Das Prinzip Sherman
»Wo liegt Stars Hollow?« wollte der »Late Show«-Moderator Stephen Colbert 2016 wissen. Er fragte seinen Gast Lauren Graham, die, entzückend und schlagfertig, wie sie ist, antwortete: »Es liegt auf halbem Weg zwischen New Heaven und unserer Vorstellungskraft.« Graham muss es wissen, immerhin lebt Lorelai Victoria Gilmore, die Fernsehfigur, der sie sieben Jahre lang Leben einhauchte, zusammen mit ihrer Tochter Lorelai »Rory« Leigh Gilmore (gespielt von Alexis Bledel) in der 1779 gegründeten fiktiven und sehr quirligen Kleinstadt unweit von Hartford, im US-Bundesstaat Connecticut.
20 Minuten entfernt wohnen in einem nicht annähernd so quirligen Villenviertel von Hartford Lorelais wohlhabende Eltern Emily (Kelly Bishop) und Richard (Edward Herrmann), mit denen sie kontinuierlich und aus guten Gründen im Clinch liegt; das glatte Gegenteil ist die Beziehung zu Rory, die Lorelai alleine aufzieht. Die Geschichten der Serie drehen sich um die Liebeleien der Hauptfiguren, die Schulkarriere von Rory und Lorelais ewigen Streit mit ihren Eltern. Doch das Herz der Serie ist nicht in dem zu finden, was erzählt wird, sondern darin, wie es erzählt und was gesagt wird. Es ist eine von ihren Dialogen buchstäblich getriebene Serie.
Die Referenzen in »Gilmore Girls« sind keine einfachen Gags, um die Serie intellektuell aufzumöbeln – sie sind Resultat der Art und Weise, wie Amy Sherman-Palladino spricht, denkt und schreibt.
Als Amy Sherman-Palladino, die Erfinderin, Autorin, Regisseurin und ausführende Produzentin von »Gilmore Girls«, 2018 den Emmy für die beste Regie für eine Komödienserie (für »The Marvelous Mrs. Maisel«) entgegennahm, dankte sie ihn ihrer Rede ihren Schauspielern: »You don’t flinch when I say it’s a six page oner!« Was die Schauspieler nicht zusammenzucken lässt, ist das Markenzeichen von Sherman-Palladino: Mit »oner« ist ein Master Shot gemeint, eine Szene, die ohne Schnitt gedreht wird, in der gleichzeitig durch die Kulissen gerannt werden muss (was Graham einmal als »sportlich« bezeichnete) und dessen Dialog sich im Falle dieser Drehbuchautorin eben auf sechs Seiten erstrecken kann. Für »Gilmore Girls«, dessen erste Folge vor 25 Jahren, am 5. Oktober 2000, im US-Fernsehsender The WB ausgestrahlt wurde und die sieben Jahre (davon allerdings nur sechs unter der Leitung ihrer Erfinderin) lief, erhielt Sherman-Palladino übrigens nie einen Emmy – geschweige denn irgendeine andere prestigereiche Auszeichnung.
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Mit Lauren Graham hatte Sherman-Palladino die perfekte Besetzung für ihre Hauptfigur Lorelai Gilmore gefunden. Sogar der Titel von Grahams autobiographischer Essaysammlung nimmt Bezug auf ihre berühmteste Rolle: »Talking as Fast as I can« heißt das 2016 erschienene Buch, und ja, das ist Grundvoraussetzung, um mit Sherman-Palladino zu arbeiten: Das typische Drehbuch für eine Folge »Gilmore Girls« war 75 bis 80 Seiten lang. Zum Vergleich: Das Drehbuch einer durchschnittlichen Serienfolge dieser Länge – etwa 42 Minuten – hat 40 bis 60 Seiten. So lang sind die Drehbücher nicht nur, weil Sherman-Palladino ihre Figuren eh schon unfassbar viel sagen lässt (was sich aufgrund der begrenzten Zeit zwangsläufig darauf auswirkt, wie schnell diese sprechen), sondern auch, weil sie die Skripts vollstopft mit Referenzen auf Bücher, Filme, Serien, Musik, auf politische Ereignisse und Persönlichkeiten.
Das Tumblr-Blog »Gilmoremovies« bemüht sich, alle Filme aufzulisten, auf die in »Gilmore Girls« Bezug genommen wird, samt Bewertung und den einzelnen »Gilmore Girls«-Folgen, in denen entsprechende Anspielungen zu finden sind. Bis jetzt sind es 286 Filme, vollständig ist die Liste noch nicht. Für eine Serie mit 153 Folgen ist das eine beachtliche Zahl.
»Casablanca«, »Der Pate« und »Der Zauberer von Oz« häufig referenziert
Viele Filme werden gleich in mehreren Episoden angesprochen: »Casablanca« acht Mal, »Der Pate« in 19 Folgen, und »Der Zauberer von Oz« wartet mit ganzen 22 Nennungen auf – so viele, dass die Autorin des Blogs sich zeitweilig genötigt fühlte, auf der Seite des Films ironisch anzumerken, dass die Leser es bitte verzeihen sollen, falls eine Referenz auf der Liste fehle, schließlich komme der »Zauberer von Oz« »fünf Milliarden Mal« bei »Gilmore Girls« vor.
Eine solche Filmreferenz besteht nicht unbedingt darin, dass schlicht über einen Film gesprochen wird, nein, die Andeutung versteckt sich oft im Dialog. Wenn Lorelai in einer Folge der dritten Staffel ihr Haus in der Nacht verlassen muss und einen Schlafplatz benötigt, geht sie zu Luke Danes (Scott Patterson), dem ewig grummeligen, aber herzensguten Besitzer des Diner der Stadt – ihr späterer Lebensgefährte. Er wohnt über seinem Lokal, und um ihn auf sich aufmerksam zu machen, ruft Lorelai, auf der Straße stehend, zweimal seinen Namen, um schließlich aus vollster Brust »Stella!« zu schreien. Genau dasselbe tut auch Marlon Brando in der Verfilmung von »Endstation Sehnsucht« von 1951, wenn er als Stanley Kowalski nach seiner Frau Stella ruft.
Und die Referenzen, nicht nur die auf Filme, können sogar noch abstrakter sein: Babette, die aufdringliche und trutschige Nachbarin von Lorelai und Rory, wird gespielt von Sally Struthers, deren berühmteste Rolle die der liberalen Tochter des erzreaktionären Archie Bunker in der Sitcom »All in the Family« war – die, natürlich, ebenfalls immer wieder in »Gilmore Girls« erwähnt wird. Struthers’ Figur wird eigentlich erst dadurch rund, dass sie in den Siebzigern diese berühmte Rolle spielte. Dasselbe gilt für die Musikladeninhaberin Sophie, die von niemand Geringerem als Carole King gespielt wird, einer der wichtigsten Folksängerinnen und Songschreiberinnen des 20. Jahrhunderts – der »Gilmore Girls«-Titelsong »Where You Lead« stammt ebenfalls von King.
Ein anderes Beispiel ereignet sich bei einem »Friday night dinner«, einem der allwöchentlichen Abendessen, die Emilys Bedingung dafür sind, Rory den Besuch einer Privatschule zu finanzieren. Als Lorelai, Rory und Emily dabei einmal zu lange auf das Familienoberhaupt Richard warten müssen und Emily die ungeduldige, weil hungrige Lorelai für ihre Äußerung tadelt, sie würden schon »ewig« warten, antwortet Lorelai: »Ewig! Godot war gerade hier. Er sagte: ›Ich warte nicht auf Richard‹, schnappte sich ein Brötchen und ging wieder.« Godot kam in Samuel Becketts Stück »Warten auf Godot« bekanntlich nie.
Manchmal muss auch gar kein sprachlicher Bezug hergestellt werden, es reicht das Visuelle oder der Kontext: In der dritten Staffel findet in Stars Hollow ein Tanzwettbewerb statt, 24 Stunden müssen die Tanzpartner auf den Beinen sein, um zu gewinnen. Die Folge trägt den Titel »They Shoot Gilmores, Don’t They?« – eine Hommage an den New-Hollywood-Film »They Shoot Horses, Don’t They?« von 1969, in dem exakt ein solcher Tanzwettbewerb stattfindet, allerdings in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, der »Great Depression«. Genannt wird der Titel des Films in der Folge aber nicht.
Dem Fan-Dasein lustvoll hingeben
Nun könnte man meinen, diese vielen Verweise hätten etwas Elitäres an sich, etwas Arrogantes, würden Zuschauer insgeheim immer wieder auf ihr Unwissen hinweisen. Doch das Gegenteil ist der Fall: Eine Folge wie »They Shoot Gilmores, Don’t They?« funktioniert ganz wunderbar, ohne dass man die Filmreferenz versteht; Babette ist immer noch eine lustige Figur, wenn man nichts von der Vita der Schauspielerin weiß. Die Referenzen sind kein Gimmick, keine einfachen Gags, um die Serie intellektuell aufzumöbeln – sie sind Resultat der Art und Weise, wie Amy Sherman-Palladino und im übrigen auch ihr Mann Daniel Palladino (der ebenfalls schrieb, produzierte und Regie führte) sprechen, denken und schreiben.
Die Serienschöpfer antworten damit avant la lettre auf die seit ein paar Jahren in der Kulturwissenschaft geäußerte Kritik an Fantum und am Kanon, und zwar nicht etwa, indem sie sich über Nerds und Fans lustig machen würden, sondern dadurch, dass sie sich selbst (und damit auch ihre Figuren) dem Fan-Dasein einfach lustvoll hingeben, und indem sie nicht einen als »konservativ« gebrandmarkten Kanon in die Tonne treten, sondern ihn stattdessen erweitern: Der »Gilmore Girls«-Kanon umfasst Herman Melvilles »Moby-Dick« und Sylvia Plaths »Die Glasglocke« (zwei Lieblingsbücher der Leseratte Rory) sowie die Frauenpopband The Bangles (Lorelais Favorit als Teenager), beinhaltet Shakespeare genauso wie den Film »Grey Gardens«, eine trashige Dokumentation über Edith Ewing Bouvier Beale (eine Tante von Jackie Onassis), ihre Tochter und deren exzentrisches Leben in einem verfallenen Haus in den Hamptons.
Weder wird in »Gilmore Girls« zwischen Hoch- und Populärkritik getrennt, noch ist die Serie ein Quiz, bei dem die Person gewinnt, die am meisten weiß. Kelly Bishop, die Darstellerin von Emily, sagte bezogen auf die Referenzen einmal etwas sehr Kluges: »Wenn du den Witz nicht verstehst, einfach weitermachen!« Viel mehr lässt die Show einem auch nicht übrig, bei der Geschwindigkeit, in der hier geredet wird. Die Referenzen kann man in dem Zusammenhang viel besser als eine Zutat zu dem Singsang verstehen, der den besonderen Ton der Serie ausmacht.
Und noch etwas machen die Referenzen deutlich: Diese Figuren, auf die man hier trifft, sind geschichtliche Wesen, sie sind gesellschaftliche Wesen. Sie sind in der Welt, nicht jenseits von ihr. Neben kulturellen Produkten wird unzählige Male auch auf öffentliche Personen, politische Ereignisse wie auch auf Politiker selbst Bezug genommen. Die »Gilmore Girls« machen diese Verweise, um sich selbst in einen Zusammenhang zu stellen, um sich ins Verhältnis zu setzen, um ironisch, um witzig zu sein, um nicht nur zu sprechen, sondern um etwas zu sagen – man darf es das Prinzip Sherman nennen, das hier am Werk ist.
Es ist eine zutiefst ethische Haltung, die in der Serie vorgeführt wird, nämlich wie zu denken und zu leben sei, wie man sich zu dem verhält, was um einen herum passiert – es sind zwei Frauen, die über ein enormes Wissen verfügen, ein Wissen, das viele wohl als unnützes abtun würden, den beiden aber Mittel zur Emanzipation ist. Der Pop, die Politik, sie sind diesen Figuren nicht äußerlich, nein, sie sind ihnen in Fleisch und Blut übergegangen.
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»Midwest Business & Residential St« heißt der Teil des Außengeländes (des sogenannten Backlot), auf dem seit 1939 das Set steht, das das Filmstudio Warner Bros. auf seiner Website als »Anytown, USA« bezeichnet. Hier vertrieb sich James Dean in zwei seiner drei Filme die Zeit, hier trieb der Betrüger Harold Hill im Musical-Film »The Music Man« von 1962 sein Unwesen, hier raubten Faye Dunaway und Warren Beatty als »Bonnie and Clyde« 1967 eine Bank aus, hier gingen die Waltons in der gleichnamigen Serie in die Kirche, hier terrorisierten die »Gremlins« die Bevölkerung, hier wurde eine Szene der letzten Folge der Sitcom »Seinfeld« gedreht – und hier lebten Lorelai und Rory, das Set diente als Außenkulisse für Stars Hollow.
Während Stars Hollow mit seinen kleinen Läden, dem Diner, der Tanzschule, dem Hotel, in dem Lorelai arbeitet und ihre beste Freundin, die Köchin Sookie (Melissa McCarthy), die schillerndsten Gerichte zubereitet (die keine Props, sondern echt waren), und mit dem chaotisch-gemütlichen Haus der Gilmore Girls einen gewissen Realismus ausstrahlt, kollidiert dieser doch in jeder Folge mit dem Set, in dem die Serie aufgezeichnet wurde. Als Lauren Graham und Alexis Bledel in diesem Jahr bei der Verleihung der Emmys auf der Bühne auftraten und über ihre Zeit bei »Gilmore Girls« sprachen, sagte Graham: »Wir liefen in Burbank im Kreis herum und sagten: ›Schau mal, wie sehr es hier heute nach Connecticut aussieht!‹«
Es stimmt, »Gilmore Girls« spielt im kalten Neuengland und wurde doch im heißen Kalifornien gedreht, in Los Angeles – die mächtigen Hollywood Hills sind mehr als einmal im Hintergrund zu sehen. Doch tut dies dem Realismus der Serie, der ihr den Ruf einbrachte, »comfort TV« zu sein, keinen Abbruch. Tatsächlich verstärkt diese unpassende Landschaft genau wie das schnelle und obskure Sprechen und Handeln der Figuren (keine 16jährige weiß – leider – so viel über Populärkultur wie Rory) das Artifizielle, das der Serie ebenfalls inhärent ist.
Die Show als Märchen
Es wäre sogar gar nicht abwegig, die Show als Märchen zu bezeichnen, und das geht so: Es war einmal, im Jahr 1984, eine 16jährige Teenagerin, die ungewollt schwanger wurde und eine Tochter zur Welt brachte. Sie lebte in einem großen, einschüchternden Haus zusammen mit ihren strengen Eltern und eines Tages packte sie ihre Sachen, nahm ihre Tochter, hinterließ eine Notiz und rannte davon. Das ist die Geschichte von Lorelai, die wie eine dunkle Wolke über den freitäglichen Dinners schwebt, denn dass sie abhaute, hat Emily und Richard dauerhaft verletzt.
Auch andere Figuren verkörpern gleichsam ein Realismus- wie ein Märchenprinzip. Jess (Milo Ventimiglia) zum Beispiel, Lukes rebellischer Neffe, der von seiner Mutter verstoßen wird, muss fortan bei seinem Onkel leben und verliebt sich auf den ersten Blick in Rory – und kämpft von da an um ihre Gunst, obwohl sie schon einen Freund hat, nämlich den perfekten all American boy Dean (Jared Padalecki). Und Rorys beste Freundin Lane (Keiko Agena), deren koreanische Mutter Mrs. Kim (Emily Kuroda) Mitglied in der Kirche der Siebenten-Tags-Adventisten ist, muss ihr ganzes Leben als nerdiger Musikfan und angehende Schlagzeugerin vor ihrer hochreligiösen Mutter geheimhalten – ihre immense CD-Sammlung versteckt sie unter dem Holzboden. Die Beziehung Lanes zu ihrer Mutter ist wichtig für die Serie, denn sie ist das komplette Gegenteil von Lorelais Beziehung zu Rory – so wie auch Lorelais Beziehung zu ihrer eigenen Mutter Emily in scharfem Kontrast zu der zu ihrer Tochter steht.
Stars Hollow ist nicht nur ein fiktiver Ort, in dem viele Referenzen gemacht werden, er selbst spielt – abgesehen davon, dass man ihn in der einen oder anderen Form in anderen Filmen und Serien sehen kann – auf Orte aus der Populärkultur an, namentlich auf Thornton Wilders Stück »Our Town« und auf Anatevka, das Schtetl, in dem das Musical und später der Film »Fiddler on the Roof« spielt, das natürlich in einer Folge der »Gilmore Girls« vorkommt: Kinder führen es an der örtlichen Schule auf.
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»Make the small big, make the big small.« Diesen Tipp, den ihrer Meinung nach besten für das Geschichtenerzählen, den sie auf Lager hat, gab Amy Sherman-Palladino 2015 zum 15jährigen Jubiläum von »Gilmore Girls« beim ATX TV Festival in Austin zum Besten. Viel mehr Theoretisches hat die leidenschaftliche Autorin über ihre Tätigkeit aber nicht zu sagen. Als eine Frau aus dem Publikum der Veranstaltung für eine Freundin (die ihre Dissertation über die Serie verfasste) fragte, wie viel Arbeit in die »linguistischen Besonderheiten« der einzelnen Figuren investiert, wie für den Sound der einzelnen Figuren und dafür gesorgt werde, dass sich die starken Beziehungen der Figuren untereinander in den Dialogen widerspiegeln, hatte Sherman-Palladino nur eine etwas spöttische Antwort parat: »Yeah, you’ve lost me at linguistics.«
Der antiakademische Seitenhieb ist keineswegs nur Show: Sherman-Palladino hat tatsächlich nie studiert, dafür aber Tanzstunden genommen. Ihre Karriere als Tänzerin hängte sie 1990 an den Nagel, um für die Sitcom »Roseanne« zu schreiben – sie ist eine Quereinsteigerin. Auch die »Gilmore Girls« kamen eher aus Versehen zustande – während eines Treffens bei Warner Brothers hatte Sherman-Palladino mehrere ausgearbeitete Serienentwürfe präsentiert, keiner kam an, bis sie in letzter Minute spontan vorschlug, eine Serie über eine Mutter und eine Tochter zu machen, die beste Freundinnen sind – diese Idee wurde sofort gekauft.
Von 131 Folgen der ersten sechs Staffeln hat Sherman-Palladino unglaubliche 49 geschrieben, fünf davon mit ihrem Mann Daniel, der allein weitere 39 Drehbücher beigetragen hat – das Paar, das die Journalistin Anna Leszkiewicz einmal als eines beschrieb, bei dem die eine die Sätze des jeweils anderen beendet, bei dem sich ständig gegenseitig ins Wort gefallen wird, hat, so irre es klingt, mehr als zwei Drittel dieser Serie selbst verfasst.
Dass die finale siebte Staffel der Originalserie nicht aus ihrer Feder stammt, lag daran, dass Sherman-Palladino mit dem Versuch scheiterte, mehr Geld für Autoren und Ausstattung und eine achte Staffel aus dem Studio herauszuleiern, und sich daraufhin, was für ein radikaler Schritt, komplett aus der Produktion von »Gilmore Girls« zurückzog, was zu dem vielleicht dramatischsten Qualitätsabfall in der Geschichte des Fernsehens führte. Zum Glück ließen beide 2016 Stars Hollow für eine vierteilige Neuauflage wiederauferstehen und konnten ihre Figur Rory endlich jene in Fankreisen kanonisierten vier letzten Worte sagen lassen, die Sherman-Palladino schon während der Laufzeit der Originalserie für das Ende erdacht hatte.
Was Amy Sherman und Daniel Palladino wohl antreibt? Die Liebe zur Popkultur, die Kraft des Erzählens und ihr Hang zum Showbusiness.
Was Amy Sherman und Daniel Palladino wohl antreibt? Die Liebe zur Popkultur ist es wohl, deren Fetzen sie ihren Figuren in den Mund legen, die Kraft des Erzählens muss es sein, und ihr Hang zum Showbusiness – die Möglichkeit, Zuschauerinnen und Zuschauer zu entzücken, sie in Staunen zu versetzen, sie zu überfordern und sie zu verzaubern, kurz: sie zu unterhalten. Wenn Luke nach sich unendlich lang anfühlenden vier Staffeln endlich begreift, dass er in Lorelai verliebt ist und das mit dem Wort »whoa« kommentiert, wenn Lorelai die Abendschule beendet und ihre Eltern trotz des in ihren Kreisen wenig hermachenden Abschlusses zum ersten Mal auf sie stolz sind, wenn Rory und ihr dritter Freund Logan (Matt Czuchry) in einer Mutprobe nur notdürftig gesichert und einander an den Händen haltend von einem Gerüst springen – um nur drei Momente zu nennen –, dann kann man das nicht mit weniger als dem Wort »magisch« beschreiben. Magie, auch das ein Teil des Prinzips Sherman.
Dass Lauren Graham und Alexis Bledel in diesem Jahr bei den Emmys die Auszeichnung für die am besten geschriebene Comedy-Serie präsentierten, und zwar vor dem für die Show auf der Bühne nachgebautem Haus ihrer Serienfiguren, ist insgeheim auch eine späte Ehrung der Autorenserienmacherin Amy Sherman-Palladino. »Ohne Skripts hätten wir keine wunderbaren Worte, wir wüssten nicht, ob es Tag oder Nacht ist, ob wir drinnen oder draußen sind«, sagten die beiden in ihrer Anmoderation, nicht ohne hinzuzufügen, dass nicht nur die Informationen in einem Skript wichtig sind, sondern auch die Witze, die in ihm stehen.
Als Rory in der allerersten Folge auf Mrs. Kim trifft und einen kleinen Witz macht, schaut diese sie ernst an und verkündet streng und verärgert: »Boys don’t like funny girls.« »Gilmore Girls« ist eine Serie, die diese von einer ihrer Figuren aufgestellte Regel brechen will, als falsch, unsinnig und unnötig entlarven will, die alles dafür tut, unter Beweis zu stellen, dass Frauen in der Tat lustig sind – und dass es egal ist, ob Jungs das nun mögen oder nicht.