträge eingespart hat, ist dank der undurchsichtigen Selbstdarstellung von Doge, ihrer zahlreichen Rechenfehler und ideologisch motivierten Falschdarstellungen unklar.

Doch der von Musk und seinen Stichwortgebern ausgerufene Krieg gegen das Mitleid geht weiter. Trumps neues Steuergesetz enthält erhebliche Kürzungen bei sozialen Programmen wie Medicaid und Snap (Supplemental Nutrition Assistance Program), die vor allem arme Haushalte betreffen.