Samstag, 02.01.2021 / 15:03 Uhr

Trumps Kampf gegen die Institutionen

Von
Detlef zum Winkel

Unter den aktuellen Rückblicken auf die Amtszeit Donald Trumps sticht der irische Autor Fintan O'Toole hervor, weil er sich nicht damit begnügt, den rasch hingeschriebenen Porträts einer gestörten Persönlichkeit ein weiteres hinzuzufügen. O'Toole hat bereits in seinem Buch "Heroic Failure: Brexit and the Politics of Pain" (Heroisches Scheitern: Brexit und die Politik der Schmerzen) versucht, das Phänomen soziopathischer Politikdarsteller zu ergründen. Darin führt er den Erfolg Boris Johnsons auf das politische System Großbritanniens zurück, das nach seiner Ansicht vollkommen veraltet und dysfunktional geworden sei. Mit diesem Vorrat an Erkenntnissen widmet er seine Aufmerksamkeit nun der anderen Seite des Atlantiks.

In einem Artikel der Irish Times betont O'Toole die "unheilvolle Kontinuität" des scheidenden, aber nicht scheiden wollenden US-Präsidenten. Er erinnert an die Illusionen, die nach der Wahl Trumps im Jahr 2016 verbreitet wurden. Damals glaubten viele, das schiere Gewicht des Amts würde ihn verändern, und die "Erwachsenen im Raum" könnten ihn allmählich zähmen. "Man würde ihn vielleicht ab und zu rauslassen, um den Mond anzuheulen, aber im Weißen Haus würde er zum stubenreinen Konservativen erzogen werden." Diese Hoffnung habe sich nicht erfüllt, resümiert O'Toole unerbittlich. "Das alles war eine grandiose Unterschätzung."

Vielmehr habe Trump sein strategisches Ziel nie aus den Augen verloren, "eine breite frenetische Basis für antidemokratische Politik in den USA" zu schaffen. Er habe mit sicherem Instinkt den unterschwelligen Hass auf die Regierung bedient, der in der amerikanischen Kultur seit der Gründung der Vereinigten Staaten existiere. Mit seinen abrupten und zum Teil wilden Positionswechseln, beispielsweise zu Nordkorea, habe er seine Anhänger darauf eingeschworen, ihm bedingungslos zu folgen und seine "alternativen Fakten" als einzige Wahrheit anzuerkennen.

Seine Art des Regierens bestehe nicht nur darin, private Motive mit politischen Motiven zu verschmelzen, sondern politische Institutionen durch persönliche Herrschaft zu ersetzen. Die 75 Millionen Stimmen, die er jetzt bekam, wertet O'Toole als Stimmen für eine "offene Autokratie".

O'Toole fragt sich, warum Trump zwei Dinge ausgelassen habe, Infrastruktur und Krieg, die aus seiner Sicht verheißungsvoll gewesen sein müssten; damit wäre er vielleicht tatsächlich wiedergewählt worden. Geübt in deutscher Erinnerungskultur könnte man dieses Erfolgsrezept moderner Diktaturen als Autobahn und Blitzkrieg (der dann doch länger dauerte) bezeichnen.

Solche Vorhaben implizierten eine starke Regierung, meint O'Toole, sie würden die Idee der Regierung an sich bestätigen. "Trumps überwältigender Instinkt war es, diese Idee zu zerstören". Er habe nicht nur kein Interesse am ordentlichen Regieren gezeigt, "he was deeply interested in misgovernment."

Diese Hypothese ist, Stand jetzt, ziemlich kühn. Immerhin fragte Trump auf einem Treffen mit Militärberatern Mitte November nach konkreten Möglichkeiten für einen Schlag gegen den Iran. Anschließend entließ er Verteidigungsminister Esper und dessen zivilen Stab im Pentagon. Auch die wenig später folgende Demissionierung von Justizminister Barr beunruhigt das demokratische Lager und insbesondere Trumps erklärte Gegner unter den Republikanern. Ihnen zufolge bietet dessen anarchischer Rechtsradikalismus wenig Sicherheiten davor, dass er in den letzten Tagen seiner legalen Amtszeit nicht doch noch ein militärisches Abenteuer anzettelt.