Kein ehrlicher Makler
»Dead Men Walking«, also »Todgeweihte«, – so bezeichneten der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu und sein damaliger Verteidigungsminister Yoav Gallant bereits wenige Wochen nach den Massakern vom 7. Oktober 2023 auf einer Pressekonferenz alle Mitglieder der Hamas. Man werde sie jagen.
Dabei werde es »keinen Unterschied machen, ob es sich um einen Terroristen mit Kalaschnikow oder einen im Anzug« handelt, ergänzte Gallant. Israel signalisierte damit, dass man fortan nicht nur Hamas-Kämpfer im Gaza-Streifen angreifen werde, sondern auch die Mitglieder des Politbüros der Terrororganisation, die sich im Ausland befanden.
Damit waren Exilführer der Hamas wie Khaled Mashal und Ismail Haniya gemeint, die 2012 ihre Zelte in Doha, der Hauptstadt von Katar, aufgeschlagen hatten, wo sie ein Leben in Luxus führten. Dort wähnten sie sich ebenso vor dem Zugriff der Israelis geschützt wie in der Türkei, wohin es andere Führungsfiguren zog. Wer das Emirat verließ, ging aber ein Risiko ein. Diese Erfahrung musste Haniya machen, der am 31. Juli 2024 von Israel bei einem Aufenthalt im iranischen Teheran getötet wurde.
In regelmäßigen Abständen landeten Privatflugzeuge aus Katar mit Geldkoffern an Bord in Tel Aviv, von wo aus sie in den Gaza-Streifen gebracht wurden.
Allerdings weiß man seit dem 9. September, dass auch Katar kein sicherer Ort mehr für Hamas-Anführer ist: Israel griff aus der Luft ein Haus in Doha an, wo nachrichtendienstlichen Informationen zufolge ein Treffen der wichtigsten noch lebenden Politbüro-Angehörigen stattfinden sollte, darunter Mashal sowie Zaher Jabarin, der Finanzverwalter der Hamas und ihr Anführer im Westjordanland.
Sechs Menschen wurden dabei getötet, aber keiner der prominenten Hamas-Führer. »Was sie so lange am Leben gehalten hat, war ihre Rolle bei den Gesprächen zur Freilassung israelischer Geiseln«, ist der ehemalige US-Botschafter in Israel, Daniel Shapiro, überzeugt. »Und an dieser Front haben sie sich nach mehreren gescheiterten Verhandlungsrunden als nur begrenzt nützlich erwiesen«, so Shapiro in einer ersten Analyse des Angriffs in Doha für den Think Tank Atlantic Council.
Ferner zeigen die Ereignisse vom 9. September, dass auch knapp zwei Jahre nach dem Überfall der Hamas zuvor völlig Undenkbares Realität werden kann – so wie eine militärische Intervention Israels in Katar. Auf diese Weise ist aber auch die ambivalente Rolle des Emirats als Verbündeter des Westens – Katar ist Standort der von den USA genutzten Luftwaffenbasis al-Udeid, der größten ihrer Art im ganzen Nahen Osten – und als Unterstützer von radikalen islamistischen Organisationen noch einmal allen vor Augen geführt worden.
Rechnung Israels, nicht aufgegangen
»Katar dient die Palästinenserfrage als Mittel, um den eigenen regionalen Einfluss zu demonstrieren«, betont Yoel Guzansky vom Institute for National Security Studies (INSS) an der Universität von Tel Aviv. »Es nutzt seine Unterstützung für die Palästinenser – und insbesondere für die Hamas –, um seine Stellung sowohl in der arabischen Welt als auch darüber hinaus zu stärken.« Gleichzeitig pflegte man Kontakte nach Israel, ließ der Hamas mit dessen Erlaubnis allein in den Jahren von 2012 bis 2022 mindestens zwei, manchen Schätzungen zufolge sogar drei Milliarden US-Dollar zukommen.
In regelmäßigen Abständen landeten Privatflugzeuge aus Katar mit Geldkoffern an Bord in Tel Aviv, von wo aus sie in den Gaza-Streifen gebracht wurden. So wurde die Hamas in die Lage versetzt, ihre Mitarbeiter zu bezahlen und soziale Unruhen zu verhindern, das jedenfalls war die offizielle Lesart. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas bekam dagegen kaum Zuwendungen aus Katar.
Dass die Rechnung Israels, die Hamas auf diese Weise an sich zu binden und zu mäßigen, nicht aufgegangen ist, weiß man spätestens seit dem 7. Oktober. Was man aber lange nicht wusste, ist, dass sich Katar ebenfalls Einfluss in Israel zu sichern begann. Mit Jonatan Urich, Eli Feldstein, Yisrael Einhorn und Ofer Golan hatten die Kataris gleich vier Berater aus dem direkten Umfeld Netanyahus eingekauft.
Bibi-Berater für besseres Image gekauft
Etwa zehn Millionen US-Dollar seien dabei geflossen, berichtete Israels öffentlich-rechtlicher Fernsehsender Kan. Der geheime Auftrag der Berater: Sie sollten dafür sorgen, dass das Emirat ein besseres Image erhält, um es dann als seriöser Vermittler zu positionieren. Denn dies gehört zum Geschäftsmodell des reichen Kleinstaats, von dessen 3,2 Millionen Einwohnern gerade einmal zehn Prozent die Staatsbürgerschaft besitzen. Mit Soft Power betreibt man Politik, so spendete man mehr als 5,1 Milliarden Dollar an US-Eliteuniversitäten ein und baute mit viel Geld mediale Macht auf – Stichwort al-Jazeera.
Das wirft zwei Fragen auf: Haben Israels Sicherheitssysteme auch hier versagt, weil man nicht wusste, dass engste Mitarbeiter des Ministerpräsidenten insgeheim als bezahlte Lobbyisten für Katar agierten, einen Staat, mit dem es keine offiziellen diplomatischen Beziehungen gibt? Oder war Netanyahu bestens im Bilde darüber und befürwortete das Ganze sogar? Unabhängig von der Antwort, die Affäre hält Ermittlungsbehörden und die Öffentlichkeit in Israel seit Monaten in Atem.
Das alles verursacht zusätzliche außenpolitische Verwicklungen. Denn in der Vergangenheit war es Ägypten, das eine Vermittlerrolle übernahm, wenn es zwischen der Terrororganisation und Israel mal wieder eskalierte oder, wie im Fall des Soldaten Gilad Shalit, entführte Israelis befreit werden mussten. Präsident Abd al-Fattah al-Sisi ist ein erklärter Gegner der Muslimbruderschaft, aus der ebenfalls die Hamas hervorgegangenen ist – Katar hingegen gilt als ihr Unterstützer, nicht nur finanziell, sondern auch propagandistisch durch den Fernsehsender al-Jazeera. Die israelisch-ägyptischen Beziehungen sind allerdings an einem Tiefpunkt angelangt, vor allem wegen des Vorgehens Israels im Gaza-Streifen und der Ängste Ägyptens, dass Hunderttausende Palästinenser in den Sinai abgeschoben werden könnten.
Beziehungen zwischen Netanyahu und Israels Sicherheitsapparat
»Ohne die Rolle als Gastland hochrangiger Hamas-Vertreter hat sich der bisherige Vorteil als Vermittler in Luft aufgelöst«, so Tamir Hayman, ein ehemaliger Generalmajor der israelischen Armee und nun im INSS-Direktorium tätig, in einer Einschätzung des Angriffs in Doha. »Der Ball wird nun an Ägypten weitergegeben, an das sich die Hamas-Führer in Gaza wohl wenden werden.« Das würde das Verhältnis zwischen Israel und Ägypten wieder entspannen.
Wozu der Angriff definitiv nicht geführt hat, ist eine Verbesserung der angespannten Beziehungen zwischen Netanyahu und Israels Sicherheitsapparat. Wie das Wall Street Journal und der israelische Fernsehsender Keshet 12 meldeten, hatten sich sowohl Mossad-Direktor David Barnea als auch der IDF-Generalstabschef Eyal Zamir und der Leiter des Nationalen Sicherheitsrats, Tzachi Hanegbi, explizit gegen den Militärschlag in Doha ausgesprochen.
»Die Position ist eindeutig: Es liegt ein Deal auf dem Tisch über die Freilassung der Geiseln, und die Verhandlungsmöglichkeiten sollten voll ausgeschöpft werden«, so fasste ein namentlich nicht genannter Beamter gegenüber den Medien zusammen, was gegen eine Neutralisierung der Hamas-Führer in Doha zu diesem Zeitpunkt eingewandt wurde. Außerdem soll Barnea gesagt haben: »Wir können sie in ein, zwei oder vier Jahren bekommen, und der Mossad weiß, wie das geht.«
Am Montag entschuldigte sich Netanyahu während eines Besuchs im Weißen Haus telefonisch bei seinem katarischen Amtskollegen Scheich Mohamed bin Abd al-Rahman al-Thani und versicherte, dass sich ein solcher Angriff nicht wiederholen werde.
Netanyahu aber ignorierte alle Einwände. Er gab den Befehl zum Angriff auf die Hamas-Führer in ihrem Luxus-Exil. Auf diese Weise wollte er ein Abkommen verhindern, das ein Ende der Militäroperationen im Gaza-Streifen mit sich gebracht hätte. Aber auch die Katar-Affäre spielte wohl eine Rolle in Netanyahus Entscheidung, glaubt David Makovsky, ein Experte für israelisch-arabische Beziehungen beim Washington Institute for Near East Policy. »Er könnte davon ausgegangen sein, dass ein Schlag gegen Israels Erzfeind auf katarischem Boden die Vorwürfe, er sei zu nachsichtig gegenüber Doha, ausräumen würde.«
Am Montag entschuldigte sich Netanyahu während eines Besuchs im Weißen Haus telefonisch bei seinem katarischen Amtskollegen Scheich Mohamed bin Abd al-Rahman al-Thani und versicherte, dass sich ein solcher Angriff nicht wiederholen werde.
Die negativen Reaktionen von Saudi-Arabien, Bahrain und den Vereinigten Arabischen Emiraten auf die israelische Intervention dürften von kurzer Dauer sein. Denn alle drei hatten aufgrund der Nähe Katars zum Iran, zur Muslimbruderschaft sowie zu Terrorgruppen zwischen 2017 und 2021 selbst die diplomatischen Beziehungen zu dem Emirat abgebrochen. Offen ist aber, inwieweit die Vereinigten Staaten einen Vertrauensverlust in der Region erlitten haben, weil sie einen engen Verbündeten, in diesem Fall Katar, weder vorgewarnt hatten noch schützen konnten.
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US-Präsident Donald Trump und Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu haben am Montag einen Vorschlag zur sofortigen Beendigung des Kriegs gegen die Hamas im Gaza-Streifen unterbreitet. Der 20-Punkte-Plan sieht vor, dass Israel sich schrittweise aus dem Gebiet zurückzieht, das danach von einem Komitee aus Palästinensern und internationalen Experten verwaltet werden soll. Die Hamas müsste der Zerstörung ihrer Waffen und kriegerischen Infrastruktur zustimmen. Wenn alle Geiseln nach Israel zurückkehren, würden im Gegenzug knapp 2. 000 in Israel Inhaftierte freigelassen werden.