Sieg für die Illiberalen
Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben – das mussten sich die Unterstützer des liberalen Kandidaten Rafał Trzaskowski nach der Stichwahl um die polnische Präsidentschaft am Sonntag hinter die Ohren schreiben. Nachdem am 1. Juni um 21 Uhr die Ergebnisse der Nachwahlbefragung 50,3 Prozent für den Kandidaten der liberal-konservativen Bürgerkoalition prognostiziert hatten, brachen seine versammelten Unterstützer:innen in Jubel aus.
Trotz einer statistischen Fehlerwahrscheinlichkeit von zwei Prozent wurden diese ersten Zahlen bereits als Sieg über den von der PiS unterstützten nationalkonservativen Kandidaten Karol Nawrocki angesehen, der zunächst auf 49,7 Prozent kam. Vor tosendem Applaus verkündete Trzaskowski seinen Sieg und ließ sich zu einer überschwänglichen Dankestirade hinreißen.
Das Blinzeln nach rechts brachte Trzaskowski nur wenig. 90 Prozent der Wähler:innen der rechtsextremen Kandidaten der ersten Runde stimmten bei der Stichwahl für seinen PiS-nahen Rivalen.
Auch Nawrocki trat direkt nach Verkündung der Ergebnisse der Nachwahlbefragung vor seine Unterstützer:innen. Seine Rede, die er mit reichlich Bibelreferenzen garnierte, war zwar etwas weniger euphorisch, doch bekräftigte er, dass er sich im Laufe des Abends als Sieger erweisen werde.
Etwa zwei Stunden später gab ihm eine sogenannte late poll – die Ergebnisse der Umfrage, ergänzt um erste Hochrechnungen – recht: Das Meinungsforschungsinstitut Ipsos sah nun Nawrocki mit 50,7 Prozent vorne. Am frühen Montagmorgen war schließlich klar, dass der PiS-nahe Kandidat sich mit 50,89 Prozent und einem Vorsprung von 360.000 Stimmen den Wahlsieg gesichert hatte. Dies gestand auch sein Gegenkandidat am Montagvormittag ein und gratulierte Nawrocki zum Wahlsieg.
Bereits Trzaskowskis Ergebnis in der ersten Wahlrunde am 18. Mai war mit 31,36 Prozent und nur knapp zwei Prozentpunkten Vorsprung vor dem PiS-nahen Kandidaten weit hinter den Erwartungen und auch den zuvor kursierenden Umfragewerten zurückgeblieben. Das rechte Lager hatte sich als insgesamt stärker als erwartet erwiesen: 14,81 Prozent der Wähler stimmten für den rechtsextrem-libertären Sławomir Mentzen und 6,34 Prozent für den Faschisten Grzegorz Braun. Als weiterer Schlag für Trzaskowskis Lager konnten zudem die schwachen Ergebnisse der Kandidat:innen der beiden anderen Parteien der Regierungskoalition gesehen werden, die gemeinsam nur auf etwa neun Prozent kamen.
Das insgesamt schlechte Abschneiden der Kandidat:innen der Regierungsparteien bei der ersten Wahlrunde korrespondiert mit den derzeit niedrigen Beliebtheitswerten der Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk. Nach anderthalb Jahren im Amt bewertet nur etwa ein Drittel der Pol:innen die Arbeit der von konservativen bis linken Kräften getragenen Koalitionsregierung als positiv.
Höchste Wahlbeteiligung bei einer Präsidentschaftswahl in Polen
In den beiden Wochen, die zwischen der ersten und der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl lagen, hatte sich Trzaskowskis Wahlkampf vor allem auf drei Punkte konzentriert. Erstens erinnerte man sich, welch großen Anteil an der erfolgreichen Abwahl der PiS-Regierung vor anderthalb Jahren die hohe Wahlbeteiligung gehabt hatte. Damals hatten 74,38 Prozent Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben, so viele wie noch seit dem Ende des Realsozialismus.
Darauf hoffte man auch diesmal, als man mit Großdemonstrationen vor der Stichwahl Wähler mobilisieren wollte. Tatsächlich war die Wahlbeteiligung mit 71,63 Prozent zwar die bisher höchste Wert bei einer Präsidentschaftswahl in Polen, der erhoffte Effekt trat allerdings nicht ein.
Darüber hinaus hoffte Trzaskowskis Kampagne darauf, dass die während des zweiwöchigen Stichwahlkampfs beinahe täglich bekannt gewordenen Skandälchen um Nawrocki Wähler abschrecken und für Trzaskowski einnehmen würden. Doch die vom PiS-nahen Kandidaten eingestandene Beteiligung an Schlägereien zwischen verfeindeten Hooligan-Clubs, sein Konsum von Oraltabak während der live übertragenen Präsidentschaftsdebatte oder Berichte über seine vermeintliche Vermittlung von Prostituierten an Gäste eines Hotels, in dem er als junger Mann als Türsteher arbeitete, brachten zwar das liberal-bürgerliche Lager immer mehr in moralische Wallungen, minderten aber nicht die Gunst der Nawrocki zuneigenden Wählergruppe.
Strategie der Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Tusk hat sich erledigt
Nicht zuletzt fokussierte sich das Wahlkampfteam Trzaskowskis auf die Wählergruppe des rechtsextrem-libertären Mentzen. Bereits für die Wahlen 2023 hatte Tusk versucht, der PiS rechte, aber wirtschaftlich eher libertär gesinnte Wähler:innen abzuringen. In den vergangenen beiden Wochen kokettierte auch Trzaskowski mit weiteren Migrationsrestriktionen und Steuererleichterungen, er präsentierte sich in einem Interview auf dem YouTube-Kanal von Mentzen, anschließend ließ er sich bei einem Bier mit ihm filmen. Doch das Blinzeln nach rechts brachte dem liberal-konservativen Kandidaten nur wenig. Am 1. Juni stimmten fast 90 Prozent der vormaligen Wähler:innen Mentzens und Brauns für den PiS-nahen Kandidaten.
Mit dem Sieg Nawrockis bei der Präsidentschaftswahl hat sich nun die Strategie der Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Tusk erledigt, versprochene Reformvorhaben aufzuschieben, bis man einen Präsidenten aus dem eigenen Lager hat, der diese nicht blockiert. Der nationalkonservative, EU-kritische Nawrocki, der im August ins Präsidentenamt eingeführt werden wird, dürfte ebenso wie sein Vorgänger aus dem PiS-Lager, Andrzej Duda, sein Vetorecht nutzen, um Reformen im Justizwesen oder gesellschaftspolitische Forderungen wie die Liberalisierung des restriktiven Abtreibungsgesetzes zu blockieren. Außerdem wird er wohl nach Kräften die EU-orientierte Außenpolitik der polnischen Regierung konterkarieren.
Die geringe Beliebtheit der Regierungskoalition und das Scheitern Trzaskowskis bei der Präsidentschaftswahl lassen eine Koalition aus PiS und Konfederacja nach der Parlamentswahl im Herbst 2027 als reale Gefahr erscheinen.
In einer Ansprache am Montagabend kündigte Tusk an, dass er bereit sei, mit dem neuen Präsidenten zusammenzuarbeiten; es sei aber auch ein »Notfallplan« vorbereitet, falls Nawrocki sich jeder Kooperation verweigern werde. Am nächsten Tag versprach er, dem Parlament am 11. Juni die Vertrauensfrage zu stellen. Mit diesem Manöver will der Ministerpräsident die Macht seiner Regierung konsolidieren – denn eine knappe Mehrheit dürfte ihm sicher sein – und sich absichern gegen Bemühungen aus dem Lager von PiS und der rechtsextremen Konfederacja, die auf vorgezogene Neuwahlen oder die Bildung einer »Expert:innenregierung« abzielen.
Ob es Tusk mit dieser Geste demonstrativer Entschlossenheit gelingt, die Popularität und Handlungsfähigkeit seiner Regierung zu steigern, ist jedoch fraglich. Die geringe Beliebtheit der Regierungskoalition und das Scheitern Trzaskowskis bei der Präsidentschaftswahl lassen eine Koalition aus PiS und Konfederacja nach der Parlamentswahl im Herbst 2027 als reale Gefahr erscheinen.