Hauptsache praktisch anschlussfähig und einfach zu vermitteln
Israels Politik ist Resultat der Notwendigkeit, jüdisches Leben gegen Vernichtung zu verteidigen. IDF-Kampfpanzer vom Typ Merkava IV
In Reaktion auf die grassierende Juden- und Israelfeindlichkeit nach dem 7. Oktober gründeten sich einige linke Gruppen, um in ihrem subkulturellen und politischen Milieu gegen Antisemitismus anzukämpfen (»Jungle World« 19/2025). Doch was bedeutet es, »antisemitismuskritisch« zu sein? Janosch Tillmann bemängelte die Tendenz mancher dieser Gruppen, sich aus Angst vor Widersprüchen in eine Äquidistanz zu flüchten, die die Hamas und Israel auf eine Stufe stellt und die jeweiligen »Opfer des Konflikts« bedauert (26/2025). Udo Wolter argumentiert dagegen. Er meint, dass es sich dabei auch um kritische Solidarität handeln könnte (29/2025). Die Gruppe »Den Pudding an die Wand nageln« kritisierte, dass antisemitismuskritische Gruppen die Sonderstellung Israels nicht mehr zum Ausgangspunkt ihrer Analyse machen (34/2025). Die Gruppe »Kollektiv für Emanzipation und Solidarität« (KES) sorgt sich um die Glaubwürdigkeit der Antisemitismuskritik, wenn die, die sie vorbringen, sich einseitig solidarisch zeigen und das Leid der palästinensischen Bevölkerung ignorieren (35/2025).
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Dem antisemitischen Ressentiment mit Agitation und Praxis beizukommen – diese Hoffnung bildet den Kern der politischen Arbeit linker Gruppen wie die Emanzipative & Antifaschistische Gruppe (EAG), kollektiv für Emanzipation und Solidarität (KES) und Tacheles. Janosch Tillmann hatte ihnen vorgeworfen, sie wichen vor der Solidarisierung mit dem jüdischen Staat zurück, um ihre pädagogischen Ziele nicht zu gefährden. Das trifft einen wahren Punkt, bleibt aber an der Oberfläche.
Die Haltung solcher Gruppierungen nur auf die »ökonomische und politische Korrumpiertheit dieses Milieus und seines ideologischen Amalgams« zurückzuführen, wie die Gruppe »Den Pudding an die Wand nageln« (PdW) an dieser Stelle mutmaßte, bleibt zudem flacher Jargon. Selbst wenn die kritisierten Gruppen nicht von Staatskohle abhängig wären und als Agenten ideologischer Staatsapparate aufträten, sähe ihre Praxis kaum anders aus. Vielmehr ist der Grund im virulenten Theorie-Praxis-Problem auszumachen, welches sich im Gebaren und Auftreten linker Gruppen widerspiegeln muss, wollen sie sich organisieren und praktisch werden. In den Blick zu nehmen sind die Formen, in denen man sich selbst verheddert.
»Jeder Organisationsversuch muß schon um seiner selbst willen ins Theorie-Praxis-Schema fallen: Verdinglichung der Kritik zur Politik«, schrieb Joachim Bruhn einmal, was letztlich heißt, dass Theorie in der Politik dem Kult der Vermittlung anheimfallen muss, wonach Theorie für positive Wahrheit zu halten wäre, die durchzusetzen sei und mit der man sich identifizieren müsse. Es wird um die richtige Vermittlung des Standpunktes gestritten, ohne zu bemerken, dass Vermittlung selbst der Mechanismus ist, durch den das Kapitalverhältnis sich im Denken fortsetzt. Denn Theorie wie Praxis sind Formen der gesellschaftlichen Synthesis, Ausdrücke für die zwei Seiten des gesellschaftlich produzierten Widerspruchs zwischen der Form des Subjekts (Arbeitskraft, Staatsbürger, Linker) und der Form, in der dieses sich die Wirklichkeit erschließt.
Deutsche Linke verwechseln Israel mit einem Gegenstand linker Politik, über den man nach Belieben diskutieren, urteilen, streiten könne.
Daher ist Theorie die geistige Reproduktion des Kapitalverhältnisses und ermöglicht Identität, die in der ihr korrespondierenden Praxis die Verwirklichung des Individuums vollzieht. Hier – im politischen Engagement – muss es sich über Werbung und Reklame unter die Leute bringen, empfiehlt sich weiter und ermöglicht sich Anschlussfähigkeit zu anderen. Die Theorie wird zur Legitimation, die Praxis zum Vollzug und die Kritik verliert sich in der Vermittlung.
»Antisemitismuskritische Bildungsarbeit« ist das Feld dafür. Es war Anfang der nuller Jahre, als in der Folge von 9/11 und der Debatte über einen »Neuen Antisemitismus« die Kritik des islamischen Antisemitismus lauter wurde. Antirassistische Fraktionen forderten ein, bei all der Kritik am Antisemitismus auch rassismuskritisch zu sein. Das theoretische Angebot ihrer postmodern unterfütterten Rassismustheorien und inhaltsleeren Othering-Topoi konnte unter die Menge gebracht werden und (antideutsche) Sozialarbeiter und Pädagogen wirkten dabei mit.
Nun wurde mit der von Niklas Luhmann, Zygmunt Baumann und Klaus Holz inspirierten Differenz- und Ambivalenztheorie operiert, nach der letztlich alle Katzen grau sind und die Moderne eine Epoche von Ambivalenzen ist. Fortan wollte man allgegenwärtig diskriminierungssensibel sein, die antisemitismus- und rassismuskritische Bildungsarbeit war geschaffen. Wer heute »antisemitismuskritische Praxis« betreibt, bewegt sich von vornherein in einem inhaltlich entleerten und vom Materialismus bereinigten »Theoriegebäude«.
Drang nach Ausgewogenheit
Was die eingangs genannten Gruppen gemeinsam haben, ist nicht die Kritik des Antisemitismus, sondern dessen pädagogische Verarbeitung, um in der Linken Anschlussfähigkeit zu generieren. Man verbleibt im Gehäuse der Politik und setzt das eigene »richtige« Engagement an erste Stelle. Daher auch das Insistieren darauf, man müsse alle Seiten und alles Leiden gleichermaßen betrachten. Anders als diese Gruppen meinen, heben sie sich damit nicht von der deutschen Gesellschaft ab.
In Wolters akademischem Bedürfnis nach Vermittlung der IHRA- und JDA-Definitionen und im Plädoyer von KES für »Solidarität mit universalistischem Anspruch« zeigt sich derselbe Drang nach Ausgewogenheit: bloß nicht zu weit gehen, alles Leid sehen, allen Seiten gerecht werden und nicht anecken! Und so spielt man »We Will Dance Again« auf derselben Bühne wie »No Other Land« und druckt, wie die EAG, Plakate gegen Hamas und Netanyahu gleichermaßen, damit man die größtmögliche Zahl von Likes generiert.
Es fehlt das Bewusstsein für die eigene Selektivität, was PdW präzise herausstellt, sofern Solidarität nicht dem Staat Israel als solchem gilt, sondern nur jenen Personen, mit denen man sich identifizieren will, als da wären Raver und linke Israelis. Diese Selektivität ist keine Panne, sondern Ausdruck der politischen Form selbst. Sobald die israelische Politik nicht mehr ins eigene Bild passt, wird die Solidarität suspendiert.
Von einer Zweistaatenlösung und von Frieden fabulieren
Es fehlt auch ein Bewusstsein dafür, dass man sich die Antisemiten damit einkauft und zu ihrem Stichwortgeber wird. Man fordert Solidarität mit der palästinensischen »Zivilgesellschaft« und fabuliert von einer Zweistaatenlösung und von Frieden, was so lange nicht ernsthaft umzusetzen ist, wie die islamischen Rackets herrschen und der Antisemitismus unter den Palästinensern virulent ist. Man macht sich blind für den umfassenden Antisemitismus jener alles andere als zivilen Gesellschaft. Die Massaker an und Vergewaltigungen von Israelis durch ebenjene blutrünstigen Rackets sind gesellschaftlich toleriert, wenn nicht gar gewünscht, was sich im allgemeinen Jubel bei der Zurschaustellung ihrer Opfer zeigt. Das ehrlich auszusprechen, wäre eine Position, die sich von der der deutschen Gesellschaft unterscheidet.
Israelsolidarität wird so zur moralischen Modefrage. Sie ist so lange erlaubt, wie Israel »richtig« handelt, aber zu widerrufen, sobald es militärisch reagiert. Das ist nicht Kritik, sondern politischer Opportunismus. Solidarität, die an Bedingungen geknüpft ist, verrät das Fundament, auf dem sie stehen müsste.
An diesem Punkt ist der Unterschied zu benennen, der immer wieder übersehen wird: Israel ist nicht einfach ein Staat wie jeder andere. Seine Staatsgründung ist negativ aus dem Antisemitismus, aus der Erfahrung der Vernichtung, aus der Notwendigkeit, jüdisches Leben zu schützen, bestimmt. Diese Grundlage unterscheidet die israelische Politik fundamental von den endlosen Debatten deutscher Linker. Sie verwechseln Israel mit einem Gegenstand linker Politik, über den man nach Belieben diskutieren, urteilen, streiten könne. Doch Israels Politik unterscheidet sich gerade dadurch von linkem Gerede: Sie ist nicht Ausdruck moralischer Selbstvergewisserung, sondern Resultat der Notwendigkeit, jüdisches Leben gegen Vernichtung zu verteidigen.
Dass Israels Politik notwendigerweise Entscheidungen trifft, die in anderen Staaten als »moralisch problematisch« gelten würden, ist Folge dieser negativen Staatsbegründung. Jede militärische Maßnahme steht unter der Bedingung, die eigene Existenz zu sichern. Wer das verkennt, stellt die Solidarität unter Vorbehalt; die Einsicht in die Partikularität des Zionismus ist notwendige Bedingung für Solidarität.
Weder mit Hamas noch PLO ist eine Zweistaatenlösung zu verwirklichen
Weit gefehlt wäre es, die Kritik nur auf die genannten Gruppen zu beschränken. Auch Klaus Bittermann liefert in altlinkem Gewand Bedienungsanleitungen für die richtige »Israelkritik«, Johannes Simon identifiziert einen »moralischen Tiefpunkt in der Geschichte Israels« und attestiert der Regierung politischen Nihilismus. So wird ein Beschluss der Knesset angegriffen, der mit überwältigender Mehrheit das historische Recht auf ganz Israel bekräftigt, ohne einzugestehen, dass man sich damit nicht gegen eine »rechtsautoritäre Regierung«, sondern gegen die Mehrheit der israelischen Volksvertretung und deren Souveränität selbst richtet.
Welche palästinensischen Fraktionen eine staatliche Ordnung tragen sollten, bleibt unausgesprochen, wohl auch, weil es keine gibt, die nicht »from the river to the sea« skandiert. Weder mit der Hamas noch der PLO ist eine Zweistaatenlösung zu verwirklichen, dessen ist sich Israel bewusst – ganz im Gegensatz zur westlichen Debatte, die gebetsmühlenartig auf eine solche unmögliche Lösung dringt.
So notwendig und respektabel die Wiederbelebung teils alteingesessener Genossen und ihre Intervention seit dem 7. Oktober sind – gewiss, KES und Konsorten machen einiges durch –, so bezeichnend ist dann doch deren Auftreten.
Auch eine auf Kriegswirtschaft und ausländischer Rentenabhängigkeit fußende Ökonomie – finanziert durch Katar, Iran, UNRWA oder EU – kann keine Grundlage für einen Staat bilden, wie Leo Elser jüngst in der Zeitschrift Pólemos ausführte. Wer das ausblendet, degradiert die Existenzfrage des jüdischen Staates zur Schönwetterfrage. Was bleibt, ist das Spiegelspiel der Politik: Um im Gespräch zu bleiben, reagiert man auf die Antisemiten, will Deutungshoheit erlangen, um im Spiel zu bleiben.
So notwendig und respektabel die Wiederbelebung teils alteingesessener Genossen und ihre Intervention seit dem 7. Oktober sind – gewiss, KES und Konsorten machen einiges durch –, so bezeichnend ist dann doch deren Auftreten. Würden sie sich nicht als die Speerspitze der Antisemitismuskritik gerieren, wäre dieses nicht weiter der Rede wert.
Nur wäre eine Reflexion auf die eigene Praxis und die Begriffe, auf die man sich bezieht, weitaus angebrachter als eine Abwehr von Kritik oder gar die Verballhornung Eike Geisels, der wie kein anderer die Heuchelei antizionistischer Pädagogen durchschaute, die tatsächlich der Ansicht sind, man könne die Kritik des Antisemitismus nur dann unters Volk bringen, wenn man im selben Atemzug auch Israel kritisiere, worin sich insgeheim die eigene Idiosynkrasie gegen diesen Staat bemerkbar macht.