09.10.2025
Die Bundesregierung will, dass länger gearbeitet wird

Immer mehr Arbeiten – auch samstags gehört Vati dem Chef

Die Deutschen sollen mehr arbeiten. Dafür will die Bundes­regierung das Arbeitsgesetz überarbeiten – ganz egal, was die Betroffenen davon halten. Die Gewerkschaften bekunden ihr Unbehagen bislang nur mit Umfragen. Eine Kolumne über Leistungsideologie und deutschen Wahn.

Die seit Jahren anhaltende Propaganda von Handel und Industrie, die Deutschen seien das faulste Volk der Welt, eine bekifft in der Hängematte schnarchende Nation von Drückebergern, zeitigt nun die erwünschten politischen Folgen. Die Bundesregierung will das Arbeitszeitgesetz überarbeiten und die maximale Wochenarbeitszeit von 40 Stunden auf 48 Stunden, also um einen ganzen Arbeitstag bisher üblicher Länge, ausweiten.

Was in den fünfziger und sechziger Jahren von den Gewerkschaften erkämpft wurde, ging in die Kulturgeschichte des Klassenkampfs ein: Am 1. Mai 1955 lautete die DGB-Parole »40 Stunden sind genug«, ein Jahr später führten die Gewerkschaften die berühmte Kampagne »Samstags gehört Vati mir«. Dem blonden Knaben, der auf Plakaten und Aufklebern diesem Slogan ein Gesicht gab, möchte man zurufen: Vergiss es, Junge, Vati gehört dem Chef.

Aber falls er nicht zu k. o. ist, kann er immer noch mit dir am Sonntag in die Kirche gehen, um dem Pfarrer zuzuhören, der den Propheten Franz Müntefering (SPD) zitiert: »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen.« Eventuell konkretisiert zu: »Wer nicht arbeitet, bis er vor Erschöpfung umfällt, soll auch nicht essen.«

Unter der Woche soll dem Humankapital jene Rolle zukommen, in der es die Kapitaleigner seit jeher besetzt sehen wollen: je nach Auftragslage flexibel verfügbare Knechte.

In der Praxis soll dieser zusätzlich verordnete Normarbeitstag auf die bisherige Fünftagewoche aufgeteilt werden, so dass die tägliche Arbeitszeit auf bis zu zwölf Stunden und 15 Minuten ausgedehnt werden kann. Vati und Mutti werden also vielleicht auch in Zukunft samstags der Familie »gehören«, aber sie werden viel zu ausgebrannt sein, um irgendetwas anderes zu tun, als Stunde um Stunde Serien zu konsumieren.

Unter der Woche soll dem Humankapital jene Rolle zukommen, in der es die Kapitaleigner seit jeher besetzt sehen wollen: je nach Auftragslage flexibel verfügbare Knechte. Die Gewerkschaften, denen man gerade ihre größte dem Kapital abgetrotzte Errungenschaft nehmen will, geben höflich zu bedenken, dass Studien zufolge bis zu 80 Prozent der Lohnabhängigen, die bereits mehr als 40 Stunden arbeiten, lieber kürzer als länger schuften würden, aber der Zug dürfte längst abgefahren sein.

Zwar sei das kommende verschärfte Ausbeutungsregime jenen deutschen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern herzlich vergönnt, die im Zuge der ab 2008 wütenden Finanzkrise begeistert die von deutschen Boulevardmedien und Politikern vorgetragene Mär von den »faulen Südländern« nachplapperten.

Kranke als wahre Schuldige am Niedergang der deutschen Wirtschaft

Aber man sollte dennoch nicht übersehen, dass die Verschärfung der Ausbeutung durch Arbeitszeitverlängerung ein volkswirtschaftlicher Offen­barungseid eines Staates ist, in dem die Kernindustrien auf subventionierten Export ausgelegt waren und dem Prinzip »beggar thy neighbour« folgten. Das führte nicht nur zu einem technologischen Rückstand, da ja nicht innovativ sein muss, wer bei bestimmten Produkten einmal die Oberhand gewonnen hat, sondern die deutsche Wirtschaft ist aufgrund der immer schon vernachlässigten ­Inlandsnachfrage auch unfähig, auf schwarze Schwäne wie den isolationistischen US-Präsidenten Donald Trump (der eher orange aussieht) oder die steigende Produktivität Chinas zu reagieren.

Auch die deutsche Freizeit- und Tourismusbranche wird sich noch umsehen, wenn deutsche Arbeiterinnen und Arbeiter mangels Zeit und Energie ihre Angebote nicht mehr in Anspruch ­nehmen, so wie auch das Gesundheitssystem mit der zu erwartenden erheblichen Zunahme von Burn-out und anderen Stresskrankheiten überfordert sein dürfte.

Aber Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) und sein Vize Lars Klingbeil (SPD) werden das womöglich auf die ihnen eigene höchst intelligente und humane Weise lösen, indem sie jene Menschen, die sie mit ihrer Politik krank machen, zu den wahren Schuldigen am Niedergang der deutschen Wirtschaft erklären.