02.10.2025
Abschluss der Trilogie – Christian Petzolds »Miroir No. 3«

Dämonenjagd in der Uckermark

Christian Petzolds »Miroirs No. 3« ist voller poetischer Mehrdeutigkeit. Aber ist der Film auch originell?

Eine junge Frau, Laura (Paula Beer), steht auf einer Brücke und blickt aufs Wasser hinab. Vom Lärm der nahen Autobahn scheint sie wie abgeschirmt. Auch später, wenn sie mit ihrem Freund Jakob (Philip Froissant) zusammen ist, wirkt sie wie abwesend. Zwar kann sie ihre Teilnahmslosigkeit nicht in Worte fassen, aber etwas ist nicht in Ordnung – mit ihr, mit den anderen, mit der Welt. Die gemeinsame Landpartie durch die Uckermark zusammen mit einem befreundeten Pärchen muss daher abgebrochen werden. Laura fühlt sich nicht wohl und will nach Berlin zurückreisen, weshalb Jakob sie sichtlich verstimmt im roten Cabrio zum nächsten Bahnhof bringen muss.

Um ein Haar hätte Jakob eine schwarzgekleidete Frau am Straßenrand überfahren, und dann kommt es tatsächlich zu einem Unfall. Er ereignet sich außerhalb des Bildes, findet nur als Geräusch auf der Tonspur statt, während das Bild bei der dunkel gewandeten Frauengestalt verweilt. Nach einem kurzen Scheppern sind aufgeschreckte Vögel zu hören. Die Kamera erreicht die Unfallstelle in dem Moment, in dem die fremde Frau dazueilt.

Das Cabrio liegt im Feld auf der Seite und Jakob, den Kopf an einem Findling zertrümmert, ist tot, Laura dagegen nur leicht verletzt. Sofort gibt es zwischen Laura und Betty (Barbara Auer) eine besondere Nähe. Nach der Erstversorgung durch Sanitäter und der Befragung durch die Polizei geht Laura auf die Einladung der älteren Betty ein, bei ihr zu wohnen, bis sie sich wieder gefangen hat.

Christian Petzold belässt es in »Miroirs No. 3« bei Andeutungen. Wie die Figuren aber in kleinen gemeinsamen Momenten versuchen, tastend ihren Platz in der Welt zu finden, hat einiges für sich.

Vertraut wie Mutter und Tochter leben und wirtschaften die Frauen, die einander kaum mehr an persönlichen Details verraten als ihre Vornamen, gemeinsam in Bettys Haus. Laura bekommt von Betty passende Kleidung, sogar der Kaffee wird ihr ans Bett gebracht. Laura hilft Betty dabei, den Gartenzaun zu streichen und bietet an, für sie zu kochen. Von Jakob ist gar nicht mehr die Rede. Einmal nennt Betty Laura versehentlich Jelena. Mehr Vergangenheit kommt in der provinziellen Idylle der Frauen erst mal nicht zum ­Vorschein.

Zu einem Abendessen bei Betty kommen Richard (Matthias Brandt), ihr Ehemann, und ihr gemeinsamer Sohn Max (Enno Trebs). Es gibt Königsberger Klopse, das Lieblingsessen der offenbar getrennt lebenden Familie. Von Lauras Anwesenheit sind die beiden Männer, die in der Nähe eine Autowerkstatt betreiben, sichtlich überrascht. Kaum hat sich die ­Irritation gelegt, beginnen Richard und Max damit, Dinge im Haus zu reparieren. Schließlich kann es nicht sein, dass der Wasserhahn tropft oder die Spülmaschine nicht funktioniert.

Dass es auch über die Haushalts­gegenstände hinaus einiges gibt, was gewartet und wieder in Schuss gebracht werden müsste, deutet sich in den Momenten an, in denen das ­Gespräch stockt, das freundliche Gezänk auf vermintes familiäres Terrain gerät. Ein verstimmtes Klavier im Haus wird von einem Fachmann in Ordnung gebracht, damit Laura, die Pianistin werden will, darauf üben kann. Bisweilen bringen die Figuren plötzlich Distanz zwischen sich; etwa durch einen überstürzten Aufbruch der Männer, die mit einem Mal sofort zurück in die Werkstatt müssen.

Sommer auf dem Land und eine erste Ahnung von seinem Ende

Auch Laura wird den Weg zwischen Wohnhaus und Werkstatt auf einem von Max für sie fitgemachten Fahrrad immer wieder zurücklegen, während sie sich ins Leben der durch ihre Anwesenheit wieder zusammenwachsenden Familie einpasst. Dabei wird ihr mehr und mehr klar, dass Bettys Fürsorge für sie besondere Gründe hat. Indem sie sich um Laura kümmert, versucht sie, eine Leerstelle in ihrem Leben zu überspielen. Richard und vor allem Max sehen das mit gemischten Gefühlen.

Die Vorgeschichte von Betty, aber auch die von Laura, die nach dem Unfalltod von Jakob wie neu geboren wirkt, bleibt vage. Christian Petzold belässt es in »Miroirs No. 3« bei Andeutungen. Wie die Figuren aber in kleinen gemeinsamen Momenten versuchen, tastend ihren Platz in der Welt zu finden, hat einiges für sich. So zum Beispiel, wenn Max und Laura, die sich sichtlich sympathisch sind, aber nicht wissen, wohin die Anziehung führen soll, beim Musikhören in spontanes Lachen ausbrechen.

Auf einnehmende Art werden in den klaren und irgendwann auch wolkenverhangenen Bildern von Petzolds langjährigem Kameramann Hans Fromm der Sommer auf dem Land und eine erste Ahnung von seinem Ende spürbar. Im Rhythmus des Wechsels von subjektiven und objektiven Einstellungen ziehen die Charaktere ihre Bahnen durch die Landschaft der Uckermark.

Eine Barke auf dem Ozean

Der etwas kryptische Titel »Miroirs No. 3« bezieht sich auf den Klavierzyklus »Miroirs« des Komponisten Maurice Ravel, dessen drittes Stück mit »Une barque sur l’océan« (Eine Barke auf dem Ozean) überschrieben ist. Dieses wird Laura, die in Berlin Musik studiert, in zwei Schlüsselszenen in der Mitte und kurz vor dem Ende des Films spielen. Fern der Welt bewegen sich die Figuren derweil in ihrer Idylle aufeinander zu und hoffen auf Heilung im Zusammensein, das sich aber nur bedingt einstellen kann.

Dass die Verhältnisse zwischen den Charakteren überzeugend und immer wieder auch mit einigem Witz ausgelotet werden, verdankt sich vor allem dem einmal mehr unaufgeregt auftretenden Ensemble, auf das Petzold sich so hundertprozentig verlassen kann wie bereits in früheren Filmen. Dabei besitzt »Miroirs No. 3« weder die ironisch gebrochene Dramatik von »Roter Himmel« noch die Bildmagie von »Undine«, den beiden ersten Teilen der nunmehr abgeschlossenen Trilogie. Doch Paula Beer – wie Nina Hoss ein Fixstern seines filmischen Universums –, Barbara Auer, Matthias Brand und Enno Trebs, mit denen der Regisseur schon mehrfach zusammengearbeitet hat, sorgen für Leichtigkeit und das für Petzold so wichtigen Eigenleben der Filmcharaktere, deren Motive die Zuschauenden sich immer ein Stück weit selbst erschließen müssen.

Im Presseheft gibt es ein langes Gespräch mit dem Regisseur, in dem er schildert, wie sich der Zugriff auf Themen im Laufe der Zeit verändert und verfeinert habe. So nehme der Film das Thema des Verlusts eines Kindes wieder auf, das bereits in »Wolfsburg« und »Gespenster« eine wichtige Rolle gespielt hat; roman­tische Motive wie das Sich-hingezogen-Fühlen zu einer geheimnis­vollen Frau (die fast schon ein Petzold-Stereotyp ist) und zu den Elementen von Natur und Wasser hat er mit Beer in der Hauptrolle bereits in »Undine« ausbuchstabiert.

Lässt man den Werkzusammenhang einmal beiseite, könnte man zu dem Schluss kommen, dass das Drehbuch von »Miroirs No. 3« alles in allem doch arg konstruiert daherkommt. 

Lässt man den Werkzusammenhang einmal beiseite, könnte man auch zu dem Schluss kommen, dass das Drehbuch von »Miroirs No. 3« alles in allem doch arg konstruiert daherkommt. Zu dem auf dem Land verunglückten Cabrio fällt einem spontan Jean-Luc Godards »Weekend« (1967) ein. Aber vielleicht hat man es dabei mit mehr als nur einem Filmzitat zu tun. Möglicherweise katapultiert der Unfall den Zuschauer in eine traumartige Parallelwelt, die sich von der Realität abkoppelt.

Vage wird dies schon in den ersten Einstellungen mit einer Gruppe von Stand-up-Paddlern angekündigt, die auf den mythischen Fährmann ­Charon verweisen, der die Seelen über den Styx ins Totenreich übersetzt. Ein wenig stellt sich trotz aller poetischer Mehrdeutigkeit der Eindruck ein, Petzold habe wiederkehrende Elemente seiner Filme zu einer Art Best-of zusammengestellt – und dann das Glück gehabt, dass seine Schauspieler:innen dem durch ihr Spiel in vielen guten Momenten ­tatsächlich Stringenz verleihen.

Miroirs No. 3. (Deutschland 2025). Buch und Regie: Christian Petzold. Darsteller: Paula Beer, Barbara Auer, Matthias Brandt. Bereits angelaufen