19.06.2025
Die französische Regierung versucht, Umweltvorschriften zu lockern und zu umgehen

Schwarze Woche für die Umwelt

Pestizide wieder zulassen, strittige Autobahn bauen: Die französische Regierung geht mit parlamentarischen Verfahrenstricks gegen ökologische Regelungen vor.

Paris. Umweltschutz ist passé. Dieser Eindruck drängt sich auf, schaut man sich die Art und Weise an, wie die französische Regierung derzeit versucht, entsprechende Vorschriften zu lockern – die Grünen-Vorsitzende Marine Tondelier sprach Anfang Juni von einer »schwarzen Woche für die Ökologie«.

Am Dienstag stimmten die Abgeordneten der Staatspräsident Emmanuel Macron unterstützenden wirtschaftsliberalen Regierungspartei Renaissance aus taktischen Gründen gegen den von der Regierung eingebrachten Gesetzentwurf »zur Vereinfachung des Wirtschaftslebens«. Aber nicht, um ihn – beispielsweise gemeinsam mit linken Abgeordneten – zu kippen, sondern weil ihre Fraktion beschlossen hatte, ihn lieber in einen Vermittlungsausschuss zu überstellen. Dadurch wird die weitere Debatte aus der Nationalversammlung herausgehalten und so auch die öffentliche Diskussion der geplanten Neuregelungen heruntergekocht.

Der Gesetzentwurf soll Umweltvorschriften zugunsten von Unternehmen lockern.

Der Gesetzentwurf soll Umweltvorschriften zugunsten von Unternehmen lockern. Vor allem sollen das seit 2021 unter der Bezeichnung zéro artificialisation nette des sols geltende Verbot weiterer Bodenversiegelung – für jede neue versiegelte Fläche musste seither anderswo eine entsprechende Fläche renaturiert werden – sowie die 2019 eingeführten und 2021 stark ausgeweiteten »abgasarmen Zonen« (ZFE, zones à faibles émissions) zurückgenommen werden.

In der Öffentlichkeit waren vor allem diese seit 2021 in größeren Städten obligatorischen Zonen umstritten. Sie verbieten ab einem bestimmten Grad der Luftverschmutzung Dieselfahrzeugen, die vor 2011 zugelassen wurden, und Benzinern mit einer Zulassung vor 2006 die Einfahrt in Teile der Innenstädte. Dies trifft vor allem ärmere Autofahrer und Pendler, weshalb begleitende Maßnahmen wie eine verbesserte Mobilität mit öffentlichen Verkehrsmitteln, finanzielle Hilfen beim Carsharing oder beim Umstieg auf schadstoffärmere Wagen notwendig gewesen wären – aber unterblieben.

Die zuständige Sonderkommission der französischen Nationalversammlung hatte bereits Ende März für die Abschaffung der ZFE votiert. Dem stimmte im Plenum der Nationalversammlung am 28. Mai eine in dieser Form unerwartete Allianz aus den neben Renaissance mitregierenden Konservativen (Les Républicains, LR), oppositionellen Rechtsextremen und den ebenso oppositionellen Linkspopulisten von La France insoumise (LFI) zu. So kam es, dass ein entsprechender Artikel, der den Zonen ein Ende setzt, in das Vereinfachungsgesetz aufgenommen wurde. LFI wollte sich damit als Verteidigerin einkommensschwacher Haushalte profilieren. Die Rechten unterschiedlicher Couleur halten Umweltschutz ohnehin meist für Schnickschnack.

Interessen unterschiedlicher Kapitalfraktionen lieber nicht im Parlamentsplenum debattieren

Doch einige Tage später kam es zu Unstimmigkeiten im Regierungslager, am 10. Juni beschwerte sich Staatspräsident Emmanuel Macron über diesen umweltpolitischen »Rückschritt«. An diesem Punkt rieben sich die Interessen von Kapitalfraktionen, die ökologischer Modernisierung aufgeschlossen begegnen, mit denen eher populistisch gesinnter, traditionalistischer Kräfte. Das in den vergangenen Tagen von Macrons Anhängern gewählte Verfahren soll Abhilfe schaffen: Der Text soll lieber nicht im Parlamentsplenum debattiert, sondern im Vermittlungsausschuss ausgehandelt werden.

Bereits am 2. Juni hatten die Parlamentarier von Renaissance und LR zusammen mit denen der extremen Rechten für die Nichtbefassung der Nationalversammlung mit dem Bestätigungsgesetz (loi de validation) für umstrittene Infrastrukturprojekte gestimmt – auch hier aus rein taktischen Motiven.

Das Gesetz sollte ein Gerichtsurteil aushebeln, das ein umweltschädliches sowie verkehrspolitisch unnötiges Infrastrukturvorhaben aufhielt: Am 27. Fe­bruar hatte das Verwaltungsgericht von Toulouse den Bau der äußerst umstrittenen 62 Kilometer langen Autobahn A69 von Castres nach Verfeil (Haute-Garonne) in Südfrankreich angehalten. Hinter dem Bau stehen mächtige Interessen: die des Pharmakonzerns Pierre Fabre mit Sitz in ­Castres, der ­privaten Betreibergesellschaft Atosca – für den kurzen Autobahnabschnitt, der nur wenige Minuten Fahrzeit gegenüber einer bestehenden Schnellstraße einsparen soll, sind 17 Euro Mautgebühr geplant – sowie der lokalen Bauindustrie. Dafür würden einzigartige Feuchtgebiete geopfert.

Allerdings wurden bereits 300 Millionen Euro verbaut. Deswegen kam aus Regierungs- wie Wirtschaftskreisen ein Aufschrei wegen des Urteils. Die Regierung hat den Weiterbau ab Mitte Juni angeordnet.

Leugnung des Klimawandels

Ebenso wurde am 26. Mai mit dem nach einem LR-Abgeordneten und Agrar­lobbyisten benannten Entwurf für ein neues Landwirtschaftsgesetz (loi Duplomb) verfahren: ab damit in den Vermittlungsausschuss. Es soll vor allem bislang verbotene Pestizide »provisorisch« wieder zulassen, darunter das Insektengift Acetamiprid, welches in Frankreich seit 2020 ver­boten – in der übrigen EU aber noch bis in acht Jahren vorläufig zugelassen – ist.

In all diesen Fällen zogen wirtschaftsliberale Anhänger des Präsidenten, Konservative und Abgeordnete des rechtsextremen Rassemblement national (RN) an einem Strang. Der RN ist in den vergangenen zehn Jahren von einer teilweise nationalromantischen Vision – der zufolge Landschaftsschutz Heimat- und Volkstumsschutz bedeutet, insbesondere aber auch die einheimische Tierwelt gegen invasive Arten zu verteidigen ist – zu einer Position des knallharten Agrar- und Industrielobbyismus übergegangen. Bei Teilen des RN geht dies in jüngster Zeit mit einer mal impliziten, mal offen ausgesprochenen Leugnung des Klimawandels einher.

Der Rassemblement national ist von einer teilweise nationalromantischen Vision – der zufolge Landschafts­schutz Heimat- und Volkstumsschutz bedeutet – zu knallhartem Agrar- und Industrielobbyismus übergegangen.

Die Ablehnung der Gesetzentwürfe respektive der Beschluss zur Nichtbefassung der Nationalversammlung dient lediglich dazu, dass die jeweils bereits im Senat, dem parlamentarischen Oberhaus, verabschiedeten Textfassungen nun in die Vermittlungskommission zwischen beiden Häusern (commission mixte paritaire, CMP) geschickt werden.

Eine solche muss der Verfassung zufolge gebildet werden, wenn Nationalversammlung und Senat sich bei der Abstimmung über einen Text nicht einig werden. Kommt dauerhaft kein Kompromiss zustande, dann hat verfassungsrechtlich die Nationalversammlung das letzte Wort.

Ziel des Manövers ist es, sich im Vermittlungsausschuss allein auf die Positionen des traditionell von den Konservativen dominierten Senats stützen zu können. Die Nichtbefassung der Nationalversammlung wird in diesen drei Fällen einfach als Beschluss gewertet, keinen eigenen Entwurf in die CMP einzubringen. Das erlaubt es, auf der Textfassung des Senats aufzubauen. Erstmals hatte eine Mehrheit von Renaissance über LR bis zum RN in der Nationalversammlung diesen Weg über den Senat beschritten: So wurde im Dezember 2023 ein verschärftes Ausländergesetz verabschiedet, das im Januar 2024 in Kraft trat.
Überdies tagt der Vermittlungsausschuss nichtöffentlich. Auf diese Weise lassen sich alle »Kompromisse« hinter verschlossenen Türen aushandeln statt unter den Augen der Presse.