Sonntag, 05.04.2020 / 11:03 Uhr

Irakisch-Kurdistan zwischen Info- und Gesundheitspolitik

Von
Gastbeitrag von Dastan Jasim, Suleymaniah

Seit dem 14.3. steht die Region Kurdistan unter einer Ausgangssperre. Nachdem anfangs einige Regulierungen für den öffentlichen Raum sowie die Gastronomie und den Fernverkehr getroffen wurden, wurde am 14. dann die Entscheidung durchgesetzt, dass auch innerhalb von Städten alle Gewerbe außer Apotheken und Supermärkte schließen müssen und sich in der Öffentlichkeit keinerlei Menschenmassen sammeln dürfen.

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(Wo sonst Stau herrscht, Bild: Dastan Jasim)

Anfangs hat man sich daran gehalten: die erschreckenden Bilder aus dem benachbarten Iran, wo viele Kurd_innen selbst Verwandte in Städten wie Bane, Mahabad, Sine oder Kermashan haben, haben für sich selbst gesprochen. Menschen, die massenhaft in unterbesetzten Krankenhäusern sterben, eine Regierung die wochenlang verleugnete, was schon weltweit Schlagzeilen machte und Menschen, die auf offener Straße den schweren Folgen ihrer COVID-19 Infektion erlagen. In Kurdistan hat man also früh gemerkt: Es ist verdammt ernst.

Viele haben sich dementsprechend an die verschiedenen Maßnahmen gehalten und die Zahlen sprechen für sich: In den letzten vier Wochen ist die kumulative Kurve der Infizierten extrem flach im Vergleich zu anderen Ländern oder Regionen. Deutschland hat mehr als 80 Millionen Einwohner im Vergleich zu den 8 Millionen Einwohnern der Kurdistan Region, doch um einen Vergleich einer ähnlich großen und politisch ziemlich parallelen Region zu zeigen: Hier der Vergleich mit den Infektionszahlen aus Katalonien, wo ca. 7 Millionen Menschen leben.

 

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Dieser Vergleich bringt die Zahlen aus der Kurdistan Region, die gerade bei knapp mehr als 200 Menschen sind in einen eindeutigen Kontext und das obwohl das ähnlich bevölkerte Katalonien eine wirtschaftliche Hochburg Spaniens ist und mit Sicherheit besser ausgestattet ist, als die Kurdistan Region, wo auf die gesamte Region ca. 200 Intensivbetten kommen. Die Frage ist nur, wie lang man diesen Vergleich der Öffentlichkeit nahelegen kann. Wie lange es braucht, bis die ersten gerade wegen dieser effektiven Eindämmung der Infektionszahlen sagen: „Naja, so ernst scheint es nicht zu sein“. Anscheinend nicht lang: In den letzten Tagen kursierten immer mehr Bilder von Menschen, die in immer größeren Gruppen rausgehen, spazieren, sich gegenseitig besuchen. Männerfrisöre haben hinter schwarzen Gardinen heimlich abends offen und man schleicht schnell hinein, um sich endlich einen Haarschnitt verpassen zu können. Verständlich, aber gefährlich. Diese Entwicklung, kann die flache Kurve der letzten 30 Tage enorm beeinflussen, das weiß auch die Politik der Kurdistan Region.

Totale Ausganssperre

Seit dem 4.4. um 12:00 wurde nun eine 48-stündige totale Ausganssperre verhängt, um dem zu begegnen. Ausnahmslos alle Geschäfte müssen nun geschlossen sein, niemand darf auf die Straße, es ist absolute Totenstille. Ich hatte das Glück gerade heute Vormittag meinen Termin für die verpflichtende Corona-Untersuchung gehabt zu haben und musste mich dementsprechend beeilen, um vor Beginn der Ausgangssperre daheim zu sein. Der Aufwand ist ziemlich erstaunlich: Alle nach dem 15.2. aus dem Ausland eingereisten müssen ausdrücklich in ihr lokales Gesundheitszentrum, um dort die Untersuchung zu bekommen. In den Warteräumen wird streng koordiniert, wo man in welcher Reihenfolge zu sitzen hat und wie viel Abstand man hat. Vor dem Eintritt in das Gebäude wird man von Kopf bis Fuß per Sprühflasche desinfiziert und nach kurzer Wartezeit wird man per Wattestab getestet. Für ältere Personen gibt es sogar ein großes Blutbild um sicher zu gehen. Nach dem Verlassen des Gebäudes darf man seine Maske und seine Handschuhe wegwerfen und sich sogar eine neue Maske direkt mitnehmen. Man beachte: viele derer, die gerade jetzt testen müssen sind aus dem Ausland (wie ich), haben noch nie Steuern in Kurdistan gezahlt und kriegen diesen Service umsonst. Ohne Zweifel: Kurdistan macht einen tollen Job in diesen Tagen.

Die Frage ist, wie lange der Öffentlichkeit bewusst sein wird, dass es immer noch verdammt ernst ist und, dass dieser gute Job, der derzeit von tausenden Ärzt_innen, Pfleger_innen und Medizinstudent_innen getan wird, nicht selbstverständlich ist.

 

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(Bildquelle: K24)

Die kurzfristig angesagte 48 Stunden Totalsperre soll wohl diesen Ernst wieder zurückholen und nochmal einen Buffer darstellen, doch in diesen Zeiten ist Gesundheitspolitik vor allem Infopolitik. Meine Nachbarin, die mir heute sogar extra Essen brachte  (1) da ich nach dem Test 24 isoliert sein muss, schaute mich voller Schrecken an und fragte mich, ob es stimmt, dass in den 48 Stunden ein Gas gesprüht werden soll über der Stadt und das alles nur aus wirtschaftlichen Gründen ist.

Fake News

Ich konnte sie beruhigen und klar machen, dass das Unsinn ist und freue mich, dass ich in meinem Umfeld so ziemlich zur Anti-Fakenews Ansprechperson geworden bin, doch wie lange werden die Menschen solchen Nachrichten widerstehen können? Die Ironie scheint mir in diesen Tagen, dass gerade dann, wenn die Nahbarkeit von Krisen doch wieder versickert und das eigentliche Ziel aus den Augen fällt, gerade solche Falschnachrichten wieder Zugang bekommen, die Situation nicht ernstgenommen wird und das fahrlässige Verhalten in der Öffentlichkeit wieder ansteigt. Bei aller Spitzen-Gesundheitspolitik ist in diesen Tagen klar: Nicht einmal objektive Erfolge sind haltbar, wenn subjektive Eindrücke durch eine nachhaltige und direkte Informationspolitik nicht bedient werden. Und so Paradox es sein mag: Vielleicht finden die vielen tollen Forscher_innen der Welt einen Impfstoff und all das wird schneller ein Ende haben, als wir dachten, doch über das Thema Coronavirus hinaus komme ich nicht drum herum mich zu fragen wie Informationspolitik in der Moderne funktionieren muss, wenn es nur die nahbare Katastrophe ist, die Menschen kurzfristig zu vernünftigem Handeln leitet.

(1) Ja ich weiß, für mich als ehemalige Bewohnerin eines Stuttgarter Wohnhauses undenkbare menschliche Interaktionen außerhalb der üblichen Kehrwochen-Kommunikation