Montag, 12.11.2018 / 14:07 Uhr

»Knud gegen Böse«, Teil zwölf- Ein Zweibett-Zimmer in Kreuzberg

Von
Knud Kohr
Herbst

Draußen vor der Tür läuft gerade die Zeit, in der wirklich jeder zum Herbsttyp entwickelt.

Die Bäume schütteln energisch ihr letztes Laub von den Ästen, und die Bürgersteige sind vor allem eins: Nass. Und rutschig. Seitdem neulich die Zeit wieder umgestellt wurde, musste ihr Blogger immer wieder an die Zeit vor etwa fünf Jahren denken. Als er von einem Krankenhaus ins nächste gebracht wurde. Alles war damals gleich neu. Alles war damals gleich furchtbar. Irgendwie hatte ihr Blogger noch die schwache Hoffnung, dass er sich mit der Multiplen Sklerose irgendwie arrangieren konnte.

Auf derselben Etage lag damals eine Mittfünfzigerin, die von ihrer Tochter betreut wurde. Obwohl „betreut“ wahrscheinlich das falsche Wort ist. Die Tochter hatte sich so lange um ihre Mutter in der heimischen Wohnung gekümmert, bis die Mutter regelmäßig aus dem Bett stürzte. Und ihre Tochter sie in einer neurologischen Abteilung aufnehmen ließ.  Direkt am Anstieg zum Kreuzberg. Sozusagen. Dort bekam die Mutter einen Platz in einem Zweibett-Zimmer und ein Bett, das rundum mit Gittern gesichert war.

Tagsüber lungerte die Tochter fast ständig vor der geschlossenen Zimmertür ihrer Mutter auf dem Flur herum. Wo sie jeden in ein Gespräch verwickelte. Um zu erzählen, dass ihre Mutter sich nur mal richtig ausschlafen müsste. Denn der Stress zuhause sei einfach zu viel für sie gewesen. Gerade, nachdem die beiden Männer ausgezogen waren. Bei einem der Männer schien es sich um den Mann der Mutter zu handeln. Der einfach neulich nicht von der Arbeit nach Hause gekommen wäre. Da ihr Blogger in dort reichlich mit anderen Problemen zu kämpfen hatte – immerhin hatte ihn die MS binnen eines Jahres Wohnung und Freundin gekostet und ihn zum Rentner gemacht – hörte er stumpf zu.

Mutter und Tochter sah man außerhalb der Zimmer eigentlich immer nur im Zweierpack.

Die Mutter glaubte fest daran, dass jedes männliche Wesen es als höchstes Ziel ansehen würde, für eine Nacht in ihr Käfigbett eingeladen zu werden. Irgendwann entschied sie dass auch ihr Blogger zu der Meute ihrer Verehrer zählte. Man musste einfach nur zusehen, wie konzentriert der zuhörte, sobald sie das Wort an ihn richtete. Außerdem fuhr er ständig auf dieser seltsamen Elektrokarre umher. Ob der spürte, dass sie ihren Mann damals auch getroffen hatte, als der immer mit seinen Biker-Freunden rumhing?

Eine Woche später, als ihr Blogger schon zum vierten Mal in Richtung Kreuzberg fuhr, um nach einer halben Stunde zurückzukehren – oder war es das fünfte Mal? - entschied die Mutter, dass es an der Zeit wäre, den schweigsamen Klinikfreund tiefer zu legen. Wie sie immer sagte. Und dabei ordentlich dreckig lachte.

„Nimm mich mal mit!“, stellte sie sich dem Blogger in den Weg. Als der irritiert lächelte, nahm sie das als „Ja“. Und als sie feststellte, dass auf dem Sitz des Elektroscooters nur Platz für eine Person war, setzte sie sich kurz entschlossen auf des Bloggers Schoß. Und verbrachte den Rest des Nachmittags damit, ausdauernd und dreckig zu lachen.