02.10.2025
Proteste stürzten die Regierung in dem Himalaya-Staat

Nepal abermals im Umbruch

Vor 17 Jahren wurde aus dem Königreich Nepal eine föderale Republik. Nun hat die Jugend mit Massenprotesten das politische System ins Wanken gebracht. Die Interimsregierung steht unter hohem Druck.

Die Meldung in der Zeitung The Himalayan Times vom 23. September ließ aufmerken: Die Polizei habe in der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu zwei junge Männer im Alter von 28 und 30 Jahren festgenommen, die im Zusammenhang mit einem Waffenfund stehen sollen. Im Kofferraum eines Taxis hatten die Beamten nach einem Hinweis sieben Pistolen, sechs Maga­zine und 33 Schuss Gewehrmunition sichergestellt.

Nähere Hintergründe blieben zunächst unklar. Aber der Fall zeigt allemal, dass die Lage in der größten Stadt Nepals noch angespannt ist. Dort waren am 8. und 9. September Jugendproteste eskaliert, bei denen vor allem wegen des brutalen Vorgehens von Polizisten 74 Menschen starben und fast 2.000 verletzt wurden. Unter anderem hatten Revoltierende bei den Unruhen den Regierungssitz gestürmt und teils schwer beschädigt. Dabei hatte man die Renovierung des altehrwürdigen Singha Durbar (Löwenpalast) nach den großen Schäden beim Erdbeben 2015 erst unlängst abgeschlossen.

Sind die jüngsten Turbulenzen Vorboten einer neuerlichen »Revolution« ähnlich den Ereignissen 2008, als nach einer Protestwelle die neugewählte Nationalversammlung am 28. Mai die Hindu-Monarchie nach 240 Jahren für abgeschafft erklärt und Nepal in ei­ne föderal gegliederte Republik umgewandelt hatte? Zumindest die Empörung – damals über den autoritären König Gyanendra Shah (2001–2008), jetzt über die als abgehoben, unfähig und korrupt wahrgenommene Politikerkaste – ist ähnlich groß.

Bei den eskalierten Jugendprotesten vom 8. und 9. September starben vor allem wegen des brutalen Vor­ge­hens von Polizisten 74 Menschen, fast 2.000 wurden verletzt.

Diesmal hat sich explizit die Jugend erhoben und ihren angestauten Unmut auf die Straße getragen. Die »Genera­tion Z« bringe das bisherige System ins Wanken, hieß es in den Schlagzeilen. Fast ausschließlich Schüler und Studierende hatten zunächst demonstriert und den bisherigen Premierminister Khadga Prasad Sharma Oli mitsamt seinem Kabinett zu Fall gebracht; die Regierung Oli trat am 9. September zurück. Viele Szenen erinnerten dabei auch an die anfangs studentisch geprägten Massenproteste, die vor gut einem Jahr den Sturz von Bangladeshs Premierministerin Sheikh Hasina nach 15 Amtsjahren herbeigeführt hatten.

Oli hatte vor seinem Rücktritt noch nicht mal ein ganzes Jahr regiert. Die Regierungskoalitionen in Nepal waren in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sehr kurzlebig, hielten teils nur einige Monate. Aber Oli, der Anführer der – faktisch eher sozialdemokratischen – Kommunistischen Partei Nepals/Vereinte Marxisten-Leninisten (CPN-UML), ist einer jener Politikveteranen, die die Jugend für die Misere des Staats verantwortlich macht. Kaum höher sind die Popularitätswerte von Sher Bahadur Deuba, dem Vorsitzenden des linksliberalen Koalitionspartners Nepali Congress (NC), und selbst jene von Pushpa Kamal Dahal alias Prachanda von der Kommunistischen Partei Nepals/Maoistisches Zentrum (CPN-MC), die zuletzt die Opposition anführte – Deuba war schon fünfmal Premierminister, Dahal dreimal (zuletzt bis Juli 2024). Auch Oli hatte das Amt bereits das dritte Mal inne. Die Beziehungen zwischen den drei großen Parteien wandelten sich häufig von Partnerschaft zu erbitterter Gegnerschaft und wieder zurück.

Seit dem großen Neuanfang 2008 schien das politische Führungspersonal über lange Etappen eher mit sich selbst beschäftigt, als nach Lösungen für die vielfältigen Probleme des Landes zu suchen; gerade in der sehr jungen Bevölkerung hat sich dieser Eindruck verfestigt. Rajesh Mishra hat in einem Beitrag für die Kathmandu Post vom 23. September demographische Kennzahlen genannt: Gemäß dem Zensus von 2021 sind 42,5 Prozent der Bevölkerung jünger als 40 Jahre. Unter den registrierten Wahlberechtigten macht die Altersgruppe von 18 bis 40 Jahren sogar 52 Prozent aus. In Parlament und Regierung dominieren aber alte Männer, die zudem noch meist den höheren, seit Jahrzehnten dominanten Kasten entstammen. Im aufgelösten Repräsentantenhaus waren nur 30 von 275 Abgeordneten jünger als 40, also elf Prozent. Hingegen gehörte nach einer Erhebung des Democracy Resource Centre mit 95 Parlamentariern jeder Dritte zur Altersgruppe 51 bis 60, weitere 80 waren 61 bis 70 Jahre alt und 23 noch älter. Dass sich ein Großteil der jungen Nepalis da nicht repräsentiert sah, ist aber nur ein Aspekt. Der Staatsapparat gilt schon lange als äußerst schwerfällig, korrupt und ineffizient.

Wunschkandidatin der jungen Leute

Sushila Karki, die seit Amtsantritt am 12. September als Interimspremierminis­terin die Amtsgeschäfte führt, schrieb schon 2016 als erste Frau an der Spitze des höchsten Gerichts Geschichte – und tut dies im jetzigen Amt erneut. Als Gerichtspräsidentin hatte sie sich damals ­einen Ruf als integre Persönlichkeit erworben, die vor allem gegen Korruption vorzugehen bemüht war; auf Betreiben zweier Parteien wurde sie nach nur einem Jahr abgesetzt. So verwunderte es kaum, dass sie nach Olis nicht ganz freiwilligem Abgang die Wunschkandidatin der jungen Leute auf der Straße war. Ihr Kabinett besteht aus politisch unbelasteten Personen, die vor allem als Experten gelten. Oberstes Ziel der Interimsregierung ist die Vorbereitung reibungslos und in jeder Hinsicht korrekt verlaufender Neuwahlen am 5. März 2026.

Die kommissarische Ministerriege, durch Zusammenlegung von Ressorts von 25 auf nur 15 reduziert, hat auch sonst einiges vor. Der neue Industrie- und Handelsminister, Anil Kumar Sinha, ein früherer Richter am höchsten Gericht, kündigte bei seiner Vereidigung am 22. September an, den Wiederaufbau der bei den Protesten zerstörten oder schwer beschädigten Gebäude in den Mittelpunkt zu stellen – die Sachschäden wurden auf einen dreistelligen Euro-Millionenbetrag geschätzt. Zugleich hat Finanzminister Rameshwor Khanal strikte Anweisungen zum Sparen gegeben: Beraterdienstleistungen, unter früheren Regierungen ein ausufernder Kostenpunkt, sind nur noch im Ausnahmefall erlaubt. Kommu­nikationsminister Jagdish Kharel, ein renommierter Journalist, will in vorerst zehn Städten freies W-Lan installieren, Agrarminister Madam Prasad Pariyar Missmanagement beenden und die agrarwissenschaftliche Forschung – vor allen bei Reisanbau – gemeinsam mit Südkorea vorantreiben.

Dass einige Plätze im Übergangskabinett noch immer unbesetzt sind und Sushila Karki bei der Ministerauswahl Sorgfalt vor Schnelligkeit stellte, illustriert ebenfalls die herrschende Anspannung. Jeder Schritt werde genau verfolgt, hielt die Zeitung My Republica in ihrem Editorial vom 25. September fest, denn das Team werde »mit seinem Arbeitsstil, seinen Prioritäten und Entscheidungen« nicht nur für die kurze Zeit bis zur Neuwahl, sondern auch »die langfristige politische Zukunft des Landes formen«.

Es fehlt an Impfstoffen

Eine weitere wichtige Personalie deutet in diese Richtung: Eine der ersten Entscheidungen Karkis war es, ­Sabita Bhandari zur neuen Generalstaatsanwältin zu ernennen; auch sie ist die erste Frau auf diesem Posten. Nicht nur gilt es, die Todesfälle bei den Protesten genau zu untersuchen, sondern auch das Vertrauen in die Justiz generell wieder zu stärken.

Auch ganz praktische Probleme müssen dringend gelöst werden: Nachdem bei den Unruhen auch 13 medizinische Kühlhäuser zerstört wurden, fehlt es derzeit an Impfstoffen für das staatliche Impfprogramm bei Kindern gegen Masern, Typhus, Hepatitis B, Diphtherie und Japanische Enzephalitis.

Zeitungskommentare rieten den vormaligen Spitzenpolitikern, selbst dann im Hintergrund zu bleiben, wenn ihre jeweilige Partei aus der Wahl im März als Sieger hervorgehen sollte. Eine größere Rolle könnte in Zukunft der 35 Jahre junge und unkonventionelle Bürgermeister Kathmandus, Balen Shah, spielen. Der frühere Rapper ist parteilos und setzt sich für eine Lösung des Müllproblems und die Verkehrs­sicherheit ein. Zudem aber frönt er antiindischer Rhetorik und propagiert ein Großnepal, zu dem Shahs Meinung nach Territorien in Nordindien und Bangladesh gehören.