29.05.2025
Es gab einen russisch-ukrainischen Gefangenenaustausch – und verstärktes russisches Bombardement

Russlands Drohnenterror eskaliert

Die Verhandlungen in Istanbul haben lediglich zu einem Gefangenen­austausch zwischen Russland und der Ukraine geführt. Trump gibt sich von Putin enttäuscht.

Tausend gegen tausend: Nach dieser Formel fand am Wochenende der bislang größte Austausch von Kriegsgefangenen zwischen Russland und der Ukraine statt. Längst haben beide Kriegsparteien diesbezüglich eine gewisse Routine entwickelt, allerdings blieb dieses Mal nur sehr wenig Zeit für die Vorbereitungen. Mitte Mai hatte eine kurze Verhandlungsrunde in Istanbul über etwaige Friedensgespräche beide Seiten nicht nähergebracht, als einziges konkretes Ergebnis kam ein erneuter Austausch zustande. Aus dem bisherigen Rahmen fiel er auch deshalb, weil neben Militärangehörigen jeweils 120 Zivilpersonen in ihr je­weiliges Herkunftsland zurückkehren konnten.

Russische Staatsmedien hoben hervor, dass durch die jüngste Vereinbarung in der Ukraine verbliebene Bewohner:in­nen des Kursker Gebiets zurückgeholt werden konnten. Sie als Gefangene zu bezeichnen, ist insofern falsch, als die Ukraine im Zug von Kämpfen gar keine zivilen Gefangenen machte, auch nicht während der Zeit, als ukrainische Truppen russisches Gebiet besetzt hielten. Allerdings ist es für die im August 2024 unter ukrainische Besatzung geratene und auf der dortigen Seite verbliebene lokale Bevölkerung logistisch kompliziert, die Frontlinie zu überqueren. Zudem wurden in der Ukraine wegen Landesverrats und Kollaboration verurteilte ukrainische Staatsangehörige nach Russland überführt, die sich über die staatlich betriebene Website Hochuksvoim.com (Ich will zu meinen Leuten) für die Aufnahme in eine Austauschliste eintragen können.

Während es tagelang zu Szenen der Freude über die Freilassungen kam, vermeldete die Ukraine die bislang intensivsten nächtlichen Drohnenangriffe aus Russland. In der Nacht auf Montag waren es 355.

Nach Angaben des kremlnahen Telegram-Kanals Mash befinden sich in der Ukraine derzeit noch rund 1.300 russische Kriegsgefangene, während Russland an die 10.000 ukrainische Armeeangehörige in Gefangenschaft hält. Dazu kommen schätzungsweise bis zu 16.000 Zivilist:innen, die Russland aus den besetzten Gebieten faktisch entführt hat und über deren Verbleib es keine gesicherten Informationen gibt, so Michail Sawwa, der Direktor des ukrai­nischen Zentrums für Zivilrechte. Im unabhängigen russischen Telegram-Kanal Agentstwo betonte er außerdem, dass Russland am Wochenende zivile ukrainische Staatsangehörige übergeben habe, die ohnehin teils seit geraumer Zeit in russischer Abschiebehaft saßen – nicht hingegen im Verlauf des Kriegs Verschleppte, die faktisch als Geiseln zurückgehalten werden.

Während es tagelang zu Szenen der Freude über die Freilassungen kam, vermeldete die Ukraine die bislang intensivsten nächtlichen Drohnenangriffe aus Russland. In der Nacht auf Montag waren es 355. Erneut gab es auch unter der Zivilbevölkerung Tote und Verletzte. Erst am 19. Mai hatten US-Präsident Donald Trump und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin über zwei Stunden lang telefoniert. Putin bezeichnete das Gespräch vor der Presse als »aufschlussreich und überaus offen«. Sein Gesichtsausdruck wirkte dabei alles andere als entspannt. Seine Wortwahl zeugt davon, dass bei dem Telefonat bestehende Differenzen benannt, aber wohl kaum aus dem Weg geräumt ­wurden.

Harscher als gewöhnlich fiel Trumps Reaktion am Montag auf das demons­trativ jegliche Friedensbemühungen unterlaufende Vorgehen der russischen Armee aus. »Er ist völlig verrückt geworden«, sagte er auf seinem sozialen Medium Truth Social über Putin; ohne Notwendigkeit lasse dieser ukrainische Städte beschießen und töte Menschen. Russische Staatsmedien ignorierten diesen Ausfall geflissentlich, aus dem Kreml kam die lapidare Mitteilung, Putin treffe Entscheidungen ausgehend von Russlands Sicherheitsbedürfnissen.

Dass Trump mit seinem Vorhaben, Frieden zu stiften, wie zu erwarten war gescheitert ist, lässt kaum Spielraum für andere Lösungen. Zumindest in absehbarer Zeit. Die Europäische Union verfügt über weniger Möglichkeiten als Trump, auf Russlands Führung Einfluss zu nehmen. Putin nimmt die EU nicht als ebenbürtigen Gegenspieler wahr, dafür ist diese zu zerstritten und wegen langwieriger Entscheidungsprozesse nicht in der Lage, angemessen schnell zu reagieren. EU-Sanktionen setzen der russischen Wirtschaft zwar zu, aber nicht genug, um sie kollabieren zu lassen. Nicht zuletzt muss sich die EU ­wegen der räumlichen Nähe zu Russland und gemeinsamer Grenzen über ein tragfähiges Verteidigungskonzept Gedanken machen, das der Kreml, egal wie es ausgestaltet ist, ablehnen dürfte.

Bei einem Auftritt auf der kürzlich in Berlin abgehaltenen Digitalkonferenz Republica sprach Bundeskanzler Friedrich Merz davon, dass die Ukraine keiner Reichweitenbeschränkung mehr für aus westlichen Ländern gelieferte Waffensysteme unterliege. Details nannte er nicht, so dass unklar blieb, ob und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Längst attackieren ukrainische Drohnen für Russlands Kriegführung relevante Infrastrukturobjekte auch weit im Hinterland. Immer häufiger wird auch der Luftverkehr an Moskauer Flughäfen lahmgelegt.

Fraglich ist, wie es jetzt weitergeht. Russland hatte versprochen, seine Überlegungen für einen Friedensplan schriftlich vorzulegen, was bislang nicht geschehen ist. Mündlichen Kommentaren nach zu urteilen plant die Führung nicht, Kompromisse einzugehen, und dürfte unter anderem auf der Annexion von Gebieten bestehen, die sich Russland gemäß seiner geltenden Verfassung einverleibt hat, die das russische Militär aber nicht kontrolliert. Derzeit rücken russische Truppen langsam, aber stetig voran und besetzen sogar einen kleinen Teil des Gebiets Sumy. Zugleich beschuldigte das russische Verteidigungsministerium die Ukraine, von Russland initiierte Friedensgespräche zu torpedieren.