Freitag, 02.04.2021 / 12:46 Uhr

Israel nach der Wahl

Von
Gastbeitrag von Yvette Schwerdt

Auch die vierte Parlamentswahl in zwei Jahren hat Israel keinen Weg aus dem politischen Patt eröffnet. Ein Blick auf die Optionen.

Jetzt ist es soweit: Die Stimmen sind ausgezählt, auch die sogenannten „doppelten Umschläge“, und das Ergebnis der Wahl zur 24. Knesset steht fest.

Zunächst die Zahlen: Das Anti-Bibi Lager ist mit 57 gegen 52 Mandate in Führung gegangen. Die beiden Zünglein an der Waage sind: Yamina, die Partei von Naftali Bennett, mit sieben, und Ra’am, die Fraktion von Mansour Abbas, mit vier Mandaten. Eine klare 61-Mandate-Mehrheit wurde auch bei diesem vierten Durchgang nicht erzielt. Wie kam es letztlich zu diesem Resultat, und wie geht es weiter?

Der Teflon-Premier

Netanjahu ging diesen Wahlen siegesgewiss entgegen. Schließlich hatte er einen enormen Erfolg mit den Corona-Impfungen verbucht und Israel als weltweit erstes Land aus der gesundheitlichen Krise gezogen. Auch wirtschaftlich geht es wieder aufwärts. Zudem konnte der Premier mit den Abraham-Abkommen neue, bislang ungekannte strategische Triumphe feiern. All diese Erfolge haben sein Wahlergebnis aber ebenso wenig beeinflusst, wie ehedem die drei Anklageschriften, die gegen ihn erhoben worden sind.

An der Person Netanjahu scheint irgendwie alles abzuprallen. Seine Anhänger bleiben ihm treu ergeben, seine Feinde verabscheuen ihn weiterhin ungemindert. Kein Wunder also, dass man ihn „Teflon-Premier“ nennt. Nichts, weder das Positive, noch das Negative, bleibt an ihm hängen.

Arabische Stimmen

Trotz der geringen arabischen Wahlbeteiligung hat sich in der Bedeutung der arabischen Stimmen vieles geändert. Sie könnten jetzt den Ausgang der Wahl und damit die Zusammensetzung der Regierung entscheidend mitbeeinflussen. Sowohl viele arabische Politiker als auch ihre israelischen Pendants fassen eine künftige nähere Zusammenarbeit zumindest ins Auge.

Auch die arabische Bevölkerung Israels scheint sich fortan stärker in das politische Geschehen des Landes einbringen zu wollen – eine Entwicklung, die viele Israelis begrüßen.

Im Vorfeld verrechnet

Bei diesem Durchgang hat sich Netanjahu im Vorfeld der Wahlen gleich zweimal verrechnet. Er hatte für seine Schwesterpartei, Hazionut Hadatit, die Werbetrommel gerührt und Verhandlungsbereitschaft mit der arabische Ra’am-Fraktion signalisiert. Diese Bemühungen gelangen ihm letztlich „zu“ gut und gingen auf Kosten des Likud. Bis zuletzt hatte der umstrittene Premier dennoch gehofft, gemeinsam mit Bennett zumindest 60 Mandate zu erzielen und damit mit seinen Kontrahenten gleichzuziehen. Allerdings kam ihm dabei das israelische Wahlsystem in die Quere. Bennett hatte vor der Wahl mit dem Netanjahu-Gegner Gideon Saar eine sogenannte Überschussvereinbarung getroffen: Überzähligen Stimmen, die kein ganzes Mandat ausmachen, werden zusammengezogen und einer Fraktion zugeordnet. In diesem Fall bekam Saar, und damit der Anti-Bibi-Block, das zentrale Mandat.

Obwohl er die weitaus höchste Mandatszahl hält, hat Netanjahu also die Wahl verloren. In der Tat sieht es so aus, als würde Staatspräsident Rivlin diesmal Yair Lapid mit der Regierungsbildung beauftragen. Zu beneiden ist der Oppositionsführer ob der gewaltigen Herausforderung aber wahrlich nicht.

Lapid oder Lapid/Saar?

Lapid führt zwar die zweitgrößte Partei an, hinkt aber weit hinter dem Likud hinterher. Er muss sich also Koalitionspartner suchen. Mit den religiösen Parteien wird er es aufgrund langjähriger gegenseitiger Animosität schwer haben, mit seinem ehemaligen Fraktionsbruder Benny Gantz ist er ebenfalls überkreuz, und Gideon Saar hat vor der Wahl beteuert, er würde nicht unter Lapid in die Regierung einziehen.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Premier-Rotation von Lapid und Saar, ähnlich der, die Netanjahu und Gantz ursprünglich vereinbart hatten. Auch diese Kombination scheint schwierig, denn von der rechtsgerichtete Saar-Fraktion war zu hören, man wäre zwar flexibel, würde aber keinerlei Zusammenschluss mit den arabischen Parteien eingehen.

Oder vielleicht Bennett?

Eine weitere Alternative wäre eine Regierung unter Naftali Bennett. Der ehemalige High-Tech-Unternehmer, Unterrichts- und Verteidigungsminister wird als möglicher Kompromiss-Premier gehandelt. Allerdings wäre dieses Bild irgendwie absurd, weil Bennetts Partei nur sieben Mandate hält. Zudem müsste seine Koalition extrem rechte und extrem linke Parteien in der einen oder anderen Form zusammenzuführen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Szenario fruchtet, ist also gering.

Doch noch Netanjahu?

Tja, und dann gäbe es noch die Möglichkeit, dass Netanjahu wieder einen Hasen aus seinem Zauberhut zieht. Er könnte Bennett zu einem Zusammenschluss überreden und sich zudem von der Ra’am Partei unterstützen lassen. Das wird aber kaum gelingen, weil Bibis rechtsextreme Partner, aber auch seine eigenen Parteigenossen, sich einer solchen Unterstützung vehement widersetzen. Zudem könnte er noch versuchen, einige abtrünnige Parlamentarier aus anderen Parteien zu sich herüberzuziehen.

Viele Menschen sind überzeugt, dies sei möglicherweise Netanjahus größte Stunde. Würde er nun freiwillig das Feld räumen, ließe sich der gordische Wahlknoten in Israel augenblicklich lösen. Denn im Endeffekt geht es ja um seine Person, die viele Wähler, aber vor allem viele politische Leader, ablehnen.

Auch diese Alternative scheint aber unrealistisch. Bibi wird auf die Machtposition nicht verzichten wollen – weil sie ihn zumindest zeitweilig vor möglichen gerichtlichen Konsequenzen schützt, vor allem aber, weil er überzeugt ist, dass nur er die schwierigen Probleme Israels optimal angehen kann. Hinzu kommt, dass mehr als eine Million Israelis der gleichen Meinung ist wie er. All diese Menschen wählen nicht unbedingt den Likud, sondern in erster Linie die Person Netanjahu, die sie wie einen König verehren.

Wahl Nummer Fünf

Das wahrscheinlichste Szenario ist ein teures, prekäres, und bedauerliches: nämlich eine fünfte Wahl, die Ende August über die Bühne gehen könnte. Aber niemand weiß, wie das die ersehnte politische Stabilität bringen könnte, so lange sich nichts Grundlegendes am israelischen Wahlsystem verändert.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch