Montag, 27.06.2022 / 11:15 Uhr

Eine Erfolgsgeschichte: Die antisemitische Internationale

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Demonstration gegen israelische Siedlung, Bildquelle: Jerusalem Post

In den letzten einhundert Jahren durchlief Antisemitismus verschiedene Transformationen. Nach Auschwitz erfand er sich zum Teil neu ohne dass zentrale Inhalte dabei geändert worden wären. Zugleich war er eine der international erfolgreichsten Ideologien.

 

Auf der Seite der Bildungsstätte Anne Frank heißt es im Zusammenhang mit der documenta, die „Darstellung von Juden als Nazis“ sei ein „antisemitischer Klassiker“.

Manchmal frage ich mich, was diese staatlich alimentierte Antisemitismusforscherei eigentlich bewirkt hat.

Hier zum Beispiel ließe sich ganz einfach kontern, natürlich ist das kein antisemitischer Klassiker (wobei das eigentlich positiv konnotierte Wort Klassiker eines ist, das ich nicht verwenden würde), sondern Reaktion auf die konsequent zu Ende gedachte und fast geführte antisemitische Weltanschauung und Politik der Nazis. 

Bolschewist und Kapitalist in einem

„Klassisch“ ist vielmehr die Darstellung von Juden sowohl als bösartige Kapitalisten wie als das Proletariat aufwiegelnde Bolschewisten, die einem perfiden Plan folgen, wie die „Protokolle der Weisen von Zion“, die zur zweiten Bibel der Nazis wurde, erläutern: Es geht, so antisemitische Überzeugung, den Juden, die „Generalspitzbuben aus dem Orient“ um nichts weniger als die Weltherrschaft und die Unterwerfung und Zerstörung aller nichtjüdischen Völker. Um dieses Ziel zu erreichen bedienen sie sich einer Fülle ganz mieser, Machiavelli abgeschauter Tricks. Erst stürzen sie die heilige Ordnung monarchischer Staaten, indem sie so Ideen wie Gleichheit, Demokratie und Parlamentarismus propagieren und dann holen sie zum finalen Schlag aus, der bolschwistischen Weltrevolution.

Wer da ein Zerrbild marxistischer Analyse sieht, liegt völlig richtig, denn der Antisemitismus der Nazis war keineswegs irgend eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sondern eine allumfassende Welterklärung, die für sich beanspruchte sowohl Gegenentwurf zum Marxismus zu sein, als auch die Abneigung gegen kapitalistische Ausbeutung und Heuchelei mit ihm zu teilen.

Zusammengefasst ist all dies schon im Jahr 1936 von Alexander Stein in einem damals kaum beachteten und vor einigen Jahren im Ça ira-Verlag neu herausgegeben Buch mit dem treffenden Titel: "Adolf Hitler: Adolf Hilter, Schüler der 'Weisen von Zion'"

Wahn und Organisation

Dieser hermetisch abgedichtete Wahn funktionierte zugleich als perfekte Organisation in Massengesellschaften, denn er hob den Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital in Hass auf. Das ist der Sinn von Volksgemeinschaft: Verängstige Bürger und Kleinbürger sprach mit mit antikommunistischer Propaganda und dem Versprechen an, die Nation vor einer bolschewistischen Machtübernahme zu retten, dem Rest bot man einen Antikapitalismus, der sich gegen Banken (Zinsknechtschaft) und böse ausbeuterische Kapitalisten richtete (eben Schweine).

Zugleich wussten die Nazis, dass ihr restlicher völkischer Müll über die Überlegenheit der arischen und nordischen Rasse außerhalb jener Ländern, in denen sie diese nordischen Menschen verorteten, auf wenig Resonanz stoßen würde. Deshalb konzentrierten sie sich von Anfang an auf Antisemitismus als globales Exportgut. Und das kam entsprechend gut an: Im Nahen Osten, in Indien und auch anderswo. Ganz besonders gut kam es überall da an, wo lokale Eliten sich einerseits gegen die kommunistische Gefahr wehren, andererseits aber Unzufriedenheit gegen Kolonialmächte und Ausbeutung kanalisieren mussten. Kein Wunder also, dass panarabische Nationalisten, Teile der indischen Unabhängigkeitsbewegung, politische Islamisten und andere das Angebot aus Berlin dankend annahmen und teils auch mit massiver finanzieller Unterstützung in ihren Ländern ab den 30er Jahren antisemitische Kampagnen vom Zaun brachen, die anfangs noch wenig bei den breiten Bevölkerung verfingen, aber zunehmend ins Massenbewusstsein sedimentierten.

Resonanz bei Eliten in Indien und der arabischen Welt

Aus Erfurt sendeten arabische und indische Programme bis 1945 ihre antisemitische Botschaft, an Figuren wie dem Mufti von Jersualem oder Subha Chandra Bose in Indien lässt diese Entwicklung sich sehr gut nachzeichnen.

Aus Sicht des damals noch größtenteils kolonisierten „globalen Südens“ erschienen die Nazis (und Japaner) auch als natürliche Verbündete im Kampf gegen Kolonialmächte und us-amerikanischen Imperialismus.

Kein Bruch 1945

Spürt man der Genese etwa des arabisch-islamischen Antisemitismus nach, stellt man fest, dass dort das Bild vom zersetzenden, bolschewistisch-kapitalistischen Juden sich lange nach dem Zusammenbruch des 3. Reichs hielt und von staatlicher Seite weiter gefördert wurde:

„Bis in die 60er Jahre, als Ägypten, Syrien und die palästinensische Nationalbewegung unter sowjetischen Einfluß gerieten, blieb das Wort Nazi vielmehr offiziell positiv besetzt“, schrieb ich vor fast zwanzig Jahren in einem Beitrag für eine jüdische Zeitschrift in Österreich. „In unzähligen Artikeln wurde Hitlers antibritische und antikommunistische Politik gelobt ebenso wie seine Vernichtungspolitik gegenüber dem europäischen Judentum. Anläßlich des Eichmann Prozesses schrieb die Jerusalem Times (jordanisches Ostjerusalem) am 24. 4. 1961, Eichmann habe der Menschheit mit der Vernichtung von sechs Millionen Juden "einen wirklichen Segen erwiesen"; die Judenvernichtung werde eines Tages mit der "Liquidierung der verbliebenen sechs Millionen" ihren Abschluss finden.“

Dass der „klassische“ Antisemitismus in dieser Region so ungebrochen weiter existierte, auch nachdem das ganze Ausmaß der deutschen Judenvernichtung bekannt geworden war, nervte vor allem die sowjetische Regierung, deren Armee ja Auschwitz befreit hatte, die nun aber selbst eine antizionistisch-antisemitische Kampagne lostraten.

Zündende Idee aus Moskau

Die zündende Idee, einfach die Israelis zu Nazis zu erklären stammte dann vor allem auch aus den Giftküchen in Moskau:

Erst unter sowjetischem Einfluss erst sind es gerade liberale und marxistische Parteien, die seit den 60er Jahren die Zionisten einerseits als die eigentlichen Nazis, andererseits als Erfüllungsgehilfen oder Brückenkopf des Imperialismus ins Zentrum ihrer "Analyse" stellen. Der Zionismus wird zur so universalen Chiffre für den Imperialismus, dessen weltumspannende Gewalt im Umkehrschluß mit einer Weltverschwörung erklärt wird, die immer stärker die Züge des rassischen Antisemitismus tragen. Aber die vermeintlich 'antiimperialistsiche' Phraseologie aus Moskau, die ihren antisemitischen Charakter nur mühsam kaschierte und nun erst auch von "linken' Organisationen und Staaten im Nahen Osten übernommen wurde.“

 

g
Cartoon aus der syrischen Zeitung Teshreen, Quelle: JPCA

 

Das Angebot wurde fortan allerdings nicht nur im Nahen Osten, sondern global aufgegriffen und im jeweils eigenen Kontext aktualisiert: Erst seit den 60er Jahren, ganz besonders nach dem Sechs Tage Krieg, taucht das Topos des Israel als Nazis überall auf. Egal ob in linken Publikationen in Deutschland, anderen westeuropäischen Staaten oder eben in unzähligen Ländern in Asien, Afrika und Lateinamerikas.

 

g
Sowjetische Karikatur aus dem Jahr 1972, Quelle: Tablet Magazine

 

Es handelt sich hierbei um einen unglaublich erfolgreichen Coup sowjetischer Propaganda und ihres so erfolgreichen taktischen Tricks, einfach alle, die gerade als Gegner ausgemacht sind zu Faschisten oder Nazis zu erklären.

Neuer Antifaschismus

Nur so überhaupt konnte der Kampf für ein freies Palästina und gegen den Staat Israel für sich fortan gar in Anspruch nehmen, in antifaschistischer Tradition zu stehen.

Klassisch am „Juden als Nazi“ ist also gar nichts. Im Gegenteil handelt es sich um eine Art propagandistische Notlösung, die sich dann als idealer Exportschlager entpuppte, weil sie weltweit so viele Bedürfnisse auf einmal zu befriedigen vermochte: In Deutschland half es Schuldabwehr und schmierte das allgemeine Anliegen, das ganz spezifische antisemitischer Weltanschauung in irgend etwas abstraktes zu überführen: Rassismus, Menschenfeindlichkeit, Krieg ist immer schlimm etc. pp., im „globalen Süden“ hab es verkrachten ideologischen Bewegungen, die eigentlich alle Mussolinis Faschismus und Hitler bewunderten, ein Feigenblatt, dass sich ja eigentlich gegen Nazis und Faschisten kämpften. Den meist marginalisierten linken Parteien und Bewegungen dagegen ermöglichte – oft von Moskau gefördert - dieser Antisemitismus vor allem den Anschluss an genau jene verkrachten Gruppen im Namen eines Volkskampfes gegen Imperialismus und Zionismus.

Es ist dies also eine Geschichte tragischen Scheiterns, die zugleich zeigt, wie anpassungsfähig und global antisemitische Weltanschauung sich erwiesen hat. Zwar würden heute Hitler, Goebbels und Rosenberg sich vermutlich erst ärgern, sähen sie solche Bilder, und dann doch verhalten auf die Schulter klopfen, denn was sie mit so unfassbarem Erfolg in die Welt gesetzt haben, führt inzwischen so ein Eigenleben, dass Juden ikonografisch zu Nazis werden können ohne dass im Kern sich geändert hätte, worum des Antisemiten immer ging.