05.06.2025
Die in Frankreich misshandelte Gewerkschafterin Maureen Kearney war zu Gast bei der IG Metall

Eine Kämpferin zu Besuch

Die IG Metall stellte in Frankfurt den Spielfilm »Die Gewerkschafterin« vor. Er erzählt von der in Frankreich tätigen irischen Gewerkschafterin Maureen Kearney, die aufgrund ihrer Arbeit bedroht und misshandelt wurde.

Es war ein emotionaler Abend im Vorstandsgebäude der IG Metall in Frankfurt am Main. Die Gewerkschaft hatte am 23. Mai zur Filmvorführung des Thrillers »Die Gewerkschafterin« mit Isabelle Huppert in der Hauptrolle und anschließender Diskussion mit der im Film von Huppert gespielten Betriebsrätin Maureen Kearney eingeladen.

Die hatte seit 2004 als Betriebsratsvorsitzende des französischen Atomkonzerns Areva bis zu 75.000 Beschäftigte vertreten; auch die von Standorten in Deutschland (Erlangen, Offenbach, Lingen, Mönchengladbach, Mannheim, Kassel, Bremen, Karl­stein, Berlin). Sie war eine einflussreiche Funktionärin der französischen Gewerkschaft CFDT, gut vernetzt mit der Pariser Politik, und wurde von der damaligen Areva-Vorstandsvorsitzenden Anne Lauvergeon mit Respekt behandelt.

Areva war damals in der EU der führende Atomkonzern. Mit großen Ambitionen wollte das Unternehmen den gemeinsam mit Siemens entwickelten Europäischen Druckwasserreaktor (EPR) an internationale Kunden bringen. Doch nur vier solcher Anlagen konnte das Unternehmen bauen: Olkiluoto3 in Finnland (gemeinsam mit Siemens), Flamanville3 in Frankreich und Taishan1 und 2 in China. Dabei kam es zu immer neuen Verzögerungen und ­immensen Kostensteigerungen.

Maureen Kearneys Rehabilitierung dauerte sechs lange Jahre, in denen sie als Opfer einer Vergewaltigung mit dem Vorwurf leben musste, alles erlogen zu haben.

Dann ereignete sich im März 2011 die Atomkatastrophe von Fukushima. Die Aufträge blieben aus, Siemens stellte sein Nukleargeschäft ein. Auch Arevas Zukunft wurde in Frage gestellt. Das zweite große Atomunternehmen in Frankreich, der Elektrizitätsmonopolist EDF, machte sich anheischig, seine Rolle zu übernehmen. Lauvergeon wurde abgelöst, bei Areva verschärfte sich das Klima.

Kurz vor der Präsidentschaftswahl 2012 veröffentlichte Kearney geheime Unterlagen, die sie von einem Whistle­blower erhalten hatte. Sie dokumentierten einen geplanten Deal von EDF mit einem chinesischen Nuklearunternehmen. Kurz gesagt: Die Chinesen sollten die künftigen Reaktoren bauen, das Know-how aus Frankreich kommen. Kearney und der Betriebsrat protestierten: EDF wolle das Wissen ihrer Firma verkaufen, die damals 5.000 Ingenieure beschäftigte; Areva würde dabei auf der Strecke bleiben.

Von nun an wurde Kearney persönlich gemobbt und bedroht. Doch sie ließ sich nicht einschüchtern. Der Betriebsrat veröffentlichte ein weiteres Dokument, einen letter of intent, der bei geheimen französisch-chinesischen ­Verhandlungen, diesmal auch mit dem neuen Vorsitzenden von Areva, unterzeichnet worden war. Die Situation spitzte sich zu. Dann, am Morgen des 17. Dezember 2012, wurde Kearney in ihrer Wohnung von einem Unbekannten überfallen, brutal vergewaltigt und verletzt. Es sei die zweite Warnung, sagte der Täter, eine dritte werde es nicht geben.

»Ein Komplott«, sagt ­Kearney heute

Damit veränderte sich ihr ganzes Leben. Denn die polizeilichen Ermittlungen beschäftigten sich weniger damit, Spuren zu sichern und auszuwerten, als vielmehr damit, vermeintliche Ungereimtheiten in den Aussagen des traumatisierten Opfers zu suchen und Kearneys Glaubwürdigkeit anzuzweifeln. Tatsächlich wurde sie angeklagt und verurteilt, das Verbrechen selbst inszeniert zu haben. Aufgrund des immensen Drucks in einem stundenlangen Verhör gab Kearney ein Geständnis ab, und obwohl sie dieses später zurückzog, wurde sie 2017 zu einer fünfmonatigen Haftstrafe und einer Geldstrafe in der Höhe von 5.000 Euro verurteilt.

Mit Hilfe ihrer Gewerkschaft CFDT ging Kearney in Berufung und wurde 2018 von allen gegen sie erhobenen Anschuldigungen freigesprochen. Sie ist rehabilitiert. Aber es dauerte sechs lange Jahre, in denen sie als Opfer einer Vergewaltigung mit dem Vorwurf leben musste, alles erlogen zu haben.

»Ein Komplott«, sagt ­Kearney heute. Mit dieser Meinung ist sie nicht allein. Die Journalistin Caroline Michel-Aguirre von der französischen Zeitung Le Nouvel Obs begleitete den Prozess. Sie fand das Verhalten der erstinstanzlichen Richterin derart empörend, dass sie eine eigene jahrelange Recherche begann. Daraus sind das Buch »Die Gewerkschafterin« und der gleichnamige Spielfilm entstanden.

Französische Nuklearwirtschaft mit EU-Geldern subventioniert

Maureen Kearney beantwortete in Frankfurt geduldig und ohne Scheu alle an sie gerichteten Fragen, obwohl man spüren konnte, wie viel Kraft es sie kostet, immer wieder mit dem alten Trauma konfrontiert zu sein. Michel-Aguirres Buch ist inzwischen unter dem Titel »Die Gewerkschafterin – Im Räderwerk der Atommafia« bei der Edition Einwurf auf Deutsch erschienen. Die Übersetzerin Eva Stegen von den Elektrizitätswerken Schönau war ebenfalls anwesend und beeindruckte mit ihrer kämpferischen Art. Sie forderte dazu auf, es nicht hinzunehmen, dass die französische Nuklearwirtschaft mit EU-Geldern subventioniert wird, obwohl sie offenbar alle Hebel bedient hat, um eine Aufklärung des Verbrechens an Maureen Kearney zu verhindern.

Das Geschäftsführende Vorstandsmitglied der IG Metall, Hans-Jürgen Urban, wies auf die Überlegungen der deutschen und der französischen Regierung hin, eine europäische atomare Abschreckung zu etablieren. Kearney, nach wie vor bestens über ihre ehemaligen Arbeitgeber informiert, antwortete, die Nuklearindustrie sei keine Industrie wie jede andere. Sie sei unheimlich.