12.06.2025
Der neue Bericht der UN-Atombehörde über das iranische Atomprogramm

Irans unzweifelhafte Ambitionen

Die Internationale Atomenergieorganisation hat einen neuen Untersuchungsbericht über das iranische Atomprogramm vorgelegt, der die israelische Anschuldigung von 2018, der Iran arbeite am Bau von Atomwaffen, bestätigt.

Der Dauerkonflikt um das iranische Atomprogramm befindet sich in einer kritischen Phase. Während die USA und der Iran seit zwei Monaten mehrere Gesprächsrunden über ein mögliches Atomabkommen abgehalten haben, hat die Internationale Atomenergieorganisation (IAEO) in einem Ende Mai veröffentlichten Bericht neue Erkenntnisse darüber zusammengetragen, wie der Iran gegen seine Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag verstößt.

Seit über zwei Jahrzehnten untersucht die Organisation nicht deklariertes Nuklearmaterial, Aktivitäten und Anlagen im Iran. Der neue Bericht bezieht sich vor allem auf Erkenntnisse einer großangelegten Untersuchung.

Die IAEO kommt in ihrem Bericht erstmals zu der Einschätzung, dass die vier untersuchten Standorte im Iran in direktem Zusammenhang mit verschwundenem nuklearen Material stehen.

Vorgelegt wurde das Gutachten dem am 9. Juni tagenden Gouverneursrat der Organisation, der es im November 2024 in Auftrag gegeben hatte. Die Proliferationsexperten halten darin fest, dass der Iran sich nach wie vor weigere, die IAEO über den Bau neuer Atomanlagen vorab zu informieren und große Anstrengungen unternehme, Spuren des früheren nichtdeklarierten Atomwaffenprogramms, das offiziell 2003 eingestellt wurde, des sogenannten Projekts Amad, zu vertuschen. Nach 2003 hat der Iran seine Bemühungen um Atomwaffen jedoch nicht beendet, sondern auf verdeckte Weise fortgesetzt. In dem Bericht ist zudem von »schlüssigen Beweisen« die Rede, dass der Iran die Agentur ausspioniert habe, um auf ihre nächsten Schritte vorbereitet zu sein.

Seit Jahren besteht die IAEO vergeblich darauf, dass Iran seine Aktivitäten offenlegt, die an vier namentlich genannten Orten, in Lavizan-Shian, Marivan, Varamin und im Teheraner Stadtteil Turquzabad, stattgefunden hätten. Dort habe man jeweils in Bodenproben Partikel nachgewiesen, die nur beim Umgang mit Uran entstanden sein konnten.

Der Bericht wird noch wesentlich konkreter und deutlicher. In Marivan seien vor 20 Jahren die Voraussetzungen für einen »kalten Atomtest« geschaffen worden. Es handelt sich dabei um eine Art Test, die am Ende eines Atomwaffenentwicklungsprogramms ansteht. Dabei wird eine vollständig montierte Atomwaffe gezündet, nur das waffenfähige Uran bleibt noch durch ein Surrogatmaterial ersetzt. Es ist in der Regel der letzte Test vor der Herstellung einer Atomwaffe.

Verschwundenes Nuklearmaterial

Varamin beherbergte dem Bericht zufolge eine geheime Einrichtung, um im Labormaßstab Uran umzuwandeln. Hierfür habe man Uran aus einer frühen, schwer zu bilanzierenden Stufe des Brennstoffzyklus entnommen, um es von der offiziellen Anwendung abzuzweigen und in Uranhexafluorid zu verwandeln, wie es für die spätere Anreicherung benötigt wird. In Turquzabad habe es ein Zwischenlager für den Transport von Nukleartechnik zwischen den verschiedenen Standorten gegeben. Die Organisation kommt in dem Bericht erstmals zu der Einschätzung, dass die erwähnten Standorte in direktem Zusammenhang mit verschwundenem nuklearen Material stehen.

Diese Informationen decken sich weitgehend mit dem, was Israel schon 2018 aufgedeckt hatte, als der Mossad aus einem geheimen Teheraner Lagerhaus 100.000 Dokumente über das Projekt Amad aus den Jahren 1999 bis 2003 in seinen Besitz brachte. Die Ermittlungen der IAEO, die nun zu übereinstimmenden Ergebnissen gelangt sind, bestätigen die Echtheit jener Dokumente, die die iranische Seite als Fälschungen bezeichnet.

Der Gouverneursrat der IAEO hat das Thema schon mehrfach behandelt und steht nun vor der Frage, ob die Angelegenheit an den UN-Sicherheitsrat verwiesen werden soll. Es sieht eher danach aus, dass der Gouverneursrat einen weiteren Tadel aussprechen wird.

Doch diplomatische Rügen lässt der Iran an sich abprallen. Das zeigt sich besonders deutlich an den Daten über seine Uranvorräte, die von der IAEO vierteljährlich mitgeteilt werden. Im jüngsten Berichtszeitraum hat der Iran demnach seinen Bestand an Uran mit 60prozentiger Anreicherung von 275 auf 409 Kilogramm erhöht, genug für mindestens neun Atombomben, wenn man den nächsten Schritt zu waffenfähiger Anreicherung (90 Prozent) unternimmt. Das bedeutet eine Steigerung um 49 Prozent seit dem vorigen Quartalsbericht von Februar. Schon dieser konstatierte gegenüber dem Quartalsbericht von November 2024 eine Steigerung der Menge angereicherten Urans um 30 Prozent. Ein Bemühen um Beilegung des Konflikts sieht anders aus.

»Recht auf Urananreicherung«

Gleichwohl haben sich Vertreter der USA und des Iran unter Vermittlung des Sultanats Oman seit Mitte April mehrmals zu Gesprächen getroffen. Dabei soll Außenminister Abbas Araghchi für die iranische Seite angeboten haben, im Gegenzug für die Aufhebung der westlichen Sanktionen die Urananreicherung deutlich zu reduzieren und in einem letzten Schritt auch das hochangereicherte Material an einen Drittstaat abzugeben. Man bestehe allerdings auf einer formellen Anerkennung des »Rechts auf Urananreicherung«. Diese Forderung hat das Staatsoberhaupt Ali Khamenei für unverzichtbar erklärt.

Für die USA präsentierte der Nahostgesandte des US-Präsidenten, Steve Witkoff, den Vorschlag eines regionalen Konsortiums für niedrige Urananreicherung. Denkbar wäre, dass sich etwa Iran, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate daran beteiligten. Eine von diesem Konsortium zu errichtende Anlage könnte auf einer Insel im Persischen Golf unter Kontrolle der IAEO betrieben werden. Widersprüchlich sind die Meldungen über die Rolle der USA bei einem solchen Projekt. Mal werden sie als weiterer Teilnehmerstaat genannt, ein andermal heißt es, US-amerikanische Waffeninspekteure müssten neben solchen der IAEO Zutritt erhalten.

Witkoffs Idee hat ein nicht unbedeutendes Vorbild. Den Deutschen wurde in der Nachkriegszeit eine Urananreicherung nur im Verbund mit Briten und Niederländern erlaubt. So entstand der Energie- und Technologiekonzern Urenco mit Niederlassungen in Gronau, Almelo und Capenhurst.

Gegenwärtige Situation eine vollkommen andere als 2015

Der Iran hat sich offen für die Idee ­eines regionalen Konsortiums gezeigt, solange die von diesem betriebene Fa­brik auf iranischem Boden stünde. Das aber ist der springende Punkt: Bleiben die iranischen Anlagen samt der ihnen zuarbeitenden Infrastruktur physisch erhalten, wären die Iraner aufgrund ihres inzwischen erworbenen Knowhows in der Lage, ihre nukleare Aufrüstung kurzfristig und in vollem Umfang wiederherzustellen.

Daher ist die gegenwärtige Situation eine vollkommen andere als 2015 während der Verhandlungen um das Wiener Atomabkommen ­JCPOA. Vor zehn Jahren betrug die Ausbruchsfrist, innerhalb derer der Iran bei Aufhebung der Beschränkungen atomwaffenfähiges Uran produzieren kann, zwölf Monate. Mittlerweile sind es vier bis fünf.

Donald Trumps jüngste Idee war es, den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu animieren, sich in die Gespräche einzumischen, was dieser auch zusagte.

US-Präsident Donald Trump kommentierte die Gespräche mit Wohlwollen. Er sprach von einer konstruktiven Atmosphäre, von Fortschritten und einer besseren Zukunft. Offenbar stören ihn die Informationen, mit denen er 2018 das Ausscheren der USA aus dem JCPOA begründete, derzeit nicht mehr. Seine jüngste Idee war es, den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu animieren, sich in die Gespräche einzumischen, was dieser auch zusagte. Russland und Iran pflegen eine enge Partnerschaft; der Iran gilt als Russlands wichtigster Waffenlieferant.

Unabhängig davon haben Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die im JCPOA geblieben sind, noch bis zum 18. Oktober die Möglichkeit, den sogenannten Snapback-Mechanismus des Abkommens auszulösen, der es erlaubt, alle früheren UN-Sanktionen gegen den Iran zu reaktivieren. Dann läuft die Resolution aus, die sie dazu befähigt. Doch die so oft beschworene Eigenständigkeit der europäischen Politik lässt sich bisher auf sich warten.

Zuerst müssten sich die europäischen Staaten zu der fast schon banalen Erkenntnis durchringen, dass eine Beilegung des Atomkonflikts ohne die Beteiligung Israels nicht funktionieren kann. Diese Einsicht wäre die Voraussetzung dafür, über alles Weitere sinnvoll reden zu können.