19.06.2025
Paare, Passanten, Passagiere – Zeichnen in der Untergrundbahn und warum das eine Herausforderung ist

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: In der U-Bahn

In den letzten Wochen waren Julia und ich öfter mit der U-Bahn unterwegs. Fast immer zeichnen wir dort die Leute. Julia zeichnet eigentlich, wo sie geht und steht, auch auf dem Weg zur Arbeit. In der U-Bahn zu zeichnen, ist anspruchsvoll, erfordert Schnelligkeit und Anpassungsfähigkeit. Aber manches können wir auch schon aus der Erinnerung zeichnen.

Zum Beispiel Hände, die Handys halten, und die dazu gehörenden Körperhaltungen. Denn fast alle starren in ihre Handys, sind versunken in die digitale Kommunikation. Mental also an einem anderen Ort. Zuverlässige Modelle sind sie trotzdem nicht. Schon im nächsten Moment stehen sie vielleicht auf und sind weg.

Manche gucken konsterniert oder posieren

Dann drängt sich plötzlich eine ganze Gruppe in die Bahn, verdeckt den Blick. Wo bleibe ich jetzt mit meiner angefangenen Zeichnung? Ich setze den Körper aus einer anderen Person zusammen, die sich auf denselben Platz setzt. Oder einer Person, die ganz woanders sitzt. Oder es bleibt ein Fragment. So ist es eben. Perfekt und ruhig ist es nie.

Im Unterschied zu den Handyglotzern sind Julia und ich ganz im Moment und scannen unsere Umgebung genau ab. Manchmal fällt es Leuten auf, dass sie angestarrt werden. Dann gucken sie konsterniert oder posieren, als würde ein Foto gemacht. Wenn ihr wüsstet, was ich hier aufs Papier krakele! Meist versuche ich, mein »Opfer« abzulenken, indem ich mich abwende und demonstrativ etwas anderes zeichne. Nur um dann ein paar Minuten später die Zeichnung an meinem ursprünglichen Modell fortzusetzen.

Mehrere Leute guckten sich meine Skizzen wohlwollend an und zeigten mit dem Daumen nach oben. Das fanden sie jetzt gut?

Selten habe ich mal Geduld oder Gelegenheit, um Menschen im Detail zu zeichnen, meist bleibt es bei Typen und Körperhaltungen. Diese losen Umrisszeichnungen sehen im Skizzenbuch wenig beeindruckend aus. Zu Hause koloriere ich mein »Retuschematerial« gern noch stundenlang. Verdichte die Schatten langsam Schicht um Schicht.

Unlängst fuhren Julia und ich wieder mit der U-Bahn. Weil ich keine neue Seite anfangen wollte, zeichnete ich die Leute in der Bahn in die Leerstellen einer bereits kolorierten Doppelseite. »Sieht toll aus«, hörte ich eine Frau sagen. Mehrere Leute guckten sich meine Skizzen wohlwollend an und zeigten mit dem Daumen nach oben. Das fanden sie jetzt gut?

Die Leute haben ja gar keine Vorstellung, wie kompliziert es ist, in der U-Bahn zu zeichnen. Als hätte ich die Doppelseite wie mit Zauberhand direkt hier vor Ort koloriert! »So muss man’s machen«, raunte ich Julia zu. »Du bist so ein Faker!« zischte sie.