09.10.2025
Die politischen Krise in Frankreich nützt dem Rassemblement national

Rechts gewinnt

Von der politischen Dauerkrise Frankreichs und der Unzufriedenheit mit der Kürzungspolitik profitieren linke Parteien wie die populistische La France insoumise kaum. Der rechtsextreme Rassemblement ­national führt die Umfragen an und kann sich in Geduld üben.

Paris. »Erbärmlich« nannte Marine Le Pen, die Fraktionsvorsitzende des rechtsex­tremen Rassemblement national (RN) in der französischen Nationalversammlung, das am Sonntag vorgestellte neue Regierungskabinett von Premierminister Sébastien Lecornu. Auch der Parteivorsitzende des RN, Jordan Bardella, lehnte das Kabinett, das überwiegend dem der vorherigen Regierung glich, klar ab: »Entweder ein klarer Bruch mit der Vergangenheit oder ein Misstrauensvotum«, schrieb er auf X.

Der Parteivorsitzende des Parti socialiste (PS), Boris Vallaud, kritisierte das Lager um Präsident Emmanuel Macron, der Lecornu am 9. September ernannt hatte: »Sie verlieren Wahlen, aber regieren immer noch. Sie haben keine Mehrheit, aber sie wollen keine Kompromisse eingehen.« Jean-Luc Mélenchon, der Gründer und Anführer der linkspopulistischen Partei La France insoumise (LFI), nannte das Kabinett »eine Prozession von Wiedergängern«; »der Countdown, um sie loszuwerden« habe bereits begonnen.

Bei gewissen umstrittenen wirtschaftspolitischen Fragen hält sich der Rassemblement national möglichst zurück, um sich nicht unbeliebt zu machen.

Und tatsächlich: Wenige Stunden darauf war die neue Regierung schon wieder weg. Früh am Montag gab Lecornu bekannt, dass seine Regierung gescheitert sei, und trat zurück; er amtiert nur noch geschäftsführend. Seinerseits warf er Parteien im Parlament vor, nicht zu Kompromissen bereit zu sein und zu agieren, als verfügten sie über eine Mehrheit im Parlament. Kurz darauf beauftragte ihn Macron, erneut Verhandlungen über eine Regierungsbildung zu führen. Mélenchon und Le Pen forderten Macrons Rücktritt und Neuwahlen.

Das linke Parteienbündnis bestehend aus LFI, PS, Grünen und Kommunisten ist derweil seinerseits zerstritten und uneins über eine Strategie im Falle von Neuwahlen, insbesondere nach den heftigen Angriffen von Mélenchons Partei gegen die Parti socialiste: Soll man noch einmal die Einigung suchen oder einen Kandidaten ohne LFI aufstellen? Mélenchon ruft zu Ersterem auf, aber die anderen Parteien folgen ihm nicht.

Präsident Emanuel Macron hatte im Juni 2024 überraschend die Nationalversammlung aufgelöst. Doch die Neuwahlen verliefen für das Präsidentenlager desaströs und seither befindet sich Frankreich in einer politischen Krise. Seit Anfang 2024 gab es vier Regierungen, denen zumeist die parlamentarische Mehrheit fehlte.

Unzufriedenheit mit der Sparpolitik

Die Krise ist zu einem großen Teil das Ergebnis wachsender Unzufriedenheit mit der Sparpolitik und den Angriffen auf soziale Rechte. Auch die Inflation der vergangenen Jahre hat die Lage verschärft. Die von Präsident Emmanuel Macron gegen heftige Proteste durchgesetzte Rentenreform von 2023, mit der das Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise auf 64 Jahre angehoben werden soll, hat tiefe politische Spuren hinterlassen. Doch die breite Ablehnung dieser Reform stärkte nicht das linke Lager. Es profitierte der Rassemblement national, der die größte Fraktion in der Nationalversammlung stellt und auch derzeit in Umfragen mit über 30 Prozent der Stimmen vorne liegt.

Am 8. September war die Regierung unter Premierminister François Bayrou (Demokratische Bewegung) durch ein Misstrauensvotum mit den vereinten Stimmen der linken Parteien – einschließlich des sozialdemokratischen PS – und des RN gestürzt worden. Der Christdemokrat Bayrou hatte erfolglos versucht, seine Pläne für drastische Haushaltskürzungen durchzusetzen. Da er das Vermögen der Reichen nicht antasten und die Steuern nicht erhöhen wollte, basierte sein am 15. Juli angekündigter Sparplan im Wesentlichen auf Kürzungen im Sozial- und Gesundheitsbereich. Die Ankündigung, zwei Feiertage zu streichen, war der Tropfen, der das Fass zum Über­laufen brachte.

Eine Folge von Bayrous unpopulären Sparplänen war der Aufschwung der Protestbewegung Bloquons tout (Lasst uns alles blockieren) über den Sommer. Anonyme Social-Media-Accounts hatten diese Bewegung, die eine Art Generalstreik am 10. September forderte, bereits im Mai initiiert. Wie die Gilets jaunes (Gelbwesten) entstand auch Bloquons tout ursprünglich in Online-Communitys der extremen Rechten und im verschwörungstheoretischen Milieu. Anschließend wurde sie von Bot-Netzwerken, die auch prorussische Desinformation verbreiteten, beworben, wie Forscher des Unternehmens Visibrain gezeigt haben.

Demonstrationen gegen die Kürzungspläne

Nachdem Bayrou seine Sparpläne verkündet hatte, wuchs das Interesse an der Bewegung rapide und sie wurde auch von Gewerkschaftern und Linken unterstützt. Doch sie verlor an Schwung, bevor sie richtig begonnen hatte. Umfragen zufolge unterstützten zwischen dem 15. und 23. August noch 63 Prozent der Franzosen die Bewegung, doch am Vorabend des angestrebten Protesttags am 10. September waren es nur noch 46 Prozent.

Die Aktionen am 10. September brachten das Land dann auch nicht zum Stillstand, doch kam es vielerorts zu Protesten. In den folgenden Wochen riefen vor allem Gewerkschaften zu Demonstrationen gegen die Kürzungspläne der Regierung auf, Bloquons tout verschwand in der Versenkung.

Warum hat es nicht funktioniert? Ein Grund war sicher, dass Premierminister Bayrou mit seiner verlorenen Vertrauensabstimmung wenige Tage vor dem 10. September dem Protest gegen seine Regierung etwas den Wind aus den Segeln genommen hatte. Außerdem haben Jahre der gescheiterten Proteste gegen die Sparpolitik in Teilen der ­Bevölkerung zu Resignation geführt und das Protestpotential gemindert. Die Forderungen der Bewegung waren ­zudem heterogen, ja sogar widersprüchlich.

Schließlich spielte auch die Vereinnahmung der Bewegung durch La France insoumise eine Rolle. Die Partei Mélenchons ist mittlerweile selbst in der Linken weitgehend unpopulär, ganz zu schweigen von dem Misstrauen, das die Unterstützer solcher Bewegungen wie Bloquons tout allgemein gegen Parteien hegen. Obwohl sich die soziale und politische Krise in Frankreich immer mehr vertieft und das linke Wahlbündnis aus LFI, PS, Grünen und Kommunisten in Umfragen weiterhin mit über 20 Prozent der Stimmen zweitstärkste Kraft ist, gelingt es dem Bündnis nicht, Forderungen durchzusetzen oder Macht zu erlangen. Zumindest zum Teil ist das auf LFI ­zurückzuführen, denn die Partei steht häufig mit ihren politischen Verbündeten und mit Gewerkschaften in Konflikt.

LFI und der Kampf gegen Israel

Abgeordnete von LFI setzen sich für Themen ein, die polarisieren und ­wenig mit den Sorgen der meisten Franzosen zu tun haben, insbesondere für den Kampf gegen Israel. Mitte September haben sich nicht weniger als vier LFI-Abgeordnete, darunter zwei Europaabgeordnete, an Bord der »Global Sumud Flotilla« in Richtung Gaza-Streifen begeben. Der LFI-Abgeordnete Thomas Portes hat zudem die Flottille verlassen, um sich in Beirut mit Führern der terroristischen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) zu treffen.

Zu Hause stellte derweil der LFI-Abgeordnete Éric Coquerel, der Vorsitzende des Finanzausschusses der Nationalversammlung, seine Inkompetenz in Wirtschaftsfragen unter Beweis, als er bei einer Fernsehdebatte über die Einführung der sogenannten Zucman-Steuer für Vermögen ab 100 Millionen Euro Einkünfte mit Eigentum verwechselte. Sophia Chikirou, Mélenchons ­Lebensgefährtin und ebenfalls LFI-Abgeordnete, kompromittierte sich, indem sie sich weigerte, das chinesische Regime als »Diktatur« zu bezeichnen. Solche Vorfälle haben dazu geführt, dass LFI auch in wirtschaftlichen und sozialen Debatten wenig gehört wird.

So muss die extreme Rechte fast nichts tun, um von der sozialen Wut zu profitieren, die sich derzeit politisch nicht ausdrücken kann. Bei gewissen umstrittenen wirtschaftspolitischen Fragen hält sich der Rassemblement national möglichst zurück, um sich nicht unbeliebt zu machen. Beispielsweise distanzierte er sich zwar von Bloquons tout, aber ohne die Bewegung zu verurteilen. Die Partei verlautbarte nur, sie sei »weder dazu berufen, Demonstrationen anzuzetteln (noch) zu organisieren«, und warnte vor der Präsenz antiisraelischer Symbole in den Reihen der Bewegung.

Noch vor drei Jahren hat der RN die Anerkennung eines palästinensischen Staats unterstützt. In den vergangenen Wochen verurteilte er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron unmissverständlich für eben diese Anerkennung.

Noch vor drei Jahren hat der RN die Anerkennung eines palästinensischen Staats unterstützt. In den vergangenen Wochen verurteilte er den französischen Präsidenten Emmanuel Macron unmissverständlich für eben diese Anerkennung. Die extreme Rechte prangert Auswüchse der antiisraelischen Linken und – heuchlerischerweise – antisemitische Entgleisungen innerhalb von LFI an. Auch wenn viele Abgeordnete des RN selbst als Antisemiten gelten dürfen, sind sie immerhin so diszipliniert, dass sie nicht durch ständige »Ausrutscher« das Image ihrer Partei schädigen. Stattdessen gibt sich der RN staatstragend, um sich als zukünftige Regierungspartei darzustellen.

Die Aussichten dafür stehen nicht schlecht, zumal 2026 Kommunalwahlen anstehen und Emmanuel Macron bei der Präsidentschaftswahl 2027 nicht erneut kandidieren kann. Die jüngsten Umfragen sehen den RN weit vorne, selbst mit einem inkompetenten Kandidaten wie Bardella. Mélenchon ­hingegen würde nur zwölf bis 13 Prozent der Stimmen auf sich vereinen, weniger noch als Raphaël Glucksmann, falls dieser für den PS kandidieren würde.