Freitag, 17.08.2018 / 16:30 Uhr

Mit Islamisten reden

Von
Naida Pintul Janina Marte

Nach den Blogeinträgen des ex-muslimischen Aktivisten Amed Sherwan vom 7. August 2018 und vom 9. August 2018, die jeglichen Anspruch an konsequente Islamkritik vermissen lassen, scheint es, dass einige in der Linken abhanden gekommene Basisbanalitäten noch einmal verhandelt werden müssen.

Unbedingte Dialogbereitschaft mit regressiven Kräften wie Neonazis oder offenen Judenfeinden ist eine Haltung, die weitläufig in linken Kreisen abgelehnt wird. Um den politischen Einfluss ebensolcher Kräfte einzudämmen, gelten Gesetze wie beispielsweise das Verbot der Darstellung von Hakenkreuzen als folgerichtig. Konsens ist, dass die Meinungsfreiheit da aufhört, wo ganze Gruppen entmenschlicht und entwürdigt werden und dass eine solche Eindämmung von Entmenschlichung durch legislative Mittel zu unterstützen ist.

Wenn der Diskurs nun allerdings um Muslime und den Niqab kreist, scheinen oben genannte Selbstverständlichkeiten nicht mehr zu gelten: Dass Freiheit nicht durch Vorschriften erzwungen werden könne, mag auf den ersten Blick ein plausibel klingender Slogan sein, hält jedoch dem Abgleich mit der Realität in gleich mehreren Punkten nicht stand: Weder haben Befürworter eines Niqab-Verbotes je argumentiert, dass ein Verbot allein alle muslimischen Frauen befreit noch wird hier realisiert, dass die Freiheiten, die ein bürgerlicher Rechtsstaat seinen Bürgern garantiert, zu einem erheblichen Teil auf Verboten bzw. der drohenden Sanktionierung verbotener Handlungen fußt. Die Feststellung, dass dieses Mittel alleine nicht ausreicht, ist noch kein Argument gegen ein Verbot.

Argumentiert man im Namen der Aufklärung, kann der Koran nicht als Autorität herangezogen werden, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Ebenen sticht jedes religiöse Gebot aus.

Um den politischen Islam, dessen Ideologie der Geschlechterapartheid der Niqab verkörpert und durchsetzt, zu bekämpfen, braucht es eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich nicht in Gesetzesregelungen erschöpft, jedoch durch diese unterstützt werden kann. Das heißt im Falle des Verschleierungsverbots, dass dieses Frauen dabei helfen soll, mit dem islamischen Zwangskollektiv zu brechen und sich von ihm zu emanzipieren. Ein Verbot, das den Verstoß der Vollverschleierung gegen die Grundsätze der Freiheit und Gleichheit markiert, könnte beispielsweise bei manchen islamisch-indoktrinierten Frauen, in deren Herkunftsländern die Verschleierung Normalität ist, ein kritisches Hinterfragen der Verschleierungspraxis anstoßen. Lang etablierte Gesetze können eine normierende Wirkung haben und das gesellschaftliche Klima sehr wohl über reine Zwangsmaßnahmen hinaus prägen.

Die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes, die zuletzt zu einer breit angelegten Unterschriftenkampagne gegen das Kopftuch bei minderjährigen Mädchen aufrief, begreift den ideologischen Gehalt des Niqabs und sieht das Tragen desselben daher nicht über das Recht auf Religionsfreiheit abgedeckt: „Wir halten Religionsgemeinschaften, die eine geschlechtsspezifische Kleidung vorschreiben, die z.B. das Tragen der Vollverschleierung befürworten, für nicht demokratiefähig, da sie den Gedanken, dass Mann und Frau gleichberechtigt sind, dass Mann und Frau eine unantastbare Würde besitzen, der es möglich macht, sich auf gleicher Ebene zu begegnen, nicht anerkennen. Eine solche Haltung darf auch nicht über das Argument der Religionsfreiheit geschützt werden. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau hat als Ausdruck der Menschenwürde über religiösen Dogmen zu stehen. Viele fundamentalistische Gruppierungen lehnen nicht nur die Gleichberechtigung sondern oft auch die Religionsfreiheit selbst ab. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir der Intoleranz Raum geben, denn der Burka Freiheit einzuräumen, würde bedeuten der Unfreiheit Freiheit einzuräumen.“ (Erklärung von TERRE DES FEMMES zur Debatte um die Burka vom 25.06.2010)

Ob eine solche Pflicht zu Niqab oder auch Hijab im Koran vorgeschrieben ist, ist sekundär und darf als Maßstab bei der Frage nach Einführung eines Verbotes keine Rolle spielen: Argumentiert man im Namen der Aufklärung, kann der Koran nicht als Autorität herangezogen werden, sondern die Gleichberechtigung der Geschlechter auf allen Ebenen sticht jedes religiöse Gebot aus, egal wie explizit dieses im Koran formuliert oder von Gelehrten des Islam interpretiert wird. Koranexegese ist abgesehen davon schon deshalb keine geeignete Herangehensweise, weil zum einen die Interpretationen einzelner Suren erheblich auseinandergehen können, zum anderen damit die Abwehr von Kritik mittels der Behauptung „Das hat mit dem Islam nichts zu tun“ legitimiert wird, wenn der nächste islamische Ehrenmörder oder Terrorist die Schlagzeilen dominiert.

Auch die liberalfeministische „pro choice“-Haltung, die aus dem körperlichen Selbstbestimmungsrecht die Forderung ableitet, dass Frauen sich (nicht-)bedecken können sollten, wie bzw. womit auch immer es ihnen gefällt, verkennt die Kontexte und Geschlechterbilder, in denen die Entscheidung (oder auch: „Entscheidung“) zur Verschleierung getroffen wird. Abseits legislativer Zwänge zur weiblichen Verhüllung in islamischen Ländern ist auch das Tragen ebendieser Verhüllung in westlichen Ländern nicht frei von Zwängen, weder von äußeren noch von inneren: In islamischen Communities, in denen ein Teil der Frauen verhüllt ist, wächst der Druck auf die anderen Frauen, sich ebenso zu verhüllen. Das Fehlen der Bedeckung soll Frauen als ehrlos markieren im Rahmen einer Ideologie, die den Wert von Frauen an deren Unberührbarkeit bzw. ihre exklusive Zugehörigkeit zu einem (einzigen) Mann koppelt. Dort, wo eine solche Ideologie verinnerlicht wird und die „Entscheidung“ zur Bedeckung fällt, ist es nichts weiter als Zynismus, auf der „Freiheit zum Niqab“ zu pochen. Dieses liberale Appeasement kommt dem politischen Islam, der sich in Deutschland ungestört in Ditib-Moscheen ausbreitetet und dessen Vertreter mit deutschen Politikern Tee trinken, maßgeblich entgegen.

Bei der Einführung von Gesetzen müssen gesellschaftlicher Fortschritt und ein gleichberechtigtes Zusammenleben im Mittelpunkt stehen. Was keine Rolle spielen darf, sind Gefühle der Einschränkung von Konvertitinnen, die ihr Recht auf das Herzeigen einer frauenverachtenden Ideologie beschnitten sehen, ähnlich wie Nazis ihr Recht auf das Ausdrücken ihrer politischen Haltung durch ein Hakenkreuzverbot beschnitten sehen. Wer behauptet, im Namen der Aufklärung zu sprechen, ist den (drohenden) Opfern und nicht den Akteuren des Islamismus zu Solidarität verpflichtet. Wer hingegen freiwillig den „Kampfanzug des Islamismus“ tragen will, entsolidarisiert sich nicht nur mit den Frauen, die unter den Schleier gezwungen werden oder sich dem Zwang unter größten Risiken widersetzen; wer sich freiwillig dieser separatistischen und misogynen Kleiderordnung unterwirft, „greift letztlich alle Frauen der Gesellschaft in ihrer Würde an und wirbt für einen extremen, frauenfeindlichen Islam“. (Petition „Gesicht zeigen: in der Demokratie – in Europa – in Deutschland!“ gegen die Vollverschleierung von Frauen; Berlin, 18. Aug. 2016)

Amed Sherwan leitet seinen Artikel sogar selbst mit einer Erzählung ein, welche die bewusste Einteilung in „ehrbare“ Frauen und „Schlampen“ durch freiwillig verschleierte Frauen verdeutlicht. Absurderweise baut der Autor auf genau dieser Erzählung seine „pro choice“-Argumentation auf und ordnet damit die Interessen von Islamistinnen, die andere Frauen degradieren, den Interessen der letzteren und der effektiven Solidarität mit den vom Islam bedrohten Frauen über. Welche Auswirkungen diese Appeasement-Haltung für Frauen haben kann, die sich die islamische Unterwerfung nicht aussuchen, lässt sich längst an zahlreichen Orten Europas beobachten.

In Lyon erklärte vor wenigen Jahren eine junge Frau in einer Fernsehreportage: „Wir tragen dunkle Kleidung, Hosen, keine Röcke, kein auffälliges Make-up. Roter Lippenstift kommt nicht in Frage. Wir radieren uns selbst aus, versuchen so unauffällig wie möglich zu sein.“

Entgegen der Darstellung des Autors gibt es nämlich durchaus auch hier in Europa, so beispielsweise in Frankreich, islamisierte Vororte, die für diese Frauen zu No-go-Areas geworden sind. Der Druck, so unauffällig wie möglich zu sein, wächst für alle (!) Frauen. In Lyon erklärte vor wenigen Jahren eine junge Frau in einer Fernsehreportage: „Wir tragen dunkle Kleidung, Hosen, keine Röcke, kein auffälliges Make-up. Roter Lippenstift kommt nicht in Frage. Wir radieren uns selbst aus, versuchen so unauffällig wie möglich zu sein.“

Die Halb-Algerierin und Feministin Djemila Benhabib erklärte 2009 in einer Rede vor dem Pariser Senat: „In mehreren Stadtvierteln habe ich festgestellt, dass die Röcke länger werden und die Farbpalette eintöniger wird. Es ist üblich geworden, den eigenen Körper unter einem Schleier zu verbergen. Einen Rock zu tragen wird nun zu einem Akt des Widerstands. Während sich die Frauen in den Straßen Teherans und Khartums unter Gefährdung ihres Lebens immer freizügiger kleiden, ist in abgelegenen Gegenden der Französischen Republik der Schleier zur Norm geworden.“ Doch auch hier in Deutschland, so u. a. im Berliner Bezirk Neukölln oder der Leipziger Eisenbahnstraße, führt die Erfahrung, von selbsternannten „Ehrenmännern“ für „freizügige“ Bekleidung sanktioniert zu werden, dazu, dass Frauen ihre Garderobe anpassen oder in einen anderen Stadtteil ziehen, um in Ruhe gelassen zu werden.

Neben dem Argument, dass man Islamistinnen in der Auslebung ihrer Ideologie beschneide, führt Sherwan gegen das Niqab-Verbot das Argument an, dass Frauen, die in besonders repressiven islamischen Strukturen leben, in Folge eines Vollverschleierungsverbots das Haus gar nicht mehr verlassen könnten.

Auch zu dieser Bankrotterklärung gegenüber dem Islamismus erklärte Terre des Femmes bereits 2010 ganz richtig: „Den Einwand, vollverschleierten Frauen würde durch ein Verbot ihres Schleiers die Teilhabe am öffentlichen Leben genommen, betrachten wir als zynisch und die Tatsachen verdrehend. Gerade durch die Vollverschleierung werden die simpelsten Formen des sozialen Zusammenlebens, wie zum Beispiel ein gemeinsames Essen, das Trinken eines Kaffees im öffentlichen Raum, unmöglich. Die zwischenmenschliche Kommunikation wird durch das Fehlen von Mimik und Gestik so weit eingeschränkt, dass sie auf den puren Informationsaustausch reduziert bleibt. [...] Schon im Falle des Kopftuches folgte man der religiös konservativen Ansicht, dass das Kopftuch den Frauen die Freiheit gebe, im öffentlichen Bereich aktiv zu sein. Dieser Argumentation nun sogar im Falle der Vollverschleierung zu folgen, wäre ein Skandal. Hinter dem Hinweis auf die "Gefahr", man schließe Frauen von der Teilhabe an der Gesellschaft aus, steckt nichts anderes als die plumpe Drohung, das Gefängnis aus Stoff durch ein Gefängnis aus Beton auszutauschen. Ein Erpressungsversuch, dem sich ein Rechtsstaat nicht beugen darf und der die dahinterstehende Gesinnung als das entlarvt, was sie ist: menschenverachtend.“

Das Argument, man könne Männer, die ihre Frauen zur Vollverschleierung zwingen, durch ein Verbot nicht erreichen, ist so kurzsichtig, wie es irrelevant ist: Wer möchte, dass seine Frau zum schwarzen Loch in der Landschaft mutiert und sie ihrer Subjektposition, ja ihrer Menschlichkeit beraubt, dürfte für aufklärerische Argumente wenig zugänglich sein. Nach Sherwan soll der Westen Sorge dafür tragen, dass solche Leute sich in ihrer menschenverachtenden Ideologie bloß nicht abgelehnt fühlen. Doch während Hijab-verherrlichende Solidaritätsaktionen von sich verschleiernden Nicht-Musliminnen in einigen sich als „emanzipatorisch“ wähnenden Kreisen inzwischen zum guten Ton gehören, ist eine umgekehrte Solidarisierung verhüllter Frauen mit Ex-Musliminnen nicht vernehmbar: Die praktizierte Solidarität ist und bleibt eine Einbahnstraße, die keinen Dialog, sondern im Gegenteil weitere Forderungen erzeugt. So beispielsweise die Forderung nach (geschlechterseparierten) Gebetsräumen an Hochschulen, nach prüfungsfreiem Ramadan an Schulen, nach schweinefleischfreien Kantinen in Kitas uvm.

Dennoch bedient Sherwan den Todenhöfer'schen Mythos, ein rigider Kurs gegen den Islamismus sei für dessen weitere Ausbreitung verantwortlich und empfiehlt stattdessen einen Kuschelkurs mit den Islamisten. Als wäre Aufklärung nicht immer schon eine Kampfansage an die Feinde der Freiheit. Dass Sherwan – der durchaus weiß, dass der Islam umgekehrt der Aufklärung den Krieg erklärt – die obskure Forderung nach „Dialog“ anstelle legislativer Maßnahmen zur Bekämpfung des Islamismus stellt, verwundert. Längst sind diverse interkulturelle Foren, Gruppen und Institutionen im Dialog mit (teils radikalen) Vertretern des Islam. Längst hat sich gezeigt, dass das Reden mit Islamisten (Überraschung!) ihren Kampf nicht verhindern konnte. Erst nachdem das Scheitern dieses Dialogs sich augenscheinlich aufzudrängen begann – seitdem nämlich immer mehr Mädchen mit Kopftuch in der Schule erscheinen, seitdem junge muslimische Männer ihre Ex-Freundinnen niedermetzeln oder ihre „ehrenlosen“ Schwestern heimsuchen – kam in Europa die Debatte über ein Vollverschleierungsverbot auf.

Im vollen Bewusstsein darüber, dass die islamische Verschleierung, wie er selbst sagt, nicht nur ein religiöses Symbol ist, sondern „ein Instrument, um die strenge und frauenfeindliche Sexualmoral der Scharia durchzusetzen“, kommt Sherwan dennoch zu dem Schluss, man könne verdammt noch mal“ kein Verbot desselben gutheißen. Wer sich über den politischen Gehalt des Niqabs vollkommen bewusst ist, jedoch nicht etwa dessen Einstufung als verfassungsfeindliches Symbol, respektive sein Verbot fordert, sondern ihn dennoch im Namen der Religionsfreiheit verteidigt, kann aber nur zweierlei sein: Islamist oder Ideologe. Die von Sherwan verinnerlichte Ideologie springt den Lesenden im Fazit seines Nachtrags förmlich entgegen, in dem er eine Parallele zwischen den Befürwortern des Niqab-Verbots und Muslimen zieht, die seine atheistischen und antihomophoben T-Shirt-Aufdrucke nicht dulden wollen – immerhin geht es in beiden Fällen um eine Kleidungsvorschrift. Hier nun zwischen aufklärerischen und antiaufklärerischen Inhalten zu differenzieren, wäre ein grober Verstoß gegen die wertepluralistische Beliebigkeit der Postmoderne, in der Atheismus gleichberechtigt gegen Islamismus zu stehen hat und jedem Weltbild dasselbe Recht gebührt. Hauptsache man bleibt im Dialog!

Fußnote: Jedenfalls unbedingt mit dem Islamisten, der seine Frau zu Hause einsperrt, wenn er sie nicht mehr unter die Burka zwingen kann. Bei Rechtspopulisten hört der Spaß nun aber wirklich auf!