05.06.2025
Ein Bericht versucht, die Arbeit der ­Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus zu diskreditieren

Ein mangelhafter Mängelhinweis

Ein Bericht versucht, Mängel in der Arbeit der Recherche- und Infor­mationsstelle Antisemitismus herauszustellen. Bei näherer Betrachtung wird klar, dass es vor allem darum geht, israelbezogenen Anti­semitismus zu bagatellisieren. Einige Medien haben das bereits dank­bar aufgegriffen, ohne die Behauptungen des Berichts zu überprüfen.

Zuverlässig veröffentlicht der Bundesverband der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus (Rias) seit 2020 in jedem Juni seinen Jahresbericht. Die Ergebnisdarstellung der Meldestelle liefert ein wertvolles Lagebild aus der Perspektive von Menschen, die Antisemitismus ­erlebt haben. Gerade die Vorfälle unter der Strafbarkeitsgrenze ergänzen die polizeilichen Statistiken zur politisch motivierten Kriminalität, indem sie Gelegenheitsstrukturen für antisemitische Straftaten aufzeigen.

In diesem Jahr sind dem Jahresbericht Kritiken zuvorgekommen, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Ergebnisse streuen wollen. Von rechtsaußen beklagt das Online-Medium Nius, Rias verorte Antisemitismus vor allem politisch rechts statt bei Islamisten oder Linken. Zu einem gänzlich entgegengesetzten Schluss kommt der Bericht »Biased. Antisemitismus-Monitoring in Deutschland auf dem Prüfstand«, verfasst vom Journalisten und früheren Berlin-Korrespondenten der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronoth, Itay Mashiach, für die Diaspora Alliance. Hier wird nahegelegt, Rias sei auf dem rechten Auge blind.

Die Frankfurter Rundschau, das ND und die Taz haben Mashiachs Bericht positiv besprochen. Viel Mühe scheinen sie sich indes nicht gemacht zu haben, dessen Behauptungen zu überprüfen. Das wäre jedoch dringend nötig gewesen, denn die Selbststilisierung des Berichts als seriöse Studie hält einem ­genaueren Blick nicht stand. Er folgt weniger einem wissenschaftlichen ­Erkenntnisinteresse, sondern versucht relativ unumwunden, Rias den Prozess zu machen. Fallbeispiele aus der Chronik antisemitischer Vorfälle sollen be­legen, dass Fälle als antisemitisch klassifiziert werden, die es in Wahrheit nicht seien. Doch selbst dieses Rosinenpicken von Daten funktioniert nur aufgrund sinnentstellender Auslassungen.

Der Bericht behauptet, Nazis befänden sich »am Rand des Monitorings«, dabei hat Rias erst Ende vergangenen Jahres ein 120seitiges Papier über Rechtsextremismus und Anti­semitismus publiziert.

Zum Beispiel skandalisiert der Bericht, dem Historiker Moshe Zimmermann sei Antisemitismus vorgeworfen worden, als er im Magdeburger Parlament 2020 zum Tag der Befreiung von Auschwitz einen Vortrag hielt. Zimmerman weise darauf hin, so der Bericht, dass »unscheinbaren Anfänge, die irgendwann vielleicht nach Auschwitz führen könnten«, die Mahnung »nie wieder« verdienten. Der Bericht schreibt weiter, dass er »zugleich« betonte, dass seine Rede »an die ganze Welt adressiert sei, und dass seine Schlussfolgerung ›auch für Israelis‹« gelte. Der entscheidende Punkt ist, dass Mashiach in diesem Fall auslässt, welche Schlussfolgerung Zimmermann meint. In seinem Vortrag nämlich sagte dieser: »Und diese Mahnung« – im autorisierten Transkript geändert zu »die Schlussfolgerung« – »›nie wieder‹ gilt auch für Israelis, und nicht nur aus der Opferperspektive.«

Der Bericht behauptet, Rias ignoriere ständig den Kontext, um Vorfälle als antisemitisch werten zu können. Dabei wird »Kontext« konsequent mit der Identität der Sprechenden gleichgesetzt, im Falle Zimmermanns der eines israelischen Juden. Für die Person, die den Vorfall der Meldestelle berichtet hat, dürfte ein anderer Kontext entscheidender gewesen sein: nämlich dass 2020 am Tag der Befreiung von Auschwitz und im Land der Täter ­Israelis im Parlament von Sachsen-Anhalt ermahnt wurden, die Mahnung »nie wieder« zu beachten – ganz als liefen sie Gefahr, die deutschen Verbrechen zu wiederholen.

Diese Verdrehungen ziehen sich wie ein roter Faden durch den Bericht – primär um israelbezogenen Antisemitismus verschwinden zu lassen. Zum Beispiel wird behauptet, Nazis befänden sich »am Rand des Monitorings«, dabei hat Rias erst Ende vergangenen Jahres einen 120seitigen Bericht über Rechtsextremismus und Antisemitismus publiziert. Weiter wundern sich die Verfasser, dass »Palästina spricht« als antisemitische Organisation klassifiziert wurde – eine Gruppe, die den 7. Oktober einen »revolutionären Tag zum Feiern« nannte. Es wird behauptet, die Meldestelle stufe »jede Erwähnung von BDS auf Demonstrationen« als antisemitisch ein. Dabei machte Rias in einer Publikation eigens zur BDS-Bewegung von 2023 eindeutig klar, dass man »bloße affirmative Erwähnungen der BDS-Kampagne (…) nicht als antisemitische Vorfälle wertet«.

Der Bericht arbeitet unsauber

Es zeigt sich: Der Bericht selbst arbeitet unsauber, wirft aber Rias Intransparenz vor. Insbesondere moniert der Autor, dass Rias seine Rohdaten gemeldeter Vorfälle nicht herausgibt. Das wäre natürlich ein Traum für alle Sozialforscher:innen, aber für Meldestellen ist es absolut unüblich. Auch die Polizeistatistiken über politisch motivierte Kriminalität stellen ihre gesammelten Einzelfälle nicht zur Ver­fügung. In Ermangelung der Datensätze bemüht sich der Autor dann mit Hilfe von crawls der Rias-Website, also softwaregestütztem Suchen, zu Einschätzungen zu gelangen. So kann sich allerdings kein valides Bild ergeben, denn nur Fälle, die Meldende öffentlich machen wollen, landen in der Chronik.

Offenbar in Ermangelung ausreichend skandalisierbarer Fälle fabuliert der Autor begrifflich eigenwillig, Rias habe ein »eternalistisches« Verständnis von Antisemitismus. Dabei machen bereits die von Rias verwendeten Kategorien wie »Post-Shoah-Antisemitismus« oder »israelbezogener Antisemitismus« deutlich, dass ihr Anti­semitismusbegriff räumlich und zeitlich situiert ist.

Der Zweifel, den der Bericht an der Seriosität von Rias wecken will, fällt bei eingehender Betrachtung auf ihn selbst zurück. Allerdings bleibt diese oft aus, wo man mit der Bagatellisierung von insbesondere israelbezogenem Antisemitismus ganz zufrieden scheint. Immerhin trägt die Studie den richtigen Titel: »Biased«.