Sonntag, 04.10.2020 / 18:19 Uhr

"Gezwungen, wie ein Affe zu tanzen"

Von
Amed Sherwan

Offener Brief an die Angestellten der Polizeistation Rasti und des Frauen- und Jugendgefängnis in Erbil

 

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Ihr werdet euch nicht an mich erinnern, ich aber werde meine Erinnerungen an euch nicht los. Die Nacht mit euch ist in mein Gedächtnis eingebrannt.

Das Datum ist mir genau so präsent wie mein Geburtstag: Am 16. Oktober 1998 wurde ich geboren, am 23. Oktober 2013 hatte ich Todesangst.

Mein Vater zeigte mich an, weil ich vom Glauben abgefallen war. Er dachte, dass ihr mich zum Islam zurück zwingen könntet. Ihr habt mir nur gezeigt, dass es keinen Gott gibt.

Ihr seid abends in unser Haus gekommen und habt mich mitgenommen, im Pyjama. Ich flehte um Gnade, aber ihr erhörtet meine Bitten nicht.

Denn wenn ein Vater sein Kind Schlägern überlässt, ist das ein Freibrief. Wer sollte sich dann beschweren?

Ihr habt mich in der Wache gefesselt, getreten und geschlagen. Ihr habt meine nackten Fußsohlen mit Kabeln und Elektroschocks bearbeitet. Nicht kurz, sondern stundenlang.

Ihr habt mich gezwungen, wie ein Affe zu tanzen: »Glaubst du an Darwin? Sind wir Affen? Dann tanz wie ein Affe! Du Kafir!«

Danach wurde ich ins Gefängnis überführt. Hier wurde ich erneut geschlagen, mit Kabeln ausgepeitscht. Wie einen Fußball habt ihr mich getreten, überall.

Als einer von euch mir eine Pistole an den Kopf hielt und drohte abzudrücken, dachte ich, dass es vielleicht besser wäre, wenn der Schmerz vorbei wäre. Aber es ging weiter, bis es hell wurde. Da habt ihr mich in eine Isolationszelle gesperrt.

Die Anklage lautete später Widerstand gegen die Staatsgewalt. Widerstand. Ich war 15 Jahre, klein und schmächtig. Ihr wart erwachsen, zu mehreren, groß und stark.

Ich konnte danach tagelang nicht laufen und kaum aus meinen zugeschwollenen Augen gucken. Mein Körper war von blauen Flecken übersäht.

Ich wurde zum Gebet gezwungen, musste neben Mördern und Vergewaltigern beten, in deren Augen ich als Kafir der größte Verbrecher war. Und es dauerte keine 24 Stunden nach meiner Inhaftierung, da wusste das ganze Gefängnis von dem Ungläubigen in der Zelle.

Meine Verhandlung wurde für den 1. Juni 2014 angesetzt, am Weltkindertag. Ironie des Schicksals. Vielleicht wurde mein Fall deshalb so bekannt und kam in die Medien.

Am 4. November 2013 wurde ich frühzeitig auf Kaution entlassen und die Verhandlung klammheimlich vor dem Termin abgewickelt.

So hätte es enden können. Doch da war ich schon so ein bekanntes Gesicht, dass ich das Land verlassen musste. Denn viele solidarisierten sich mit mir - #WeAreAllAmed - aber noch mehr wünschten meinen Tod – #ExecuteAmed.

Ich wollte nie nach Deutschland. Aber da landete ich. Ich hatte Heimweh. Ich war einsam und verstört. Jede Nacht sah ich eure Gesichter und spürte eure Tritte und Schläge. Immer wieder.

Ich hasste euch dafür und war voller Angst und Wut. Ich versuchte mir das Leben zu nehmen, doch es gelang mir nicht. Ich musste weiterleben.

Nächtelang lag ich in meinem Bett und stellte mir vor, wie ich es euch heimzahle. Wenn ich schweißgebadet aus einem Albtraum erwachte, wollte ich Rache.

Aber die Vorstellung gab mir keine Genugtuung. Ich hatte unerklärliche Ängste, war wütend auf euch und ich hasste den Islam und alles, was damit zu tun hatte.

Dann lernte ich Menschen kennen, denen es genau so ging wie mir. Die bei bestimmten Geräuschen oder Gerüchen zusammenzuckten, so wie ich.

Viele hatten nicht nur ein paar Wochen gelitten, sondern Jahre: Im Krieg, in Folterkammern oder in ihren eigenen Familien.

Ich hatte Glück, dass ich euch traf und nicht die Asayîş. Ich kam lebend raus und ich kann heilen. Ich kenne Menschen, die für immer zerstört sind.

Angst, Zorn und Hass von Generationen auf Generationen übertragen mit Worten, Schlägen, Tritten und Waffen.

Wie traurig dieser Kreislauf. Wie armselig, ein Kind zu schlagen. Wie schwach ein Glaube, wenn er nicht von alleine wächst, sondern mit Gewalt durchgesetzt werden muss.

Ich bin seit sechs Jahren nicht mehr in Erbil gewesen. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder dorthin komme. Ich vermisse die Stadt und ich habe Angst vor ihr.

Kürzlich habe ich Fotos aus dem Gefängnis gesehen und sehr geweint. Ich habe lange keine Träne mehr vergossen. Aber diesmal habe ich geweint um das Kind von damals.

Was wäre passiert, wenn ihr mir mit Freundlichkeit und Verständnis begegnet wärt? Aber das lag vermutlich außerhalb eurer Vorstellungswelt.

Ich habe meine Erlebnisse in einem Buch verarbeitet. Ich erzähle von meiner Kindheit in Kurdistan und meinen Erfahrungen mit euch. Ich berichte von der Flucht und meinen Schwierigkeiten in Deutschland.

Ich schreibe auch über Rassismus und darüber, wie schwer viele Menschen es haben, die als anders gelten. Nicht nur Ungläubige, sondern auch LGBTI-Personen.

Viele hassen mich dafür, aber noch mehr bedanken sich. Ich bin die Stimme vieler Stimmlosen geworden. Ich versuche Brücken zu bauen, statt Hass zu sähen.

Ich will nicht so werden wie ihr. Ich versuche zu verstehen, statt zu wiederholen. Ich will die Angst und die Wut nicht mehr. Mir ist viel Gutes passiert. Es heilt die Schmerzen.

Für meine Eltern bin ich eine große Schande. Ich vermisse die Zeit, als ich ihr geliebter Sohn war. Ich beweine uns. Denn ich liebe sie trotzdem. Sie können nicht anders und können auch nichts dafür.

Ich trauere auch um euch. Welch ein Zorn euch doch gefangen hält. Ich lasse meine Wut gegen euch los. Ich befreie mich und vergebe euch.