»Nawrocki sagte, dass Deutschland Polen Flüchtlinge aufzwingen wolle«
Wie bedeutend war die zurückliegende Präsidentschaftswahl in Polen?
Das Präsidentenamt ist in Polen wichtiger als in Deutschland. Natürlich ist Nawrocki nun der Repräsentant des Landes. Vor allem aber kann er Gesetzesvorhaben verlangsamen und blockieren. Das geschah in den vergangenen anderthalb Jahren, seit die langjährige Regierung der rechtskonservativen Partei PiS von einer breiten liberal-konservativen Koalition unter Ministerpräsident Donald Tusk abgelöst wurde. Der bisherige Präsident, Andrzej Duda aus dem PiS-Lager, verhinderte verschiedene Reformen der neuen Regierung. Die Hoffnung war, dass diese Blockade mit einem neuen liberalen Präsidenten endlich verschwinden könnte.
Welche Rolle spielte das Thema Migration im Wahlkampf?
Insbesondere das Thema der deutschen Pushbacks spielte eine große Rolle. Nawrocki sagte immer wieder, dass Deutschland Polen Flüchtlinge aufzwingen wolle. Aber es ging nicht nur darum. Auch die mittlerweile starke Stimmung gegen die in Polen lebenden Flüchtlinge aus der Ukraine spielte eine Rolle.
»In den letzten Wochen des Wahlkampfs brachten die rechten Medien ohne Unterlass Berichte darüber, wie gefährlich westliche Großstädte durch die Flüchtlinge geworden seien. Selbst Verwandte von mir glauben, dass man sich in Berlin heute nicht mehr sicher durch die Stadt bewegen kann.«
War das Thema wahlentscheidend?
Nein. Es war wichtig. Aber wahlentscheidend war die gesellschaftliche Spaltung Polens und die Unfähigkeit der Regierungskoalition und ihres Präsidentschaftskandidaten, die Skepsis des ländlicheren, weniger gebildeten und östlichen Polens zu überwinden. Die Liberalen waren und sind unfähig, sich mit diese Teil der Gesellschaft zu verständigen.
Warum ließen sich viele polnische Wähler mit dem Thema Migration dazu bewegen, ihre Stimme Nawrocki zu geben?
In den letzten Wochen des Wahlkampfs brachten die rechten Medien ohne Unterlass Berichte darüber, wie gefährlich westliche Großstädte durch die Flüchtlinge geworden seien. Selbst Verwandte von mir glauben, dass man sich in Berlin heute nicht mehr sicher durch die Stadt bewegen kann. Zudem ist EU-Flüchtlingspolitik schwer zu erklären: Pushbacks, Dublin-Verfahren, das sind komplizierte Prozesse. Es wird auch nicht diskutiert, dass die polnische Migrationspolitik gescheitert ist. Trotz der Erklärung des Notstands an der Grenze, des Baus millionenteurer Zäune und der Aussetzung des Asylrechts kommen noch Menschen über Belarus nach Polen – auch wenn unser Außenminister gerade das Gegenteil behauptet.
Wie ist die Regierung Donald Tusks mit dem Thema umgegangen?
Das war sehr enttäuschend. Als PiS noch die Regierung stellte, sind Leute aus dem Umfeld Tusks mit uns in den Wäldern an der belarussischen Grenze unterwegs gewesen, um dort hilfsbedürftige Flüchtlinge zu unterstützen, zum Beispiel der heutige Justizminister Adam Bodnar. Nach der Wahl mussten wir jedoch feststellen, dass es ihnen wohl nicht um die Menschenrechte der Flüchtlinge ging, sondern um unsere Wählerstimmen. Mein Wunsch nach dem Debakel der Präsidentschaftswahl ist, dass die Regierung Tusk erkennt, dass es politisch nichts bringt, sich rhetorisch an die Rechte anzulehnen. Die Leuten wählen dann doch lieber das Original.