Sparen bei den Gewaltopfern
»Berlin lässt uns verrecken«, skandierten um die 40 Mitarbeiterinnen aus Frauenhäusern in der Eingangshalle des Berliner Abgeordnetenhauses. In Rot gekleidet warfen sie sich auf die Treppenstufen, um so an die Opfer von häuslicher Gewalt zu erinnern. Die »Protest-Performance« richtete sich gegen Kürzungen im geplanten Berliner Doppelhaushalt für 2026 und 2027, über den der Ausschuss für Integration, Frauen und Gleichstellung, Vielfalt und Antidiskriminierung am Donnerstag vergangener Woche beraten hatte. Der Etatentwurf wurde im Juli vom Senat beschlossen und soll bis Ende des Jahres vom Abgeordnetenhaus endgültig angenommen werden.
Der Entwurf sieht 2026 knapp 2,6 Millionen Euro weniger als im Vorjahr für Frauenprojekte vor, die bei der Senatsverwaltung Gleichstellung gefördert werden – betroffen wären auch Beratungsstellen und Frauenhäuser mit pauschalen Kürzungen von zwei Prozent. Mietsteigerungen und vorgesehene Gehaltserhöhungen der Beschäftigten könnten ebenfalls nicht vom Land übernommen werden. Erst seit 2017 bekommen Mitarbeiterinnen Frauenprojekte eine landestarifgerechte Bezahlung, die nun erneut auf der Kippe steht.
In Berlin fehlen mindestens 486 Schutzplätze, die als Zufluchtsort für Frauen und ihre Kinder dienen sollten, die zu Hause von Gewalt bedroht sind.
»Unsere Klientinnen bleiben auf der Straße und wir bald auch«, mahnten die Mitarbeiterinnen der Berliner Initiative gegen Gewalt an Frauen (BIG), die zu dem Protest aufgerufen hatte. In Berlin fehlen der BIG zufolge nach den Vorgaben der Istanbul-Konvention, dem von Deutschland unterzeichneten Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, bereits mindestens 486 Schutzplätze, die als Zufluchtsort für Frauen und ihre Kinder dienen sollten, die in den eigenen vier Wänden von Gewalt bedroht sind. Die BIG-Sprecherin Sama Zavaree warnte, dass selbst die »BIG-Hotline« – das berlinweite Notfalltelefon bei häuslicher Gewalt – bald nicht mehr 24 Stunden am Tag angeboten werden könnte.
Die frauen- und gleichstellungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Mirjam Golm, versicherte hingegen, dass es für gewaltbetroffene Frauen in Berlin in Zukunft nicht gefährlicher werde. Auf Anfrage der Jungle World beteuerte sie, »im parlamentarischen Verfahren die notwendigen Mittel gesichert zu haben«, damit die Hotline weiterhin rund um die Uhr erreichbar bleibe. Golm begrüßte die Protestaktion, betonte aber auf ihrem Social-Media-Kanal, trotz notwendiger Sparmaßnahmen habe man im Anti-Gewalt-Bereich »fast nicht gekürzt, sondern nur zwei Prozent«, und damit viel weniger als in anderen Bereichen.
»Aktion rote Schuhe«
Kurz zuvor hatten Mitarbeiterinnen aus Frauenhäusern vorm Rathaus Charlottenburg-Wilmersdorf im Rahmen einer »Aktion rote Schuhe« Schuhe aufgestellt, um einer Anfang September im Bezirk ermordeten Frau zu gedenken – eine aus Mexiko stammende Symbolik, um auf Femizide aufmerksam zu machen. Das Opfer, eine 56jährige Vietnamesin, sei zum Zeitpunkt der Tat in einem Wohnungsbordell tätig gewesen, wurde allerdings nicht von einem Freier, sondern von ihrem ehemaligen Lebensgefährten ermordet.
Der BIG zufolge sind vergangenes Jahr berlinweit 29 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet worden. 2023 gab es laut Bundeskriminalamt in Deutschland fast jeden Tag einen Femizid. Das 2024 erstmals vom Bundesinnenministerium vorgestellte Lagebild »Geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichtete Straftaten« stellt in allen untersuchten Bereichen eine Steigerung gegenüber dem Vorjahr fest.
Toni arbeitet in einem Berliner Frauenhaus und berichtete der Jungle World am Rande der Gedenkveranstaltung, es sei immer wieder erschütternd, Frauen aus Platzgründen abweisen und damit in mitunter lebensbedrohliche Gewaltsituationen zurückschicken zu müssen. Die Lage der Frauen sei geprägt von prekären Arbeitsverhältnissen, »krasser Frustration« und einem »Hamsterrad aus Gewalt«.
Auch bei der Gewaltprävention soll gespart werden
Gespart werden soll auch in der sogenannten Täterarbeit, einem Bereich der Gewaltprävention. Die Servicestelle Wegweiser, eine 2024 eingerichtete Beratungsstelle, beispielsweise interveniert bei Krisen, nimmt nach Polizeieinsätzen Kontakt zu Männern auf, die ihre Frauen schlagen, und erklärt ihnen, wie sie weitere Hilfs- und Beratungsangebote in Anspruch nehmen können.
Der Haushaltsentwurf des Berliner Senats sieht eine Reduzierung des Fördervolumens des Projekts um 20 Prozent vor. »Sollte sich daran im parlamentarischen Verfahren nichts ändern, müssen wir unsere Arbeit im nächsten Jahr möglicherweise einstellen«, berichtet Inna Friedland von der Servicestelle der Jungle World.
Das komme zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, denn seit Anfang dieses Jahres sei ein Pilotversuch in vollem Gange. Eine geplante Gesetzesänderung soll es künftig erlauben, Kontaktdaten Tatverdächtiger ohne deren Einwilligung an Beratungsstellen in freier Trägerschaft weiterzugeben. »Das ist ein Meilenstein für den proaktiven Ansatz in der Täterarbeit und somit auch den Schutz betroffener Frauen vor häuslicher Gewalt«, so Friedland. Allerdings werde dieser Vorstoß »ins Nichts laufen, wenn gleichzeitig unser Projekt, das dieses Vorhaben in die Praxis umsetzen soll, nicht mehr existiert«.
Thema Femizide mit Anti-Israel-Propaganda verknüpft
Es kann vermutet werden, dass es wohl bald die nächste Gedenkveranstaltung wird geben müssen. Das Bündnis Berliner Anti-Gewalt-Bereich gegen Femizide, das diese organisiert, zeigt sich thematisch offen. Sprechen durfte auf der Kundgebung am vergangenen Mittwoch neben den iranischen Aktivist:innen im Exil und der Hurenorganisation Hydra auch ein Mitglied der Frauenorganisation Zora.
Die Gruppe hat sich dem Thema Femizide schon länger verschrieben, verknüpft es allerdings konsequent mit einem »revolutionären« politischen Vorhaben. Zora kooperiert außerdem eng mit der linksautoritären Gruppe Young Struggle, die das von sexualisierter Gewalt geprägte Massaker der Hamas in Israel vom 7. Oktober 2023 in erster Linie als »Gefängnisausbruch des palästinensischen Volkes« verstanden wissen will.