02.10.2025
Paul Thomas Andersons »One Battle After Another« zeichnet ein wüstes Panorama der Gewalt in den USA

Verrückte, Propheten und verlorene Seelen‍ – Leonardo DiCaprio als Ex-Revolutionär

Der US-amerikanische Regisseur Paul Thomas Anderson trotzt der trüben Gegenwart ein echtes Kino-Highlight ab. Die comichaft überzeichnete Parabel »One Battle After Another« über staatliche Repression und militanten Widerstand ist von erschütternder Brisanz.

Es sind prägnante Bilder, die sich in das Zuschauergedächtnis einbrennen. Eines davon ganz besonders: das einer schwangeren Frau mit entblößtem Bauch, die mit vollautomatischem Sturmgewehr eine Salve abfeuert. Mit dieser Szene aus »One Battle After Another« scheint Paul Thomas Anderson die gewalttätige Seite der US-amerikanischen Geschichte auf den Punkt zu bringen. Die Bildfolge frisst sich beim Sehen ins Bewusstsein wie ein gefährlich ansteckendes Meme, sie ist radikal chic und zugleich doch höchst ambivalent. Wer ist diese Frau? Und welche Ideale vertritt sie? Gehört sie zu den Guten oder zu den Bösen?

Die Revoluzzerin mit dem Namen Perfidia Beverly Hills, gespielt von Teyana Taylor, ist die Anführerin der radikalen linken Gruppe »French 75«. Perfidia und ihre Genossen haben sich dem Widerstand gegen eine in den Faschismus abgeglittene US-­Regierung verschrieben. Andersons Film, der vage auf dem Roman »­Vineland« von Thomas Pynchon beruht, teilt mit der Vorlage die absurde, paranoide Tonlage, die groteske ­Komik, die Satireelemente und die düstere Grundstimmung einer ­verlorenen Utopie.

Der Film lässt keinen Zweifel daran, was den verpeilten Radikalismus von Bob, Sensei, Perfidia und Co. hervorgebracht hat. Hochgerüstetes Militär beherrscht die Straßen nicht nur der Großstädte, es verfolgt ein menschenfeindliches Programm.

Die USA, die Anderson in Szene setzt, wirken wie Maga auf Steroiden. In comichafter Überzeichnung findet die Mischung aus Überlegenheitsphantasie, Rassismus und nationalistischer Ideologie ihren Ausdruck in der Figur des von Sean Penn verkörperten Soldaten Lockjaw, dessen archaischer Männlichkeitswahn schon durch seinen gestählten Leib vermittelt wird. Der Mittsechziger Sean Penn sieht aus, als habe er in Vorbereitung seiner Rolle mindestens 3.000 Liegestütze am Tag gemacht. Sein Lockjaw hat den Systemgehorsam verinnerlicht, er ist aber ebenso von der Macht selbst fasziniert.

So auch von den dominanten Gesten der Revolutionärin und Terroristin Perfidia, die Lockjaw in einer frühen Szene des Films dingfest macht und die ihn wiederum mit einer Machtdemonstration heraus­zufordern versucht. Sie bedeutet dem Mann, der das Gewehr auf sie gerichtet hat, »aufzustehen«. Als dieser sich auf die Beine stellt, vermittelt sie ihm jedoch, dass sie mit »auf­stehen« seinen Schwanz meint. Dieses Spiel turnt nicht nur den körperbetonten Lockjaw an, sondern auch Perfidia selbst – eine psychosexuelle Dynamik nimmt Fahrt auf, die schließlich zum Motor des filmischen Geschehens wird.

Die Hauptfigur inmitten der aberwitzigen Wendungen ist der von ­Leonardo DiCaprio verkörperte Bob, der Bombenspezialist der Gruppe. Eigentlich ist er mit Perfidia liiert, als sie aber in den Untergrund abtaucht, bleibt Bob allein mit der gemein­samen Tochter Willa zurück.

Nobler Kampf gegen Militärgewalt, Rassismus und eine brutale Abschiebe­praxis

Regisseur Paul Thomas Anderson (»Boogie Nights«, »Magnolia«, »The Master«, »There Will Be Blood«) zeigt die Aktionen der Gruppierung »French 75« als durchaus noblen Kampf gegen Militärgewalt, Rassismus und eine brutale Abschiebe­praxis – die Vereinigung sabotiert gezielt Ausschaffungslager an der Grenze zu Mexiko. Dabei macht sich der Film das radikale Engagement der Revolutionäre nicht gänzlich zu eigen, wenngleich er den Zielen der Gruppe Sympathie entgegenbringt. Viele Gewaltakte erweisen sich als gefährlich und sinnlos, das ausübende Personal erscheint inkompetent und überfordert.

Auf besonders amüsante Weise zeigt sich das in der von Leonardo DiCaprio verkörperten Figur. Jahre nach den Ereignissen, die in der Anfangsszene gezeigt werden, lebt er versteckt mit Tochter Willa (Chase Infiniti), stets auf der Flucht vor den Behörden. Alkohol und Drogen haben sein Gehirn zerschossen. DiCaprio gibt seinen Bob als herrlich komische Variante des Dude aus »The Big Lebowski«. Angetan mit Bademantel und gerne einen Joint im Mundwinkel versucht er, der genervten Teenagertochter klarzumachen, dass der lange Arm des Gesetzes immer noch nach ihm greift.

Eine fast schon schicksalhaft anmutende Ereigniskette holt das Tochter-Vater-Duo schließlich ein. Und der »alte Bekannte« Lockjaw spielt in dem fortan immer weiter eskalierenden Szenario eine besondere Rolle. In bester Thomas-Pynchon-Manier widmet sich Regisseur Anderson, der in der Vergangenheit bereits dessen Roman »Inherent Vice« inszenierte, den Verrückten, Propheten und verlorenen Seelen. Als extrem unterhaltsamer Weggefährte Bobs stellt sich dabei der von Benicio del Toro verkörperte Sensei heraus. Als eine Art Lehrmeister des Lebens im Untergrund verhilft Sensei in einmalig entspannter Nonchalance Bob zur Flucht durch unterirdische Tunnel und über Häuserdächer.

Männlich dominierte Machtelite, rassistische Überzeugungen

Der Film lässt keinen Zweifel daran, was den verpeilten Radikalismus von Bob, Sensei, Perfidia und Co. hervorgebracht hat. Hochgerüstetes Militär beherrscht die Straßen nicht nur der Großstädte, es verfolgt ein menschenfeindliches Programm. Natürlich denkt man als Zuschauer dabei unmittelbar an die ICE-Kommandos, die in den USA derzeit – teils maskiert – gegen Migranten vorgehen. Die intellektuellen Stichwortgeber dieser ausführenden Organe gefallen sich dagegen in Patagonia-Westen und Lacoste-Hemden. Hemmungslos trägt die männlich dominierte Machtelite in vornehmen Clubs rassistische Überzeugungen zur Schau. Dass der machtgeile Lockjaw auch gerne in höheren Kreisen mitspielen würde, spornt ihn an.

So, wie es »One Battle After An­other« gelingt, war lange kein US-amerikanischer Film mehr im Stande, die kulturelle wie politische Prägung unserer Zeit visuell und erzählerisch zu erfassen. In seiner kritischen Durchdringungskraft erinnert Andersons Arbeit an das Paranoiakino der siebziger Jahre, an seine großen subversiven Thriller mit ihrem Misstrauen gegenüber Staat, Geheimdiensten und Militär. Das Ganze kommt bei Anderson aber eher im Gewand einer brutal-komischen Stoner-Comedy mit minutiös choreographierten Ausflügen ins Actiongenre daher. Der angeschlagene Ton lässt an Tarantino und die Coen-Brüder denken, jedoch liefert Anderson eine politisch deutlich bewusstere Variante.

Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor)

Immer auf der Flucht. Perfidia Beverly Hills (Teyana Taylor)

Bild:
Courtesy Warner Bros. Pictures

Das hochwertige Vista-Vision-Filmformat, mit dem Anderson seinen Film in Szene setzt, zeigt knackig gegenwärtige Bilder in einem zeitlosen, nostalgischen Charme. Bei ­einer Verfolgungsszene, die drei Autos durch die Hügellandschaft einer kalifornischen Wüste führt, ahnt man als Zuschauer, einem Ereignis von filmhistorischem Rang beizuwohnen. Rhythmusgefühl, Timing, inszenatorische Präzision und er­zählerische Suspense finden in einer geradezu elektrisierenden Bildsprache zusammen, die kongenial vom flirrenden Score des Radiohead-­Gitarristen Jonny Greenwood untermalt und herausgearbeitet wird. Oft erzeugen die Jazz-, Percussion- und Ein-Ton-Elemente wie eine einzige angeschlagene Klaviertaste atmosphärische Spannung und Düsternis, teilweise kontrapunktisch zur Bildebene, was der Erzählung weitere Komplexität verleiht.

Die Kompositionen Greenwoods sind schon für sich allein genommen ein Geniestreich und eines Oscars würdig. Ebenso die Performances von Leonardo DiCaprio – seit »The Wolf of Wall Street« war er nicht mehr so gut wie hier – und der ungeheuer präsenten Chase Infiniti. A star is born, kann man angesichts der unheimlich coolen Darbietung der 25jährigen nur schwärmen. In diesem Meisterwerk hat sie die spannendste Rolle. Am Ende steht für die junge Frau die Frage, ob sie den Weg ihrer Eltern fortsetzt und Gewalt ihr Leben bestimmen wird. Die Wiederkehr des Immergleichen erscheint in ­Andersons Film nicht als schicksalshafte Notwendigkeit. Das ist die ­optimistische Perspektive eines Kinofilms, der ansonsten einen tiefen Pessimismus an den Tag legt, wenn es darum geht, den gegenwärtigen Zustand zu fassen zu bekommen.

One Battle After Another (USA 2025). Buch und Regie: Paul Thomas Anderson. Mit ­Leonardo DiCaprio, Benicio del Toro, ­Teyana Taylor. Bereits angelaufen