Unter Brummies
Mit Spannung wird bei einer Jungle World-Auslandsreise der Einquartierung am Zielort entgegengesehen. Haben die Anbieter bei den Wohnungsfotos viel mit Weitwinkel geschummelt? Wie sieht die Umgebung aus? Wir verteilten uns diesmal auf zwei Wohnungen, eine in einem working class-Viertel, ein typisches englisches Reihenhaus mit ein paar Metern Rasenfläche (dass die Engländer:innen den Rasen mit der Nagelschere trimmen, ist übrigens ein Irrglaube), die andere in einem aufgehübschten ehemaligen Industriebau, eher posh, alles ist mit einem flauschigen Teppichboden ausgelegt.
Ein solches Quartier birgt aber auch Gefahren. Was fängt man mit einer ultramodernen Kaffeemaschine an, die vermutlich einen eigenen Social-Media-Account bespielen könnte, grundsätzlich aber nur überteuerte Pads einer bestimmten Marke kocht, und auch das nur, wenn sie mal gute Laune hat? So kam dann doch kein Klassenneid auf.
Wie immer erkundeten wir die Restaurant- und Imbisskultur, aber es wurde auch gekocht und gebraten, unter anderem englisches Frühstück mit allem Drum und Dran: Spiegelei, Bohnen, Würstchen, Bacon, Pilze, Tomate (ja, Vitamine sind auch dabei), dazu natürlich Toast. Das hält vor für einen langen, harten Arbeitstag – wichtiger dürfte aber zumeist sein, dass es hilfreich gegen Kater ist. Für die These, dass die Fett-Alkohol-Wechselwirkung bei englischer Ernährung eine Rolle spielt, spricht auch, dass vegetarische Gerichte hier ebenso heftig frittiert werden wie Fish and Chips.
Ein hangover scheint jedenfalls nicht selten vorzukommen, obwohl – oder weil? – die meisten Pubs früh schließen. Das führt offenbar nicht dazu, dass weniger getrunken wird, vielmehr besteht wohl erhöhter Druck, das Ziel des Abends rechtzeitig zu erreichen. Jedenfalls sind Kopfschmerztabletten hier sehr billig und werden in diversen Wirkstoffkombinationen verkauft, unter anderem mit Koffein.
Das erweist sich auch als nützlich, wenn man Opfer des englischen Wetters wird. Ja, manche Vorurteile erweisen sich dann doch als wahr, es regnete viel und so wurde einigen Redakteur:innen von fiesen Viren eine Erkältung beschert. Haben die Einheimischen so etwas wie Immunität entwickelt? Regnet es nicht in Strömen, laufen viele jedenfalls herum, als wären sie in mediterranen Gefilden.
Doch nicht deshalb wird Birmingham auch als »Venedig des Nordens« bezeichnet, da geht es um die Kanäle. Von denen gibt es sehr viele aus dem 18. und 19. Jahrhundert, bei der Rundfahrt erfährt man, dass unter dem Schlamm der Giftmüll ruht und das teuerste Immobilienensemble der Gegend exakt an einer Stelle errichtet wurde, die man als den Nachttopf der industriellen Epoche bezeichnen könnte. »Deshalb gedeihen die Rosen dort so gut«, grinst unser Bootsmann.
Die Schornsteine in Birmingham rauchen längst nicht mehr, und mit dem Rauchen ist es auch sonst so eine Sache. Die meisten bei Ihrer Lieblingszeitung haben diesem Laster abgeschworen und man kann ja vergleichsweise billigen Tabak mitbringen. Der Erwerb einer Schachtel Zigaretten ist dann aber nicht nur kostspielig, die dubiose Ware wird nur auf Nachfrage herausgerückt und dann diskret unter dem Ladentisch hervorgezogen. Im Trend liegt jetzt eher das Vapen.
Nicht nur billig, sondern sogar kostenlos ist hingegen der Museumsbesuch – und die Präsentation im Birmingham Museum & Art Gallery ist bemerkenswert. Es wird nicht nur koloniale Plünderung reflektiert, wer sich die Zeit nimmt, kann etwa auch hören, wie ein Zeitzeuge die Schließung der Autofabrik Rover erlebt hat. Und es gibt ein hübsches Modell der Stadt im Jahr 1300. Der erste Pub, »The Old Crown«, wurde allerdings erst 1368 errichtet, existiert aber noch immer. Wir haben ihn natürlich besichtigt.
Vor dem Rückflug kam noch einmal Nervosität auf. Man ahnte ja, dass die Folgen des Hackerangriffs auf europäische Flughäfen am Samstag nicht so schnell beseitigt werden würden, und am BER gibt es ein gestaffeltes Nachtflugverbot. Wer zu spät kommt, muss in Hannover oder Leipzig landen und wird dann mit dem Bus nach Berlin kutschiert. Aber es ging alles gut. Unser Flug hatte zwar Verspätung, doch der Pilot drückte ordentlich auf die Tube. Wir setzten etwas unsanft auf, das aber zehn Minuten vor Mitternacht.