19.06.2025
Der israelische Angriff offenbart, wie schwach das iranische Regime ist

Eiskalt erwischt

Für den Iran kamen die israelischen Angriffe überraschend. Jetzt steht das Regime in Teheran an einem Wendepunkt und könnte in seiner Existenz bedroht sein.

Freitag, der 13. Juni, dürfte wohl kaum als Glückstag in die Geschichte des Iran eingehen – zumindest aus der Perspektive der Mullahs. Denn in den frühen Morgenstunden dieses Tags griffen rund 200 Kampfflugzeuge der israelischen Luftwaffe Ziele im ganzen Land an. Die großangelegte Militäroperation, die den Namen »Rising Lion« erhielt, galt den iranischen Nuklearanlagen und der militärischen Infrastruktur, aber auch der Führungsriege der Islamischen Revolutionsgarden.

Soweit bislang bekannt wurde, gelang es den Israelis dabei, unter anderem Hussein Salami, den Obersten Befehlshaber der Revolutionsgarden, und Brigadegeneral Amir Ali Hajizadeh, den Kommandeur des Raketenprogramms, zu töten. Ferner traf es – auch an den folgenden Tagen – hochrangige Wissenschaftler des Atomprogramms und zahlreiche Militärkommandeure. Im Gegenzug begann der Iran, israelische Städte mit ballistischen Raketen zu beschießen, entsandte zahlreiche Kampfdrohnen und kündigte an, aus dem Atomwaffensperrvertrag auszutreten.

Angebahnt hatte sich ein solcher Militärschlag schon lange. Fraglich schien nur, ob Israel allein vorgehen würde oder gemeinsam mit den USA.

Am Freitagmorgen begründete der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu das Vorgehen in einer Videobotschaft: In den vergangenen Jahren habe der Iran genug hochangereichertes Uran für neun Atombomben produziert. »Der Iran hat Schritte unternommen, die er noch nie zuvor unternommen hat. Schritte, um dieses angereicherte Uran waffenfähig zu machen, und wenn er nicht aufgehalten wird, könnte der Iran in sehr kurzer Zeit eine Atomwaffe herstellen.« Und weiter: »Das könnte ein Jahr dauern. Es könnte aber auch innerhalb weniger Monate passieren.« Deshalb habe man »präventiv« zugeschlagen.

Angebahnt hatte sich ein solcher Militärschlag schon lange. Fraglich schien nur, ob Israel allein vorgehen würde oder gemeinsam mit den USA. Seit Jahren warnte Israel, dass der Iran auf dem besten Wege sei, eine Atommacht zu werden; das könne Israel keinesfalls tolerieren. Nur der Zeitpunkt war dann wohl doch überraschend – schließlich wollten die USA ein neues Atomabkommen mit dem Iran schließen, und die Beziehungen zwischen Präsident Donald Trump und Netanyahu hatten aufgrund unterschiedlicher Haltungen zum Krieg im Gaza-Streifen und zur US-amerikanischen Verständigung mit den Houthis im Jemen gerade einen Tiefpunkt erreicht.

Zugleich hielten in den Tagen vor dem 13. Juni innenpolitische Themen die Israelis in Atem. Die ultraorthodoxen Parteien drohten wegen des möglichen Endes der Ausnahmeregelung, die junge Männer aus ihren Reihen vom Wehrdienst freistellt, mit dem Ausstieg aus der Koalition. Doch scheiterte die Opposition mit dem Versuch, diese Parteien auf ihre Seite zu ziehen und durch eine Auflösung der Knesset vorzeitig Neuwahlen herbeizuführen. Auch stand am 16. Juni die Hochzeit von Netanyahus jüngstem Sohn Avner an – auch das ließ viele glauben, dass ein Militärschlag auf den Iran gerade unwahrscheinlich sei, die Hochzeit wurde dann aber verschoben.

Etwas lag in der Luft

Israel und die USA hätten eine Desinformationskampagne betrieben, um den Iran vorzugaukeln, dass ein Angriff auf seine Atomanlagen nicht unmittelbar bevorstehe, sagte ein anonym gebliebener israelischer Regierungsvertreter der Times of Israel. Dazu zählte ebenfalls die wohl absichtlich durchgestochene Nachricht am Montag voriger Woche über ein »dramatisches« Gespräch zwischen Trump und Netanyahu, wobei Trump gesagt haben soll, dass es keinen Militärschlag geben dürfe, solange die Atomgespräche nicht als gescheitert gelten.

Eine sechste Runde mit Vertretern beider Länder hätte am Sonntag in Oman stattfinden sollen, wurde aber am Wochenende vom Iran abgesagt. »Wir wussten alles, und ich habe versucht, dem Iran Demütigung und Tod zu ersparen«, sagte Trump am Freitag. »Ich habe wirklich versucht, sie zu retten, denn ich hätte gerne gesehen, dass ein Abkommen zustande kommt.«

Dennoch gab es in den Stunden unmittelbar vor dem Angriff Anzeichen, dass etwas in der Luft lag. So hatte die Internationale Atomenergie-Organisation am Donnerstag voriger Woche erstmals seit 20 Jahren dem Iran offiziell vorgeworfen, entgegen allen Verpflichtungen Teile seines Atomprogramms nicht offenzulegen. Außerdem begannen die USA mit der Evakuierung von Mitarbeitern der Botschaft in Bagdad sowie von Angehörigen des Militärpersonals der Stützpunkte in der Golfregion. In Israel erhielten US-amerikanische Diplomaten die Order, sich nicht außerhalb von Tel Aviv, Jerusalem oder Be’er Sheva aufzuhalten.

Geheimdienstliche Niederlage für die Islamische Republik

»Dies ist eine geheimdienstliche Niederlage von existentiellem Ausmaß für die Islamische Republik«, lautet die Einschätzung der Ereignisse von Ali Fathollah-Nejad, dem Direktor des in Berlin ansässigen Think Tank Center for Middle East and Global Order. Dass der Iran unvorbereitet gewesen sei, offenbare »die Verwundbarkeit des Militär- und Sicherheitsapparats des Regimes und seiner wichtigsten Infrastruktur – einschließlich der nuklearen – sowie der obersten politischen und militärischen Führung.« Vor allem die Tatsache, dass es Israel gelungen war, auf iranischem Territorium Drohnen zu stationieren, die vor dem Angriff die Luftabwehr ausschalteten und Raketenstellungen angriffen, die Israel im Rahmen einer Vergeltungsaktion hätten gefährlich werden können, gilt als nachrichtendienstliche Meisterleistung.

»Die Vorbereitungen für diese Operation dauerten wohl mehr als ein Jahr«, so der Sicherheitsexperte Yossi Melman in der israelischen Tageszeitung Haaretz. »Mossad-Agenten hatten den Iran infiltriert und ein Netz von Agenten, Hilfskräften, sicheren Häusern sowie Werkstätten, Fahrzeugen, gefälschten Dokumenten und erfundenen Biographien aufgebaut – alles mit Hilfe modernster Technologien.« Demnach sind auch Drohnenkomponenten in den Iran geschmuggelt, dort zusammengesetzt und versteckt worden. All das beweise die strategische und technische Überlegenheit Israels, so Melman.

Über die genauen Schäden an den Atomanlagen gibt es zurzeit keine gesicherten Informationen. Nur so viel steht fest: Die Urananreicherungsanlage im 300 Kilometer südlich von Teheran gelegenen Natanz, wo sich 20.000 Zentrifugen befinden sollen, wurde ebenso getroffen wie ein atomarer Komplex nahe Isfahan, weitere 150 Kilometer weiter im Süden, sowie Parchin in unmittelbarer Nachbarschaft Teherans, wo der Iran Tests zur Simulation von nuklearen Explosionen durchführte. Weitere Angriffe galten der iranischen Erdgas- und Ölproduktion, dem wichtigsten Wirtschaftszweig des Landes; der Ölpreis stieg unmittelbar nach dem Angriff um zehn Prozent und mehr.

Iran steht ohne Verbündete da

Der Iran wurde nicht nur kalt von den israelischen Angriffen erwischt, er steht auch ohne Verbündete da. Syrien hat seit dem Sturz des Assad-Regimes einen neuen Machthaber und die Hamas ist stark dezimiert worden. Auch die durch die Kämpfe mit Israel ebenfalls geschwächte Hizbollah will sich nicht an einer Vergeltung beteiligen. »Ferner ist in ihren Reihen die Wut und Frustration über den Iran groß, der ihrer Meinung nach die Hizbollah während des jüngsten Kriegs im Stich gelassen hat, weil ihr nicht erlaubt wurde, das komplette Militärarsenal einzusetzen, um der israelischen Heimatfront ernsthaften Schaden zuzufügen«, so die Einschätzung von Nicholas Blanford, Experte für Syrien und den Libanon beim Think Tank Atlantic Council.

Aber auch im Iran selbst könnte den Mullahs Ungemach drohen. »Die nächtlichen Angriffe Israels haben viele Iraner erschüttert und wütend gemacht«, so die Iran-Expertin Holly Da­gres vom Washington Institute for Near East Policy. »Ein großer Teil dieser Wut richtet sich gegen ihre Führung – einige Iraner fragen beispielsweise, warum es keine Sirenen oder Schutzräume gab.« Das Regime stehe unter Rechtfertigungsdruck, weil die Iraner, die ohnehin unter den internationalen Wirtschaftssanktionen leiden, es satthaben, dass Milliarden für die Hizbollah oder Hamas ausgegeben werden, aber nichts für ihre Sicherheit.

Das bisherige Konzept des Regimes, zwar bis zum letzten Palästinenser, Jemeniten oder Libanesen gegen Israel zu kämpfen, aber selbst die direkte Konfrontation zu vermeiden, scheint endgültig gescheitert. Ob das Regime den Konflikt überdauert oder es gar schafft, die Iraner für einen Kampf zu mobilisieren, den sie eigentlich nur verlieren können, das werden die kommenden Wochen zeigen.