29.05.2025
Die EU plant, die Datenerfassung an den Grenzen auszuweiten

Weniger Freizügigkeit, mehr Kontrolle

Innerhalb der EU wurden vielerorts nationale Grenzkontrollen wiedereingeführt, was die Binnenfreizügigkeit einschränkt. Zugleich schreitet die Digitalisierung der Überwachungssysteme an den EU-Außengrenzen voran.

In zwei Wochen, am 14. Juni, wird das Schengener Abkommen 40 Jahre alt. Gut gehalten hat es sich nicht: Anstelle der einst garantierten Binnenfreizügigkeit für Hunderte Millionen Menschen in der Europäischen Union gibt es heutzutage einen Flickenteppich von mehr oder weniger intensiver Grenzüberwachung. Einer der Haupttreiber dabei ist die Bundesrepublik. Seit September 2023 wird an allen deutschen Außengrenzen kontrolliert – zum Unmut der Nachbarländer.

Mitte Mai ereilten den neuen Bundeskanzler Friedrich Merz aufgrund nochmals verschärfter Grenzkontrollen Proteste aus Frankreich. Die Bürgermeisterin von Straßburg, Jeanne Barseghian, und ihr Amtskollege im deutschen Kehl, Oberbürgermeister Wolfram Britz, forderten Merz in einem Schreiben auf, er möge die neuen Grenzkontrollen auf ein Maß reduzieren, »das einen über mehr als drei Jahrzehnte zusammengewachsenen deutsch-französischen Raum in seinem Alltagsleben nicht beeinträchtigt«. Tausende Grenzpendler und Hunderte Schüler litten unter den Kontrollen, im Nahverkehr komme es zu erheblichen Verspätungen. Die Grenzkontrollen seien ein »Wettbewerbsnachteil«.

Bereits im Frühjahr 2026 soll die biometrische Erfassung an den Grenzen der EU lückenlos eingeführt sein.

Luxemburg hatte bereits im Februar Beschwerde bei der EU-Kommission gegen die Verlängerung der deutschen Kontrollen bis September eingelegt; mehr als 230.000 Pendler seien täglich davon betroffen. Zwischen Polen und Deutschland gibt es schon seit 2023 Grenzkontrollen. Ministerpräsident Donald Tusk hatte im polnischen Fernsehen jüngst nicht ausgeschlossen, die Grenze zu Deutschland zu schließen, sollten Asylsuchende an der deutsch-polnischen Grenze zurückgewiesen werden. Er bezog sich dabei auf eine Ausnahmeregel (Artikel 72) im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der den Mitgliedstaaten zur »Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung« und zum »Schutz der inneren Sicherheit« erlaubt, von europäischen Regelungen in Asyl- und Migrationsfragen abzuweichen.

Frankreich hat vergangene Woche eine Verlängerung der im November 2024 eingeführten Grenzkontrollen zu allen Nachbarländern bis Oktober 2025 beschlossen. Viele weitere Länder wie Slowenien, Italien, Österreich, die Niederlande und die skandinavischen Staaten haben die Verlängerung der Kontrollmaßnahmen an den europäischen Binnengrenzen bis zum Herbst oder Winter des Jahres bereits festgelegt.

Grenzkontrollen im Innern der EU darf es dem Schengen-Kodex nach nur als »letztes Mittel«, »ausnahmsweise« und »vorübergehend« geben. Davon aber kann schon lange keine Rede mehr sein: Seit Einführung des Kodex haben die EU-Staaten zwischen 2006 und 2014 insgesamt nur 35 Mal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, etwa wenn ein US-Präsident zu Besuch kam. Seit den Flüchtlingsankünften 2015 aber gab es im Zeitraum bis 2020 EU-weit über 200 solcher Ausnahmen. In den vergangenen Jahren kamen die pandemiebedingten Grenzschließungen hinzu, mittlerweile liegt die Zahl der Schließungen bei über 400.

Der Jurist Constantin Hruschka hält die Anweisung des Innenministers Alexander Dobrindt, Asylsuchende an den EU-Binnengrenzen zurückzuweisen – eine Ankündigung, wie sie nun auch aus Polen zu vernehmen war –, für »evident rechtswidrig«. Denn der Europäische Gerichtshof habe mehrfach klargestellt, dass eine »Notlage«, wie sie in Artikel 72 definiert ist, nur auf EU-Ebene ausgerufen werden könne und zu keinen nationalen Alleingängen berechtige. Zudem hält er die Begründungen für nicht stichhaltig. Sie »wiederholen sich seit Jahren, obwohl die Zahlen der Schutzsuchenden zurückgehen«.

Grenzkontrollen zur Zurückweisung von Asylsuchenden gehören zu einer allgemeinen Entwicklung hin zu immer mehr Kontrollen in der EU in Kombination mit verstärkter Abschottung der EU. Unter dem Schlagwort »Smart Borders« entwickelt die europäische Staatengemeinschaft schon seit 2011 ein elektronisches System zur Kontrollen der Ein- und Ausreisen. Kürzlich einigten sich die EU-Innenminister auf dessen zunächst schrittweise Einführung ab dem kommenden Oktober. Unter anderem soll dabei die Erfassung biometrischer Daten zur Gesichts- oder Fingerabdruckerkennung den Stempel im Pass ersetzen. Zusätzlich zu der »Entry-Exit-System« (EES) genannten Datenbank soll es ein ein System zur Vorabregistrierung für visumbefreite Drittstaatsangehörige (Etias) geben.

Bereits im Frühjahr 2026 soll die biometrische Erfassung an den Grenzen der EU lückenlos eingeführt sein. Ob die im estnischen Tallinn ansässige und für die Umsetzung zuständige EU-Behörde für IT-Großsysteme, EU-Lisa, die nötigen Systeme so schnell beschaffen kann, ist allerdings unklar.

Im Rahmen des »Smart Borders«-Vorhabens wird die EU künftig insgesamt sechs IT-Systeme an den Grenzen betreiben: Die seit langem existierende Fingerabdruck-Datenbank Eurodac für Dublin-Einreisen, die Fahndungsdatenbank Schengener Informationssystem (Sis) sowie das Visa-Informationssystem (Vis). Die drei sollen mit dem neuen Entry-Exit-System, der Etias-Datenbank sowie einem geplanten Strafverfahrensregister namens ECRIS-TCN zusammengeschaltet werden. Letzteres soll den bisherigen EU-weiten Informationsaustausch zwischen den nationalen Strafregistern der Mitgliedstaaten über EU-Bürger auf strafrechtlich relevante Informationen über Drittstaatsangehörige erweitert. Niovi Vavoula, eine Luxemburger Professorin für Cyber Policy, nannte die »Interoperabilität« genannte Verschaltung der mit biometrischen Daten gefütterten Grenzschutzsysteme den »Todesstoß für die Rechte auf Privatsphäre, Persönlichkeitsrechte und Datenschutz«.

Die EU-Kommission hat den Mitgliedstaaten unlängst gestattet, leichter eigene Wege bei der Abwehr von Flüchtlingen zu gehen. Im Dezember 2024 hieß es in einer Mitteilung der Kommission, die auf die Migrationskrise an der Grenze zwischen Belarus und Polen reagierte, dass »schwerwiegende Eingriffe in die Grundrechte« hinnehmbar seien, wenn feindliche Nachbarstaaten Flüchtlinge als »Waffe« einsetzten. Die Mitgliedstaaten dürften »alles Notwendige« tun, um sich gegen »hybride Angriffe aus Russland und Belarus zu verteidigen« und ihre »nationale Sicherheit, öffentliche Ordnung und Souveränität zu schützen«.

Polen hatte daraufhin im März ein Gesetz beschlossen, das es ermöglicht, das Asylrecht an der Ostgrenze des Landes komplett auszusetzen. Andere Staaten dürften sich vom polnischen Vorgehen inspiriert fühlen.

Zu den Lockerungen der EU-Kommission gehört, dass das Konzept der »sicheren Drittstaaten« nun früher als geplant angewendet werden darf; es ist im sogenannten Migrations- und Asylpakets der EU enthalten, welches 2026 in Kraft treten soll. Dadurch muss ein Asylantrag nicht länger geprüft werden, wenn stattdessen ein beliebiges »sicheres Drittland« Schutz bieten kann. »Wir haben das etwas vorgezogen, weil ich überhaupt glaube, dass wir Geschwindigkeit hineinbringen müssen. Wir müssen schneller werden«, sagte der für Migration zuständige EU-Kommissar Magnus Brunner vergangenes Wochenende im Interview mit der ARD. Offen ist dabei noch, welche Drittstaaten als »sicher« eingestuft werden – und sich die Bereitschaft, der EU Flüchtlinge abzunehmen, abkaufen lassen.

Des Weiteren arbeitet die EU an der Einrichtung sogenannter »Return Hubs« – »Rückkehrzentren« in Drittstaaten außerhalb der EU. Abgelehnte Asylbewerber sollen vorübergehend dort interniert werden, bis sie in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können. Das Projekt ist nicht zu verwechseln mit den – vorerst gescheiterten – Plänen für Lager für externalisierte Asylverfahren, wie Italien sie in Albanien geplant hatte, oder externalisierten Asylschutz, wie beim Abkommen des Vereinigten Königreichs mit Ruanda, das Premierminister Keir Starmer vorerst ausgesetzt hat. Die »Return Hubs« sind für Menschen vorgesehen, deren Asylantrag innerhalb der EU abgelehnt wurde, die aber nicht in Herkunftsland gebracht werden können – zum Beispiel weil es keine Reisepapiere gibt oder weil in dem Land Krieg herrscht.

Ob die betreffenden Personen irgendeinen Bezug zu dem Drittstaat haben, soll dabei keine Rolle spielen. Geht es nach der Kommission, sollen »Return-Hubs« in Ländern wie Ägypten, Tunesien, Bangladesh, Indien, Kolumbien, Marokko, Kosovo und Albanien entstehen. Pro Asyl spricht von einem »Blankoscheck für alle Arten von Rückführungsphantasien in Drittstaaten«.