Rechtsextremer Simion gescheitert
Erleichterung allerorten: Ein Sieg des rechtsextremen Kandidaten George Simion (AUR) wurde im zweiten Wahlgang der rumänischen Präsidentschaftswahl abgewendet. Simion errang 46,4 Prozent der Stimmen, während sein parteiloser Konkurrent Nicușor Dan auf 53,6 Prozent kam. Diesem ist eine sensationelle Aufholjagd gelungen, in der ersten Runde hatte er mit 20,9 Prozent weit hinter Simion mit fast 41 Prozent zurückgelegen. Offenbar ist es in der Stichwahl gelungen, die Gegner Simions hinter Dan zu vereinen.
Das erinnert an das Jahr 2000, als in der Stichwahl der einflussreichste Politiker der neunziger Jahre, der postkommunistische Sozialdemokrat Ion Iliescu (PSD), gegen den ebenfalls postkommunistischen radikalen Nationalisten Vadim Tudor von der Großrumänien-Partei antrat. Damals sorgte der Zusammenhalt aller anderen Parteien dafür, dass Rumänien demokratisch blieb (Jungle World 50/2000).
Eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen, Tausende von Häusern zu bauen und für den Spottpreis von 35.000 Euro zu verkaufen, deklarierte Simion als bloßen Wahlkampftrick. Daraufhin wurde er als erster Politiker verhöhnt, der schon vor der Wahl seine Versprechen bricht.
Dieses Mal aber warfen sich Politiker verschiedener Parteien gegenseitig vor, Simion in die Karten zu spielen. Der ehemalige sozialdemokratische Ministerpräsident Victor Ponta, der 2017 aus der PSD ausgeschlossen worden war und nun als unabhängiger Kandidat mit nationalistischen Tönen und einer roten Basecap mit der Aufschrift »Rumänien zuerst«, antrat, wurde verdächtigt, die Zusammenarbeit mit Simion zu suchen. Er wiederum warf der Interimsführung der PSD vor, durch ihre Unfähigkeit Simion zu nützen. Tatsächlich verzichteten sowohl Ponta als auch die PSD auf einen Wahlaufruf zugunsten Dans.
Hingegen unterstützten die bürgerlichen Parteien, also die Nationalliberalen (PNL), die liberale USR und der Ungarnverband (UDMR), klar Dan. Sie hatten bei der Parlamentswahl im Dezember aber zusammen nur ein gutes Drittel der Stimmen erhalten. Alles in allem war Dans Erfolg nicht das Ergebnis einer geschlossenen Front der Parteien gegen Simion.
Die Erklärung dürfte eher in einer sehr volatilen Wählerschaft liegen, die durch zivilgesellschaftliche Anstrengungen sowie die Debatten in den Medien und auf Social Media in Bewegung gekommen ist. Dafür spricht schon die ungewöhnlich stark gestiegene Wahlbeteiligung. In der zweiten Runde lag diese bei 64,72 Prozent, in der ersten Runde hatte sie im November noch bei lediglich 52,55 Prozent und in der Wiederholung der ersten Runde, die das Verfassungsgericht angeordnet hatte, bei 53,21 Prozent gelegen.
Der österreichischen Tageszeitung Standard sagte der rumänische Politikwissenschaftler Cristian Pîrvulescu, die Angst vor Simion habe Millionen von Wählern mobilisiert, die verhindern wollten, dass das Land den demokratischen, westlich orientierten Weg verlässt. In einigen Großstädten des Landes hatte es erstmals Demonstrationen mit EU-Flaggen gegen Simion gegeben. Bis dahin hatten die Anhänger Simions und die des parteilosen Rechtsextremen Călin Georgescu, der im November die meisten Stimmen gewonnen hatte, von der Wahlwiederholung jedoch ausgeschlossen war, die Straßen beherrscht. Letztere hatten seit Monaten immer wieder gegen die Annullierung der ersten Runde der Wahl protestiert.
Wirkung zeigte auch eine mehrere Stunden dauernde Debatte im rumänischen Sender von Euronews: Simion erwies sich bei vielen Fragen der Moderatorinnen und Kontern seines Gegners Dan ratlos. Zu weiteren geplanten Fernsehdebatten erschien er dann einfach nicht mehr, was in der Öffentlichkeit als Offenbarungseid bewertet wurde.
Zudem leistete sich Simion, der sich als »Mann aus dem Volk« präsentiert, in den sozialen Medien einen gigantischen Patzer. Eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen, Tausende von Häusern zu bauen und für den Spottpreis von 35.000 Euro zu verkaufen, deklarierte er als bloßen Wahlkampftrick. Daraufhin wurde er als erster Politiker verhöhnt, der schon vor der Wahl seine Versprechen bricht.
Der angeschlagene Simion agierte immer erratischer. Er unternahm mysteriöse Reisen nach Wien, wo er sich jeweils nur wenige Stunden aufhielt; den Grund wollte er nicht verraten. Die rumänische Öffentlichkeit ist schnell bereit, an Geheimdienstintrigen und andere Verschwörungen zu glauben, und schon meldeten sich selbst andere prominente Rechtsextreme wie der Besitzer des rumänischen Fußballclubs Steaua Bukarest, George Becali, mit dem Verdacht zu Wort, Simion erhalte von jemandem in Wien Befehle. Auch Georgescu hatte jahrelang in Wien gelebt, ohne dass klar wurde, was er dort tat. Die Stadt gilt seit dem Kalten Krieg als eines der Zentren russischer Geheimdienstoperationen.
Dan hingegen schaffte als Unabhängiger ohne große Hausmacht mit ganz verschiedenen Unterstützern die Trendwende. Eine stabile Regierung zu bilden, dürfte jedoch eine enorme Herausforderung werden.
Für den Posten des Ministerpräsidenten favorisiert Dan den Interimspräsidenten Ilie Bolojan, einen Politiker der »national-liberalen«, faktisch konservativen PNL. Dan kann mit der Unterstützung seiner ehemaligen Partei, der liberalen USR, rechnen. Auch der konservative Ungarnverband UDMR wird wohl mit ihm zusammenarbeiten; die ungarische Minderheit hat stark zum Wahlsieg Dans beigetragen. Auf den Zusammenhalt innerhalb einer solchen Minderheitsregierung könnte er sich wohl verlassen.
Doch um den Staatshaushalt steht es schlecht, die Neuverschuldung lag 2024 bei 9,3 Prozent des BIP, der höchste Wert in der EU. Selbst wenn der Präsident kein Liberaler wäre, drohte ein harter Sparkurs. Dan hätte gerne eine breite Mehrheit im Parlament und zeigte sich offen für eine Koalition mit der PSD. Auf diese wäre eine Minderheitsregierung ohnehin angewiesen, um den Haushalt durchs Parlament zu bringen.
Die PSD scheint aber geteilter Meinung über eine Regierungsbeteiligung. Während der Vorstand dafür offen sein soll, äußert die einflussreiche sozialdemokratische Oberbürgermeisterin der südwestrumänischen Großstadt Craiova, Lia Olguța Vasilescu, starke Vorbehalte. Sie glaubt, die Basis würde nach den bitteren Niederlagen in der Präsidentschaftswahl den Weg in die Opposition bevorzugen. Vasilescu war, bevor sie Sozialdemokratin wurde, Gründungsmitglied der ultranationalistischen Großrumänien-Partei. Wie viele nationalistisch gesinnte Mitglieder der PSD ihre Meinung teilen, ist derzeit unklar.
In der Tat wäre eine erneute große Koalition problematisch. Simions AUR und die beiden anderen rechtsextremen Parteien wären dann die einzige Opposition und ihr Wahlsieg in vier Jahren nur schwer aufzuhalten – nur selten bestätigen die Wähler in Rumänien eine Koalitionsregierung. Geht die PSD hingegen in die Opposition, dann könnte sich erweisen, dass die Partei im national-stalinistischen Rumänien Nicolae Ceaușescus stark genug verwurzelt geblieben ist, um die Zusammenarbeit mit AUR zu suchen.