Freitag, 02.10.2020 / 19:18 Uhr

Israel: Steigende Infektionszahlen trotz Lockdowns

Von
Oliver Vrankovic
Corona Checkpoint in Beersheeba
Bild:
Police of Israel

Der zweite Lockdown in Israel wird kaum eingehalten, die Infektionszahlen steigen und Krankenhäuser rufen den Notstand aus.

 

Die Shabat Sirenen ertönen in Ramle und diese Folge, die ich am frühen Morgen angefangen habe, sollte schon veröffentlicht sein. Leider bin ich nach der Frühschicht todmüde eingeschlafen.

188.000 Israelis haben seit Verhängung des zweiten lockdown ihre Arbeit verloren und die Anzahl der Arbeitssuchenden auf 918.000 erhöht. Daran ist der lockdown, der auf der Straße nicht spürbar ist, dann doch abzulesen.
Die Anzahl der Neuinfektionen pro Tag hat die 9000 gestreift und die Sterberate hat im September die schlimmsten Voraussagen von 500 übertroffen.

Flughafen macht dicht

Ab Montag soll dann wieder verschärft werden. Und dann ist auch der Flughafen wieder dran, der erst dicht gemacht werden sollte und dann offen blieb, bevor dann beschlossen wurde, dass nur Tickets, die vor Yom Kippur gekauft wurden genutzt werden können, was dann am Flughafen von Niemandem kontrolliert wurde und wird. Jetzt soll der Flughafen für Israelis dicht gemacht werden und die Begründung des Gesundheitsministeriums ist die angebliche Ungerechtigkeit, die dadurch erzeugt wird, dass manche Israelis fliegen können, während andere mit Geldnot kämpfen. Was auch immer dies mit Gesundheit zu tun hat. Ein Beispiel für das Krisenmanagement hier.

Zwei Weitere: Durch das Streichen von 50% der Busse hat man vollere Busse als zuvor. Durch Restriktionen, die der Post auferlegt wurden, drängten sich in den letzten Tagen Menschen wie Sardinen in Postämtern. Politiker wundern sich über das hohe Verkehrsaufkommen, wo man sich doch nur in bestimmten Fällen mehr als 1 Kilometer vom Haus wegbewegen darf. Der ganze lockdown ist ein Witz - insofern man nicht seine Arbeit verloren hat oder mit der Ganztagesbetreuung der Kinder nebst Arbeit überfordert ist.

Ultraorthodoxe besonders betroffen

Die Ultraorthodoxen, die knapp 10% der Bevölkerung und 40% der Infizierten zählen, rückten zuletzt in den Fokus der Berichterstattung. Dadurch lernt man einiges über diesen Teil der israelischen Gesellschaft, den man so nicht kennenlernt. Unterteilt in drei Hauptströmungen - sephardisch, chassidisch und litauisch - ist jede Strömung nochmals unterteilt. Manche chassidische Sekten, wie Gur haben inzwischen dazu aufgerufen draußen zu beten. Rabbiner Edelstein, einer der beiden einflussreichsten Rabbiner der litauischen Strömung, hat Besuche am Sukkot verboten.

Rabbiner Kanievsky, der einflussreichste Rabbiner der litauischen Strömung hat das Testen zu Pikuah Nefesh erklärt, also zum lebensrettenden Gebot. Der 93-jährige, der in den letzten Monaten die Seuchenbekämpfung der Regierung mehrfach torpediert hatte, und sich persönlich mehrfach über die Einschränkungen hinweggesetzt hat, zuletzt durch das Brechen der Quarantäne, wurde positiv getestet.

Wie weit die Aufforderungen wichtiger Autoritäten der ultraorthodoxen Welt Wirkung auf den ganzen Sektor zeigen wird nach dem Wochenende Gegenstand dieser Reihe sein. In Jerusalem warten nach wie vor Sukkas, die Tausenden Platz zum Gebet bieten darauf die Eindämmung der Seuche zu konterkarieren. Manche Sekten geben sich nach wie vor uneinsichtig. Und Israel wäre nicht das Land, das die Kontrolle über die Ausbreitung des Virus verloren hat, wenn nicht der Premier beim Admor von Vishnitz vorgesprochen hätte, nachdem dieser eine Feier für Hunderte am Ende von Yom Kippur gefeiert hat - drinnen und ohne Masken und Abstand - die von der Polizei hops genommen wurde, um diesem zu erklären, dass es ihm leid tut, wenn sich die Chassiden durch die Polizei in der Synagoge verletzt gefühlt hätten.

Bizarrer Auftritt

Einen völlig bizarren Auftritt hatte gestern Innenminister Arye Deri in den Nachrichten. Vom Balkon seines Hauses zugeschaltet sprach er nur mit Maske und versicherte ganz leidenschaftlich und ohne Ironie, dass die Ultraorthodoxen der Sektor der israelischen Gesellschaft seien, der den Anordnungen am Meisten folgen würde. Der sephardische Orthodoxe unterstrich auch, dass die obersten Autoritäten der sephardsichen Orthodoxen ein Besuchsverbot an Sukkot ausgesprochen haben.

Der Netanyahu Vertraute Miki Zohar, Fraktionsvorsitzender des Likud in der Knesset, der sich zuletzt bei der Rede einer drusischen Oppositionspolitikerin von Yesh Atid, die das Coronamanagement der Regierung scharf kritisiert hat, wie die Axt im Walde aufgeführt hat, wärmte nochmals die längst widerlegte Idee, die Demonstrationen seien an der Situation Schuld, auf.

Die Polizei hat angekündigt am Laubhüttenfest eine der jüngsten Restriktionen durchzusetzen - kein Zusammenkommen von Menschen, die nicht im gleichen Haushalt wohnen. Dies wird interessant, da israelische Corona Politik nicht israelische Corona Politik wäre, wenn man dieser Restriktion nicht nachgeschoben hätte, dass eine zur Hälfte offene Laubhütte als draußen gilt und dort 20 Personen zum Gebet zusammenkommen dürfen.

 

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Klagemauer in Pandemiezeiten, Bildquelle: The New Arab

 

In Mea Shearim wurde das Auftauchen der Polizei gestern mit Steinwürfen und "Nazi" Rufen quittiert. Die Demonstranten dagegen hielten sich an die Einschränkungen und demonstrierten im ganzen Land dort wo sie wohnen. Im Rechtsausschuss gab es eine sehr brisante Debatte darüber, ob Geschäfte bis zehn Angestellte offen sein dürfen. Der Ausschuss entschied dagegen, weil dies dem Notstand widersprechen würde und das Demonstrationsverbot dann neu verhandelt werden müsse.

Dies war natürlich Wasser auf die Mühlen derjenigen, die schon seit Langem vermuten, dass der lockdown v.a. politische Gründe hat. Ich selbst glaube nicht, dass der lockdown verhängt wurde, um Demonstrationen zu verbieten, da ich nicht glaube, dass der lockdown bei den Netanyahu Wählern gut ankommt und diese keinen bedeutenden Anteil an den Demonstrationen haben. Aufhorchen lassen sollte die Entwicklungen aber allemal.

Und um die israelische Öffentlichkeit in dieser Ausgabe nicht von der Angel zu lassen: Gestern hab ich mit einer Freundin telefoniert, die kurz angebunden war, da sie sich noch bei einer Freundin im Beauty Salon in deren Wohnung die Haare färben lassen wollte, um bei der Familienfeier heute bei ihrer Tante gut auszusehen. Auf Corona angesprochen meinte sie, dass es wirklich besorgniserregend sei, was da gerade passiert und dass sie schon fast keine Leute mehr einlädt und sich überhaupt wünsche, die Leute wären verantwortlicher.

In diesem Sinne: Chag Sameach.