Dienstag, 06.10.2020 / 14:56 Uhr

Ein Wochenende im Homeoffice

Von
GM
TeBe-Spiel im Mommsenstadion: "Corona hat aus den Heimspielen einen Charlottenburger Friedhof gemacht"

TeBe-Spiel im Mommsenstadion: "Corona hat aus den Heimspielen einen Charlottenburger Friedhof gemacht"

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instagram.com/picke.graetsche.aus

Am 9. Spieltag der Regionalliga Nordost gewinnt unter anderem die BSG Chemie Leipzig gegen den FSV Luckenwalde, der schon einmal gegen die deutsche Nationalmannschaft gespielt hat. Spielbesuche zu Pandemiezeiten bleiben nach wie vor gewöhnungsbedürftig.

Den Anfang an diesem 9. Spieltag der Regionalliga Nordost durfte Tennis Borussia Berlin machen. Zumindest bei den Livestreams. Was die Auswahl der Spiele betrifft, hatte der RBB diesmal den richtigen Riecher, den 4:2 Heimsieg der Lila-Weißen gegen Union Fürstenwalde der Nullnummer von Hertha II bei Optik Rathenow vorzuziehen. Der bisherige Saisonverlauf von den Westberlinern verlief bisher nicht gerade optimal. Inzwischen bestand sogar die Gefahr, dass sich die Charlottenburger unter dem Strich in der Tabelle festsetzen. Der starke Auftritt beim Flutlichtspiel im Mommsenstadion kam also genau zur rechten Zeit.

Lautstarkes Anfeuern der Mannschaft ist im Eichkamp noch immer nicht erlaubt, was übrigens offenbar ein Alleinstellungsmerkmal für Spiele in dieser Liga ist. Von Fans wird dies teils verständnisvoll, teils ablehnend hingenommen. Die Stimmung wird mit Begriffen wie „Totenstille“ beschrieben, ein Fan der Borussen schreibt mir: „Corona hat aus den Heimspielen einen Charlottenburger Friedhof gemacht, man hört die S-Bahn rattern, man hört Leute gähnen. Wäre da nicht die tiefsitzende Verbundenheit mit dem Verein seit meiner Kindheit, würde ich wohl so einiges lieber machen als mir das anzutun.“

Einige versuchen wenig motiviert, durch Klatschen oder Trommeln Stimmung zu erzeugen. Beim Spiel gegen Fürstenwalde dominierte eine extrem nervige, extrem unrhythmische Tröte, die alle Aktionen begleitete. Das klang bei der Übertragung ziemlich lustig, und wenn es Nachahmung findet, gibt es vielleicht noch einmal ein Comeback der Vuvuzelas.

Dafür, dass die Fans bei TeBe nicht singen dürfen, sitzen die Trainer bei der Pressekonferenz umso enger an einem winzigen Ameublement mit wasserfester lila Tischdecke. Als dann der Trainer der Westberliner, Markus Zschiesche, auch noch davon sprach, dass sich seine Spieler durch Fehler im Spiel nacheinander gegenseitig „ansteckten“ während sich Union-Trainer Matthias Maucksch ständig an die Nase fasst, konnte ich mich als Betrachter gar nicht mehr auf den Fußball konzentrieren, sondern nur noch daran denken, ob in zwei Wochen wieder der ganze Spielbetrieb lahmgelegt werden muss.

Im sächsischen Bischofswerda ist es schon so weit. Wegen eines Coronafalls musste die Partie des FV08 gegen Carl-Zeiss Jena abgesagt werden. Es folgte am Samstag ein Livestream der Partie BSG Chemie Leipzig gegen FSV Luckenwalde bei „Sport im Osten“. Ein souveräner Auftritt der Leutzscher, die nach einer kleinen Miniflaute nun wieder in der Spur zu sein scheinen. Auf der Suche nach Videos der Pressekonferenz und mehr Infos zum FSV Luckenwalde erfuhr ich, dass der Verein einmal ein Testspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft absolvierte, die damit in ihre Vorbereitung für die WM 2006 startete.

Was ich nicht fand, waren Informationen zum Zusammenhalt der Mannschaft in der Gegenwart. Diese Frage stellte sich mir aufgrund einer Aktion gegen Ende des Spiels. Nach einem Zweikampf bleibt der Abwehrspieler des FSV Luckenwalde Clemens Koplin verletzt liegen, während sein Mannschaftskollege direkt neben ihm den Freistoß schnell ausführt. Es folgen zwei vollendete Angriffe, bis endlich ein Luckenwalder den Ball ins Seitenaus befördert. Da es in Leutzsch keine Trage zu geben scheint, muss der Verletze von einem Spieler und der medizinischen Betreuerin des FSV gestützt vom Feld humpeln. Dort liegt er bis zum Schlusspfiff Minuten später und auch dann scheint sich niemand für ihn zu interessieren.  Einzig die Betreuerin kümmert sich um ihn. Teamgeist sieht anders aus.  Wir hoffen, es geht ihm inzwischen besser.

Themawechsel: Viktoria Berlin hat ein neues Konzept! Die klaren Siege wie das 3:0 gegen ZFC Meuselwitz am 7. Spieltag scheinen dem Ligaprimus langweilig geworden zu sein. Deshalb gehen die Lichterfelder neuerdings zwar immer noch rasch 3:0 in Führung, lassen aber anschließend die Gegner noch einmal gefährlich ins Spiel kommen, nur um am Ende doch den Dreier einzutüten. Ist ja auch viel spannender für die anschließende Zusammenfassung! So liefen die letzten beiden Spiele des souveränen Tabellenführers gegen Chemie Leipzig und den VFB Auerbach nach exakt demselben Muster ab. Beim nächsten Spiel braucht es dann aber vielleicht mal ein neues Drehbuch. Genau! Warum nicht mal einen 0:3 Rückstand drehen? Der nächste Gegner in der Liga heißt Germania Halberstadt. Vielleicht also doch eher, wenn überhaupt, ein 0:1. Viktoria bleibt der FC Bayern der Regionalliga Nordost. Mit dem einzigen Unterschied, dass Bayern schon einmal verloren hat.

Gute Neuigkeiten gibt es auch beim Chemnitzer FC. Der Verein gab unter der Woche bekannt, dass der Insolvenzplan aufgestellt ist und beim Amtsgericht eingereicht werden kann. Wenn die Mitglieder und Gläubiger zustimmen, könnte die Insolvenz im ersten Quartal 2021 aufgehoben werden. Dafür sah es zuletzt so aus, dass sich die Mannschaft sportlich ins Aus schießt. Und auch gegen den Berliner AK lagen die Himmelblauen schnell wieder 0:2 zurück. Ob Trainer Daniel Berlinski in der Pause noch einmal mit dem Insolvenzplan wedelte oder Vitaminpillen austeilte, ist unbekannt. Jedenfalls kamen die Chemnitzer wie verwandelt aus der Kabine und gewannen das Spiel am Ende mit 4:2.
Auch die Lausitzer „Kumpel“ der Sachsen konnten ihre Partie drehen und einen Dreier einfahren. Energie Cottbus empfing den BFC Dynamo. Die in dieser Saison sehr spielfreudigen und durch schöne Kombinationen auffallenden Berliner lagen im Stadion der Freundschaft ebenso wie der BAK in Chemnitz mit 2:0 in Führung, gaben das Spiel aber dann gegen die aufdrehenden Cottbuser noch ab und verloren 3:2. Trotz eines Verbotes von Gästefans gelang es zahlreichen Berliner Anhängern, ins Stadion zu kommen und einen stimmgewaltigen Gästeblock aufzustellen, was für ein kleines bisschen Derbyatmosphäre sorgte.

In sportlicher Hinsicht hielten an diesem Wochenende die Stadtteilvereine Lichtenberg 47 und VSG Altglienicke die Berliner Fahne hoch. Lichtenberg siegte im heimischen Zoschke gegen Babelsberg. Die VSG wiederum machte ihrem Co-Trainer Torsten Mattuschka, Berliner Fußballlegende und Publikumsliebling beim 1. FC Union, ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk. Zu seinem 40. fegten sie Lokomotive Leipzig mit 5:0 vom Platz. Die wenigen Fans auf der Tribüne versuchten sich an einer neuen Version des bekannten „Mattuschka-Songs“, der bei Union regelmäßig vor Freistößen angestimmt wurde, die der offensive Mittelfeldmann dann regelmäßig verwandelte.  Die Versuche klangen jedoch etwas holprig, zumindest beim Zuschauen des Livestreams.

Vielleicht klappt es ja beim 50. besser, wo auch immer „Tusche“ dann am Spielfeldrand sitzt. Für manche, die es mit Altglienicke halten, könnte dieser klare Sieg auch eine späte Genugtuung sein. Nach dem coronabedingten Abbruch der Vorsaison war Lok mit dem besten Punkteschnitt zum Meister erklärt worden, obwohl Altglienicke mit einem Spiel mehr die Tabelle anführte.
Bemerkenswert waren die lautstarken mitgereisten Fans aus der Messestadt, die im ansonsten gähnend leeren Jahnsportpark für einen gut gefüllten Gästeblock sorgten und ihre Mannschaft bis zum 0:5 hörbar unterstützten. Sportlich jedoch war es ein Spiel zum Vergessen. Konnte man nach den letzten Spielen der Probstheidaer noch von Punktverlusten sprechen, die durch unglückliche Gegentreffer nach eigentlich starker Leistung zustande kamen, war dieses 0:5 im Prenzlauer Berg ein echter Nackenschlag – ebenso wie die wiederholte Vorführung, wie bitter es ist, die Chance, in den Profifußball zurückzukehren, vergeben zu haben. Wenn man bedenkt, welche Kleinigkeiten den Aufstieg vereitelten und damit auch die Neuauflage von Klassikern wie Lokomotive Leipzig gegen die SG Dynamo Dresden oder den 1. FC Magdeburg im Profifußball; wenn man dann noch daran denkt, wer jetzt stattdessen zu den Elbestädtern reist - dann kann einem wirklich kurz das Fußballherz bluten.