Alles so schön doppelbödig
Der Affe schreit immer noch. Das, was man im Opener »Nose for a Mountain« des neuen Albums »Squeeze Me« von Sophie Kennedy direkt zu Beginn zu hören bekommt, nämlich einen elektronisch verzerrten Schrei des Urwaldtiers, erinnert an das, was auch schon auf ihrer Vorgängerplatte »Monsters« von 2021 erklang, wo eine Affenhorde das Outro von »Francis« lautstark aufmischte. Auf »Squeeze Me« durchdringt der Schrei hier und da das Klanggeschehen, und man fragt sich: Ist das der Affe von »Monsters«?
Derlei Spielchen reizen die Musikerin Sophia Kennedy. Als Fünfjährige zog die gebürtige US-Amerikanerin mit der Familie von Baltimore in die niedersächsische Provinz. Dem Fernsehkulturmagazin »Titel, Thesen, Temperamente« verriet sie, dass ihr bei ihrer Ankunft, als sie nur Englisch sprach, alles wie eine »Alptraumwelt« erschien: »Es wird mit einem viel geredet, doch man kann nicht antworten. Wie Unterwassergeräusche von überall her, die man nicht einordnen, deuten kann.«
Obskur, gar gruselig wirkten auf sie die deutschen Kinderlieder, worin es vor Zwietracht, Jägern und toten Tieren nur so wimmle, so Kennedy einmal in einem Gespräch an der Folkwang-Universität in Essen. Diese Morbidität stand im Kontrast zum Zucker der Disney-Filme, die sie bislang aus den USA kannte. Das Uneindeutige, Absurde und Abgründige lebt nun, von Kennedy kontrolliert, in ihrer Musik fort.
Kennedys Songs sind seit jeher dicht: Mehrschichtige Collagen aus Geräuschen, Soundschnipseln, Samples und komplexen Arrangements, in denen erstaunlich viel passiert.
Kennedys Songs schlüpfen aus den Rissen in der Wirklichkeit, in denen Traumzustand, Halluzination und Illusion die Oberhand haben. Programmatik und Bekenntnisse liegen der Musikerin fern. Zwar sind Kennedys Songs völlig gegenwärtig, doch sie sträuben sich gegen jeglichen Aktualitätsbezug, mithin einseitige Inanspruchnahme. Im Gespräch mit dem New Statesman bemerkte sie einmal: »Ich glaube, man kann tief in sich gehen, wenn man ein Lied über Erdbeeren schreibt. Ich glaube auch, dass man ein Lied über Erdbeeren schreiben kann, aber eigentlich schreibt man über seinen toten Onkel.« Dem Lyrischen zugeneigt, herrscht in den Songtexten flirrende Polyvalenz. Dem ungefilterten Blick aufs Persönliche setzt sie textlich das Rhapsodische, Mehrstimmige entgegen oder geht komplett auf in Stilisierung, wie schon bei ihrer ersten Musikveröffentlichung, der Single »Angel Lagoon« (2013), einer Yacht-Rock-Nummer mit ordentlich Grandezza.
Mit sicherer Geste und lässiger Verspieltheit kreuzen sich auf ihren Alben die unterschiedlichsten Musik- sowie Gesangsstile. Der Rückgriff auf die Musikgeschichte erstarrt hier aber nicht im bloßen Zitat. Vielmehr wird das Erbe von Showtune, Doo Wop und Crooning dank der Klanggestaltung auf ein neues Level, wenn man es so nennen will das Kennedy-Level, gehoben. Würdigend und unbekümmert zugleich nimmt sich diese Revitalisierung aus, an der Musikproduzent und Multiinstrumentalist Mense Reents (Die Vögel, Die Goldenen Zitronen) großen Anteil hat. Seit Kennedys selbstbetiteltem Debütalbum von 2017 sind die beiden ein Gespann. Die Songs sind seit jeher dicht: Mehrschichtige Collagen aus Geräuschen, Soundschnipseln, Samples und komplexen Arrangements, in denen erstaunlich viel passiert – in gar nicht mal so viel Zeit.
Der Rhythmus eines Augenblicks
Kennedys Album »Monsters« entstand merklich unter dem Eindruck vom Tod des Vaters sowie der Großeltern. Mit Vergänglichkeit hebt nun auch »Squeeze Me« an. Mit fester Bruststimme wandelt Kennedy über ein zwei Takte langes rhythmisches Pattern, das im hypnotischen Loop das Rückgrat des Songs bildet, und singt: »My mother’s sleeping / I touch her face«. Das Bild der schlafenden Mutter, die nicht hört, nicht spricht, nicht (zurück)schaut – als Kind ein zuweilen irritierender Anblick. Für einen Moment schweigt die Welt, die eigene Verletzlichkeit wird spürbar, wenn die elterliche Schutzmacht aussetzt.
Selbst als Erwachsene wirkt jener Anblick nicht minder, ist das Bild der ruhenden Mutter doch eine Vorwegnahme ihres Todes. »The nose is a mountain / The mouth is a lake«. Das Gesicht der Mutter wird zur Landschaft. Magisches Denken gegen die Vergänglichkeit, denn bekanntlich überdauern Berge und Seen ein Menschenleben. Der poetische Moment erhält eine Wendung durch einen Anruf: »A friend’s on the phone / I ask who God is / But she doesn’t know / I ask who the boss is / She says: Me«. Geht es hier um Metaphysisches? Um Unterwerfung?
Alles schön doppelbödig also. Indes pausiert der Rhythmus einen Augenblick, setzt wieder ein, samt einer spukhaften Theremin-Melodie und einem hohen, lang gespielten Violinton, der Spannung erzeugt. Mit Verweis auf Walt Disneys »Bambi« folgt die bittere Einsicht: »Like the deer in the movie / Although I’m grown / I know that someday / I’ll be alone«. Diese existentielle Zwangsläufigkeit vor Augen, wechselt Kennedy in die sanfte Kopfstimme. Lichte Klavierharmonien und gezupfte Akkorde einer Akustikgitarre begleiten sie. Das hat etwas Kathartisches, und statt sich ins Internet zu flüchten, geht es – jawohl! – ins Kino, wo »They jump in time / It’s the place where dead / Come back to life«.
Einzelne Affenlaute, die sich zu trübseligen Bläsern gesellen
Vom Kino auf die Straße mit der zweiten Nummer »Imaginary Friend«. Auf Textebene reflektiert Kennedy wieder die Trauer, wesentlich leichter kommt dafür die Klangstruktur daher: Der Song zeigt sich im luftigen Easy-Listening-Gewand. Repetitive Klavieranschläge flattern ab und an über den geschmeidigen Beat des Drumcomputers. Der Orgelsound, simpel gehalten und in den richtigen Momenten durch pitch bending variiert, erzeugt einen Sog. Erneut, wenngleich versteckter, erklingen einzelne Affenlaute, die sich zu trübseligen Bläsern gesellen. Dann ein Knistern, wie das von Brausepulver, oder sind es prasselnde Regentropfen?
Die Instrumentierung wirkt aufgeräumt auf diesem Album, welches insgesamt reduzierter daherkommt als die Vorgänger. »Got the devil’s golden locks / Strapped to the back of the car«, heißt es im dritten Song »Drive the Lorry«, der Elemente aus Bossa Nova und Reggae mit anmutigen Streichern vereint. Im Märchen »Der Teufel mit den drei goldenen Locken« versinnbildlichen die goldenen Locken Erkenntnis und sind praktisch die Essenz der an Handlung reichen Erzählung – »Squeeze Me« konzentriert sich aufs Wesentliche. Struktur ist Kennedy wichtig, auch wohl um zugänglich zu bleiben. Mit dem Format Hörspiel und der Arbeit als Musikerin an hiesigen Theaterhäusern vertraut, weiß sie, geschickt Atmosphäre zu erzeugen, setzt Klang mit Bedacht als dramaturgisches Mittel ein.
Das Instrumentalstück »Upstairs Cabaret« ist brillant: Wenn die Zahnräder einer Zeitmaschine Klänge von sich gäben, würden sie vielleicht wie dieser Track klingen.
Schließlich ist da noch ihre Stimme: Facettenreich, mehrere Oktaven umfassend, verleiht sie dem Album Konsistenz, spinnt zwischen den zehn Songs, allesamt Unikate, ein Band, ohne dabei deren jeweilige Eigengesetzlichkeit aufzukündigen. Wie etwa die von »Hot Match«, wo treibender Post-Punk ohne Gitarren auskommt und diese durch quietschende Reifen und aufheulende Motoren ersetzt werden. Auch das Instrumentalstück »Upstairs Cabaret« ist brillant: Wenn die Zahnräder einer Zeitmaschine Klänge von sich gäben, würden sie vielleicht wie dieser Track klingen. Mit dem Ohrwurm »Rodeo« besingt Kennedy die menschengemachte unheilvolle Zukunft: »Where are you taking me / Oh rodeo / Your antlers pierce the fig tree branch«. Man denkt an den auf offenem Meer treibenden Odysseus – nur ein Feigenbaum bewahrte ihn vorm Schlund des Ungeheuers Charybdis.
Nur zu gern folgt man der Aufforderung des Albumtitels »Squeeze Me« – und drückt die Platte fest an sich. Man horcht hinein in die zehn Songs und entdeckt auch bei wiederholtem Hören Überraschendes: einen Klang, ein Geräusch, eine Phrasierung des Gesangs, die der Wahrnehmung bisher verborgen geblieben war.
Sophia Kennedy: Squeeze Me (City Slang)