Mittwoch, 11.07.2018 / 19:15 Uhr

Neuer alter Deal: Italien, Libyen und die Flüchtlinge

Von
Thomas von der Osten-Sacken

„Vor allem die italienische und die deutsche Politik insistierten in jüngster Zeit auf europäischen Gipfeln besonders auf der Idee, die EU solle ‚Auffanglager‘ für Flüchtlinge und Einwanderungswillige auf der Südseite des Mittelmeers, insbesondere in Libyen, errichten. Italien lieferte seinem südlichen Nachbarn und seiner ehemaligen Kolonie bereits Radargeräte, Helikopter, Boote und Jeeps zur Grenzüberwachung – am Mittelmeer wie in der Sahara.“

Was sich wie ein tagesaktueller Artikel liest, stammt in Wirklichkeit aus dem Jahre 2005. Denn die vermeintlich drohende Flüchtingsflut aus Afrika, die europäischen Politikern schlaflose Nächte bereit, ist keineswegs neu. Seit den späten 90er Jahren suchen sie händeringend nach Möglichkeiten und Lösungen, die so genannte Mittelmeerroute zu schließen und zu diesem Zwecke Partner in Nordafrika zu finden. Schon damals hieß es, man „sei besorgt über die große Zahl derer, die sich in oft seeuntüchtigen Booten auf den Weg nach Europa machen und dabei Leib und Leben riskieren.“

Bezahlte Italien in der Vergangenheit schon islamistische Milizen, so wirft es nun – nur damit Libyen ein paar Flüchtlinge zurücknimmt, auch wenn bekannt ist, unter welch unvorstellbaren Bedingungen sie dort in Lagern leben müssen – einem äußerst fragwürdigen Regime Milliarden in den Rachen und wirbt sogar für ein Ende des Waffenboykotts.

Niemand bot sich damals für eine Lösung so gut an, wie der ehemalige libysche Diktator. Ob der damalige Bundeskanzler, der ohnehin einen Faible für Diktatoren zu haben scheint oder Italiens Premier Silvio Berlusconi, sie alle gaben sich in Tripolis die Klinke in die Hand und hatten Erfolg. Für einige Milliarden erklärte Gaddafi sich in einem Abkommen mit der EU gerne bereit, fortan Flüchtlinge aus dem subsaharischen Afrika in Libyen zu internieren. Diese Lager waren ziemlich finstere Orte, wie etwa Amnesty in seinem Jahresreport 2010 berichtet:

„Die Behörden internierten als illegal verdächtige Migranten weiterhin. Diese wurden zum Teil misshandelt und Tausende von ihnen anschließend abgeschoben. Zudem verweigerten die Behörden ihnen den Schutz, den das Völkerrecht Flüchtlingen und Asylbewerbern garantiert. (…) Am 10. August sollen Sicherheitskräfte gegen rund 200 Ausländer, die versuchten, aus dem Ganfouda-Internierungslager nahe Benghasi zu fliehen, unverhältnismäßige Gewalt angewandt haben. Dabei hätten sie scharfe Munition, Messer und Schlagstöcke eingesetzt und es soll Tote und Schwerverletzte gegeben haben. Die meisten derer, denen die Flucht gelang, wurden wieder eingefangen und nach Ganfouda zurückgebracht. Manche der Insassen seien nach dem Fluchtversuch von Sicherheitsbeamten misshandelt worden.“

Und weil immer mehr Einzelheiten über diese „Detention-Center“ bekannt wurden, begannen libysche Behörden Journalisten systematisch daran zu hindern, über sie zu berichten. Nicht nur Amnesty auch UN-Organisationen kritisierten damals EU und italienische Regierung scharf für ihre Rückweisungspolitik, aber dann machten Massenproteste, Bürgerkrieg und schließlich der Sturz Gaddafis dem Deal ein Ende. Zuvor noch hatte er die UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR des Landes verwiesen.

Sehr zum Bedauern der EU und vor allem Italiens, wurde Europa nun wieder Ziel unzähliger Flüchtlingsboote aus Libyen und angesichts der verworrenen Lage  dort, war es nicht mehr möglich, Flüchtlinge nach Libyen zurück zu schieben.

Siehe auch das Jungle-Interview: »Die libyschen Behörden sind vollkommen ungeeignet« 

Zwischenzeitlich intervenierte die italienische Regierung ganz eigenständig und begann, islamistische Milizen, die ihr Geld mit Menschenschmuggel verdienten so gut zu bezahlen, dass diese fortan Boote vom Auslaufen hinderten und die Flüchtlinge in Zwangsarbeit und Sklaverei verkauften. Daneben besteht das Problem, dass die so genannte libysche Küstenwache, die von Italien gleichzeitig aufgerüstet wurde und teilweise selbst in Menschenhandel und schwere Menschenrechtsverletzungen verwickelt ist, nicht besonders effizient arbeitet. Das größte Problem für die neue italienische Regierung aber besteht darin, dass  die libysche Regierung in Tripolis sich bislang weigerte, Flüchtlinge wieder zurück zu nehmen. Das scheint sich nun geändert zu haben:

Italien und Libyen haben vereinbart, ihr vor einem Jahrzehnt unterzeichnetes Freundschaftsabkommen wieder in Kraft zu setzen. Es gestattet die Rückführung von Migranten nach Libyen. ‚Wir haben vereinbart, das italienisch-libysche Freundschaftsabkommen von 2008 wieder in Kraft zu setzen‘, erklärte der libysche Außenminister Mohamad Siala auf einer gemeinsam mit seinem italienischen Amtskollegen Enzo Moavero Milanesi abgehaltenen Pressekonferenz. Milanesi pries die bei seinem ersten Besuch in Triploi erzielte Vereinbarung als ‚bedeutsam und vielversprechend‘. Das Abkommen war ursprünglich von dem ehemaligen libyschen Diktator Muammar Gaddafi und dem damaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi unterzeichnet worden. (…) Das Abkommen wurde aber im Februar 2011 ausgesetzt, als der Aufstand begann, der schließlich zum Sturz und Tod Gaddafis führte. Das Abkommen sollte italienische Investitionen in Libyen im Wert von 4,2 Milliarden Euro ermöglichen.

Soweit also ist es gekommen, dass ein alter, mieser Deal mit einem brutalen Diktatur nun reaniemeirt wird – diesmal allerdings mit einem de facto islamistischen Regime, das nur Teile des ganzen Landes kontrolliert. Bezahlte Italien in der Vergangenheit schon islamistische Milizen, so wirft es nun – nur damit Libyen ein paar Flüchtlinge zurücknimmt, auch wenn bekannt ist, unter welch unvorstellbaren Bedingungen sie dort in Lagern leben müssen – einem äußerst fragwürdigen Regime Milliarden in den Rachen und wirbt sogar für ein Ende des Waffenboykotts.

Was in Libyen dann mit den Zurückgewiesenen geschieht, entzieht sich jedweder Kontrolle von UN oder anderen internationalen Organisationen. Es ist hinlänglich bekannt, dass Milzen dort Flüchtlinge in die Sklaverei verkaufen, systematisch sexuell missbrauchen, willkürlich foltern und exekutieren und teilweise einfach in die Wüste zurückschicken. Mit weitgehender Duldung der EU will Italien genau dies durchsetzen. Zugleich macht sich die italienische Regierung damit nicht nur zum Zahlmeister von radikalen islamistischen Milizen, sondern auch zur Geisel einer Regierung in Tripolis, die zumindest in Teilen den Muslimbrüdern nahe steht. Der EU-Deal mit der Türkei aus dem Jahr 2016 zeigt zur Genüge, dass Europa aus Angst, Grenzen könnten wieder für Flüchtlinge geöffnet werden zu fast jedem Zugeständnis bereit ist.

Während Tunesien und auch Ägypten sehr deutlich gemacht haben, dass sie sich weigern, als ausgelagerte Flüchtlingslager für Europa zu fungieren, scheint die Regierung in Tripolis willig und korrupt genug, um nun doch einem solchen Abkommen zuzustimmen.

 

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch