Donnerstag, 13.01.2022 / 10:19 Uhr

Koblenzer Syrien-Urteil: Ein erster, winziger Schritt

Von
Gastbeitrag von Adopt a Revolution

Demonstration vor dem Oberlandesgericht Koblenz

Das Oberlandesgericht Koblenz hat den ehemaligen syrischen Geheimdienstoffizier Anwar R. wegen tausendfacher Folter, Dutzenden Morden und sexualisierter Gewalt zu zehn Jahren Haft verurteilt. Erstmals wird damit ein höherer Offizier des Assad-Regimes wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit belangt. Wie bewerten Syrer*innen das Urteil und den Prozess?

 

Issa und viele andere andere syrische Menschenrechtsaktivist*innen hoffen, dass der Prozess in Koblenz nun weiteren Prozessen gegen Folterschergen den Weg ebnet. „Alle europäischen Länder sollten die in diesem Prozess gewonnen Erfahrungen nutzen“, fordert Issa. 

In vielen Staaten ist es möglich, dass die Strafjustiz Verbrechen gegen die Menschlichkeit ahndet, auch wenn sie in anderen Ländern begangen wurden. Auf der Grundlage des „Weltrechtsprinzips“ werden bereits in Norwegen, Schweden, Österreich und Frankreich Prozesse gegen Verantwortliche des Assad-Regimes angestrengt.

Ein desertierter Offizier

„Es ist ein historisches Ereignis“, betont auch Sulaiman Issa, Leiter der Organisation Human Rights Guardians, die von Adopt a Revolution unterstützt wird. Die in Syrien größtenteils verdeckt arbeitenden Aktivist*innen der Organisation dokumentieren Fälle von Verschwindenlassen, Folter und Hinrichtungen. Sie befragen Angehörige der Opfer und sammeln Beweismittel, damit die Täter eines Tages vor Gericht gestellt werden können. 

Für Sulaiman Issa ist das Urteil gegen Anwar R. einerseits ein Beweis, dass sich diese Arbeit lohnt. Andererseits betont er, dass das Urteil angesichts des Ausmaßes der Verbrechen des Regimes ein verschwindend geringer Schritt sei:

»Anwar R. ist ein Offizier, der desertiert ist und der nun für die Zeit vor seiner Desertion von einem nationalen Gericht zur Rechenschaft gezogen wird. Doch die Haupttäter, die Leiter der Geheimdienstabteilungen, lassen in Syrien tagtäglich weiter foltern und morden. Sie bleiben straflos, weil die internationale Gemeinschaft unfähig ist, sie zu stoppen und sie vor ein internationales Gericht zu bringen.«

g

 

Das Versagen der Weltgemeinschaft ist der traurige Hintergrund des Prozesses in Koblenz. Auch wenn Anwar R. zurecht für von ihm verantwortete Verbrechen zu Rechenschaft gezogen wird – er ist immerhin desertiert, während seine Befehlshaber weiter an der Macht sind. Seit Jahren blockieren Russland und China durch Vetos im Sicherheitsrat alle Versuche, die Befehlshabenden des Assad-Regimes der internationalen Strafjustiz zuzuführen. 

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