09.10.2025
Israelis berichten über ihr Leben in Deutschland

Das bedrohte Zuhause

Berlin ist lange schon beliebt bei Israelis. Mittlerweile leben rund 20.000 in der Hauptstadt. Der 7. Oktober 2023 hat auch für sie vieles verändert. Bei einer Veranstaltung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft berichteten zwei von ihnen von ihren durchaus unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven.

In Berlin leben rund 20.000 Israelis. Wie war für sie – weit weg von ihrer Familie und konfrontiert mit einem wachsenden Antisemitismus auf deutschen Straßen – das Leben nach dem 7. Oktober 2023?

Die Journalistin und Autorin Andrea von Treuenfeld hat sich einen Eindruck davon verschafft und in den ersten Monaten nach dem 7. Oktober Interviews mit 18 Israelis in Berlin geführt. Sie erzählten ihr von der Angst um Familie und Freunde in Israel, von Retraumatisierung und Alpträumen, aber auch über ihr Aufwachsen und über die Gründe, nach Berlin umzusiedeln. Treuenfeld hat diese Gespräche jüngst in einem Buch mit dem Titel »Israelis in Berlin nach dem 7. Oktober« veröffentlicht.

»Seit dem 7. Oktober fühlt man sich doch viel mehr israelisch, man kann sich davon eben nicht befreien.« Ron Segal, Schriftsteller

Ihre Gesprächspartner leben alle seit vielen Jahren in Berlin und sprechen gut deutsch. Sie arbeiten im Kulturbetrieb, in der Gastronomie, als Sozial­arbeiterin, Psychologe oder Journalist. Auf Einladung der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin Brandenburg und der Friedrich-Naumann-Stiftung hat von Treuenfeld am vorvergangenen Dienstagabend bei einer gut besuchten Veranstaltung in der Hessischen Landesvertretung von diesen Gesprächen berichtet.

»Eigentlich ging es bei jedem Gespräch irgendwann um Antisemitismus«, sagte die Autorin, »aber auch um die ›Alternative für Deutschland‹ und die Angst davor und um die Frage: ›Wo gehen wir dann hin?‹« Auch zwei ihrer Gesprächspartner waren zu Gast: der Schriftsteller Ron Segal und der Sänger und Chasan (Synagogenvorbeter) Assaf Levitin.

»Meine Generation hätte niemals geglaubt, dass wir wieder eine Art Pogromnacht erleben – und das im Jahr 2023 in Israel«, teilte Segal dem Publikum mit. Er ist 1980 geboren und lebt seit 2009 in Berlin, der Stadt, in der einst seine Großmutter lebte. Zwei Stolpersteine in Schöneberg erinnern an Familienmitglieder, die in der Shoah ermordet wurden.

Lesungen unter Polizeischutz

»Meinen Umzug nach Berlin betrachte ich als eine Art Rückkehr der Familie«, so Segal. Seine Kinder sprächen Hebräisch und Deutsch, die Sprache seiner Urgroßmutter, die in seiner Familie in Israel sonst niemand mehr spreche. Erst mit seinen Kindern sei das Deutsche wieder zurück in seine Familie gekommen. Er selbst habe erst mit 30 Jahren Deutsch gelernt, schreibe aber nicht literarisch auf Deutsch. »Das ist ein bisschen zu spät, um noch eine literarische Stimme in einer Sprache zu entwickeln.«

Für Segal ist Deutschland zwar nicht seine Heimat – man kann ihm zufolge schließlich nur eine haben –, aber ein Zuhause. Dass seine Lesungen in diesem Land unter Polizeischutz stattfinden müssen, irritiere ihn jedes Mal aufs Neue. »Ich bin doch keine Synagoge.«

Schon lange ist Berlin eine Art Sehnsuchtsort, besonders für junge Israelis. Doch seit dem 7. Oktober habe sich vieles verändert, heißt es unisono in dem Buch. Jede Woche ziehen angeblich propalästinensische, aber im Kern dann doch lediglich israelfeindliche und in Teilen antisemitische Demonstrationen durch die Stadt.

Assaf Levitin spricht überall offen Hebräisch

Viele Juden und Israelis in Deutschland sind es gewohnt, dass Menschen auf ihr Jüdischsein verkrampft oder verlegen reagieren, doch nun sehen sie sich ständig damit konfrontiert, sich zum Gaza-Krieg und zur Politik des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu positionieren zu müssen. Oft begegne man Israelis feindselig, sehe sie nicht mehr als Menschen und Individuen, sondern als Repräsentanten einer Gruppe, heißt es von einigen Gesprächspartnern dazu im Buch. »Der Vorteil des Krieges ist, dass die Masken gefallen sind. Ich weiß jetzt, was die Menschen denken«, so Segal. »Seit dem 7. Oktober fühlt man sich doch viel mehr israelisch, man kann sich davon eben nicht befreien.«

Assaf Levitin lebt seit 27 Jahren in Deutschland. Er habe bisher sehr gute Erfahrungen gemacht. Anders als viele andere Israelis in Berlin, erzählte er bei der Veranstaltung, spreche er überall offen Hebräisch und gebe bei Taxibuchungen seinen echten Namen an. »Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, Israeli zu sein.« Sein Friseur sei Libanese. Die größte Gefahr für Juden in Deutschland gehe ohnehin von der AfD aus. »Und vom Islamismus«, ergänzte ein Zwischenrufer aus dem ­Publikum.

Von wem geht die größte Gefahr aus?

Auch Levitins deutliche Kritik an der rechten Regierung in Israel quittierten einige Zuschauer mit klar hörbarem Murren. »Wir haben die schlechteste und gefährlichste Regierung aller Zeiten in Israel«, meinte Levitin. Weder »Bibi« (Benjamin Netanyahu) noch die Hamas hätten ein echtes Interesse, den Krieg zu beenden. »Das ist doch gar nicht wahr«, schimpfte eine Besucherin im Seniorenalter in der ersten Reihe.

Segal sagte: »Was für eine Ironie, dass ausgerechnet Donald Trump jetzt wirkt wie der einzige Vernünftige im Raum«, auf den jüngsten Friedensplan des US-amerikanischen Präsidenten anspielend. »Eine Zweistaatenlösung ist nicht im Interesse Bibis und seiner Basis.«

Andrea von Treuenfelds Buch ist ein gelungener Versuch, die Vielfalt israelischen Lebens in der Hauptstadt und die gemischten Reaktionen auf die derzeitige Lage zu erfassen. Auch der arabische Israeli Ahmad Mansour, ein Psychologe und Islamismus-Experte, und die Betreiber des derzeit wegen Umsatzeinbußen vor der Schließung stehenden israelisch-palästinensischen Restaurants Kanaan im Prenzlauer Berg wurden zu ihren Gedanken und Erlebnissen befragt, denn 20 Prozent der Bevölkerung Israels sind nichtjüdisch.


Buchcover

Andrea von Treuenfeld: Israelis in Berlin nach dem 7. Oktober. Neofelis-Verlag, Berlin 2025, 204 Seiten, 20 Euro