11.09.2025
Kunstrasen hat negativen Einfluss auf die Umwelt und das Klima

Klimakiller Kunstrasen

Kunstrasen erfreut sich bei Fußballern keiner großen Beliebtheit – bei Umweltschützern schon gar nicht.

Auf dem kleinen Käfigbolzplatz im Monbijoupark in Berlin-Mitte werden Ü30-Kneipenkicker von ambitionierten U14-Fußballern beim Sechs-gegen-sechs nass gemacht. Der Platz erfreut sich großer Beliebtheit, denn er hat einen neuen Kunstrasen erhalten. Der ist ein Überbleibsel der Fanmeile der Fußball-Europameisterschaft im Sommer 2024. Das bestätigt Petra Neye von der landeseigenen Kulturprojekte Berlin GmbH der Jungle World. Neye zufolge hat die Kulturprojekte GmbH »50 Prozent des Kunstrasens zur Weiterverwendung in der ganzen Stadt verteilt« – weit weniger als damals angekündigt.

Direkt nach der Fußball-Europameisterschaft versprach die Berliner Sportsenatorin Iris Spranger (SPD) noch, dass 95 Prozent des Kunstrasens weiterverwendet werden sollten. Ein eigens für das Großereignis am Brandenburger Tor aufgestelltes riesiges Fußballtor sollte verkauft werden, was aber nicht gelang. Es wurde komplett verschrottet.

Die Plätze des Berliner Fußball-Verbands (BFV) wurden beim Rasenrecycling nicht berücksichtigt. »Der speziell für die Anforderungen der Fanmeile und den Freizeitbereich entwickelte Kunstrasen (Florhöhe 50 mm) würde keine Freigabe für die Wettkampfnutzung erhalten«, erläutert Neye der Jungle World auf Anfrage. »Das bedeutet auch, dass ein Spiel- oder Ligabetrieb durch Sportvereine auf diesem Kunstrasen nicht möglich wäre.«

»Kunststoffplätze werden in der Regel auf einem verdichteten Unterbau mit Sperrschichten installiert. Sie wirken klimatisch wie versiegelte Flächen.« Alexander Puell, Bürgerinitiative Jahnsportpark

Der Pressesprecher des BFV, Janosch Franke, teilt der Jungle World mit, dass es in Berlin circa 350 Großspielfelder gibt. »Den genauen Anteil von Naturrasen zu Kunstrasen können wir nicht beziffern. Hinzu kommen noch die Kleinspielfelder und Bolzplätze« – wie eben jener im Monbijoupark. Franke nennt als wichtigste Vorteile des Kunstrasens die ganzjährige Bespielbarkeit, die hohe Belastbarkeit und den geringen Pflegeaufwand. »Die zentralen Nachteile sind gestiegene Anschaffungskosten und ein erhöhtes Verletzungsrisiko bei nicht regelmäßiger Wartung.«

Auf ganz andere Nachteile weisen Umweltschützer seit Jahren hin. Alexander Puell von der Bürgerinitiative Jahnsportpark, die sich dafür einsetzt, dass das Gelände des inzwischen abgerissenen Stadions am Jahnsportpark im Berliner Prenzlauer Berg nachhaltig, ressourcenschonend und vorrangig für den Breiten-, Schul- und Vereinssport entwickelt wird, erklärt der Jungle World: »Kunststoffplätze werden in der Regel auf einem verdichteten Unterbau mit Sperrschichten installiert. Sie wirken klimatisch wie versiegelte Flächen. Wegen der starken Erwärmung müssen sie mit viel Wasser gewässert werden, damit sie im Sommer bespielbar bleiben.«

Um den Hitzestau auf Kunstrasenplätzen zu demonstrieren, hat die Initiative am 2. Juli, dem heißesten Tag des Jahres, um 14.30 Uhr auf dem Jahnsportpark-Gelände die Bodentemperaturen gemessen: Kunstrasen in der Sonne: 78,1 Grad, im Schatten: 62,2 Grad. Auf der danebenliegenden Sportwiese lagen die Werte bei 37,4 Grad in der Sonne und 32,1 Grad im Schatten.

Hitzeinseln, Versiegelung, Mikroplastik

Durch die dichte umliegende Bebauung ist der Prenzlauer Berg eine Hitzeinsel. Die derzeitige Sportwiese sei daher wichtig für die Abkühlung des Quartiers, so Puell. Der Senat plane allerdings, die Sportwiese auf ein Drittel der derzeitigen Fläche zu verkleinern. »Auf zwei Dritteln soll ein neuer Kunststoffplatz entstehen.« Um einen ökologischen Ausgleich zu schaffen, müssten »30.000 Quadratmeter entsiegelt werden – das sind etwa 2.500 Parkplätze«, erläutert der Architekt Philipp Dittrich, der sich ebenfalls in der Bürgerinitiative engagiert, im Gespräch mit der Jungle World. Hinzu komme, so Puell, dass »Kunststoffplätze keinen Lebensraum für Insekten, Wildbienen oder Vögel bieten«, im Gegensatz zu Naturrasen also nicht zur Biodiversität beitragen.

Die Folgen vollständiger Versiegelung durch Kunstrasen waren wochenlang auf der Fanmeile im Tiergarten sichtbar: Als der Kunstrasen nach der Nutzung während der EM abgerollt wurde, blieben nur braune Erde und Schlamm zurück. Der Rasen musste komplett neu eingesät werden. Über einen längeren Zeitraum konnte die Fläche – obwohl die Uefa eine »nachhaltige EM« versprochen hatte – nicht als Erholungsfläche genutzt werden.

Zum temporären Schaden durch Kunstrasen kommt noch ein langfristiges Problem hinzu: Mikroplastikemissionen. Nach einer hitzigen Partie auf einem Kunstrasenplatz sind Abriebspuren an den Fußballschuhen sichtbar. Auf den Naturwiesen des Tiergartens fanden sich abgebrochene Fasern vom grasgrünen Kunststoffrasen. Zumindest hierfür gibt es nach Angaben des Berliner Unternehmens Guppyfriend eine technische Lösung: In die nahegelegenen Gullys können Filter eingebaut werden. In deren feinen Netzen bleiben Mikroplastikteilchen hängen, wenn sie mit Regenwasser in die Kanalisation gespült werden.

Das Technikportal t3n berichtete, dass solche Filter bei der Stuttgarter EM-Fanmeile zum Einsatz kamen – bei der Berliner Fanmeile hingegen nicht. Sehr kleine Mikroplastiken, sogenannte Nanoplastiken, werden damit allerdings nicht erfasst, und selbstverständlich wird auch nur ein Teil des Mikroplastiks überhaupt in die Gullys gespült. Mikroplastik gilt als eine der größten Umweltbelastungen unserer Zeit, es wird inzwischen überall im Meer, in der Landschaft, in Tieren und sogar in menschlichen Körpern nachgewiesen werden können.

Höheres Verletzungsrisiko nicht belegt

Auch bei Vereinsfußballern, die regelmäßig spielen, ist Kunstrasen deutlich weniger beliebt als Naturrasen. Kunstrasen gilt als verletzungsträchtiger, obwohl sich dies wissenschaftlich nicht belegen lässt. Eine US-amerikanische Metastudie aus dem Jahr 2014 kam zu dem Ergebnis »dass die Verletzungsgefahr auf Kunstrasen zehn bis 14 Prozent geringer war als auf Naturrasen«.

Dies gelte für Männer ebenso wie für Frauen und für Jugendliche ebenso wie für Erwachsene. Hinsichtlich der Art der Verletzungen sei das Risiko für Knie-, Knöchel- und Fußverletzungen auf Kunstrasen geringer; das Risiko für Muskelzerrungen sei auf beiden Belägen gleich hoch. Die empirische Basis dieser Metaanalyse, die unter dem Titel »A Meta-Analysis of Soccer Injuries on Artificial Turf and Natural Grass« im Journal of Sports Medicine veröffentlicht wurde, bestand aus acht Studien mit Daten zu fast 1,5 Millionen Spielstunden und knapp 10.000 Verletzungen.

Der Unterschied zwischen verbreiteten Ansichten über das Verletzungsrisiko und der empirisch erfassten Realität lässt sich erklären: Die Studie berücksichtigt nur solche Verletzungen, wegen derer ein Spieler mindestens einen Trainings- oder Spieltag aussetzen musste. Die oft als besonders unangenehm empfundenen Kunstrasenschürfwunden – im Volksmund auch »Verbrennungen« genannt – führen in der Regel nicht dazu, dass Spieler eine Trainingseinheit oder gar ein Spiel auslassen. Zu erforschen bleibt noch, ob Kunstrasen die Spielweise verändert. Da die Ballgeschwindigkeit steigt und sich Bewegungsmuster verändern, könnte dies dazu führen, dass Spieler weniger aggressiv verteidigen, etwa weniger grätschen, wozu das hohe Abschürfungsrisiko ebenfalls beiträgt – und so weniger Verletzungen produzieren.

»Fußball ist natürlich, nicht synthetisch«

Interessant ist auch, dass die Metastudie schon 2014, also lange bevor die Klimabewegung Hitze als Gesundheitsfaktor in den Blickpunkt rückte, kritisierte, dass »keine der Studien Verletzungen im Zusammenhang mit Hitze« untersucht habe. Dabei sei unbestritten, »dass Hitze ein wichtiger Faktor beim Spielen auf Kunstrasen sein kann«. Die Oberflächentemperaturen können an heißen Tagen weit über 38 Grad Celsius steigen – wie die Bürgerinitiative Jahnsportpark über zehn Jahre später nachwies.

Im warmen, sonnenreichen Brasilien führte die Verlegung von Kunstrasen in bedeutenden Stadien sogar zu einem Promi-Protest. Das Motto der vor allem über Social Media geführten Kampagne: »Fußball ist natürlich, nicht synthetisch.« Dem Protest schlossen sich Spieler an wie Brasiliens Vizerekordnationalspieler Neymar, der beim FC Santos seine Karriere ausklingen lässt, die früheren brasilianischen Bundesliga-Profis Philippe Coutinho und Thiago Silva, der ehemalige Premier-League-Star David Luiz sowie der Niederländer Memphis Depay, der im Sommer von Atlético Madrid zu den Corinthians São Paulo stieß.

Für brasilianische Multifunktionsstadien, die auch für Konzerte genutzt werden, ist ein grüner Faserteppich praktischer als empfindlicher Naturrasen. Neymar und Co. fürchten jedoch, dass Brasilien sportlich zurückfallen könnte, wenn Spieler regelmäßig auf Kunstrasen trainieren und spielen.

In anderen Weltregionen – etwa im skandinavischen Norwegen – stellt sich die Frage nach dem Pro und Contra beim Kunstrasen nochmal ganz anders. Aufgrund der langanhaltenden Eis- und Schneeperioden ermöglicht beheizbarer Kunstrasen erst, dass über längere Zeit im Freien trainiert und gespielt werden kann.