Montag, 29.08.2022 / 17:16 Uhr

Wachsender Druck auf Journalisten in der Türkei

Von
Gastbeitrag von Martina Paul

Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Wie die Organisation Reporter ohne Grenzen berichtet, werden unabhängige Journalisten von radikalen Regierungsanhängern immer häufiger verfolgt und bedroht.

 

Was in westlichen Demokratien unter dem Begriff Pressefreiheit als verfassungsmäßiges Recht verankert ist, ist dem immer autoritärer regierenden türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan seit jeher ein Dorn im politischen Auge, den er knapp ein Jahr vor den nächsten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen endgültig zu entfernen beabsichtigt. Das bekommen nach einem aktuellen Bericht von Reporter ohne Grenzen (RSF) immer mehr Medienvertreter zu spüren, die es wagen, kritisch über die politischen Verhältnisse im Land zu berichten.

Existierte einst in der Türkei eine pluralistische Medienlandschaft, stehen mittlerweile über neunzig Prozent aller Medienunternehmen unter direkter staatlicher oder indirekt über Mittelsmänner ausgeübter Kontrolle, wodurch jegliche Meinungsvielfalt abseits der offiziellen Regierungshaltung der Zensur zum Opfer fällt. Mittlerweile rangiert die Türkei auf der RSF-Liste der Pressefreiheit auf Platz 153 von insgesamt 180 angeführten Ländern.

Tätliche Angriffe

Doch es ist nicht nur die Pressefreiheit, die den regierungstreuen Schergen zum Opfer fällt; viel schlimmer sind die gewalttätigen Übergriffe auf die Journalisten selbst, die ihren Beruf zum Teil nur noch unter Lebensgefahr ausüben können.

So wurde die Journalistin Ebru Uzun Oruç, die durch ihren YouTube-Kanal Sokak Kedisi (zu deutsch: Straßenkatze) bekannt geworden ist, vor einigen Tagen in Istanbul bei einer Straßenumfrage, bei der sie Passanten um ihre Meinung zum Vorsitzenden der ultranationalistischen Partei MHP, Devlet Bahceli, befragte, von radikalen MHP-Anhängern bedroht und körperlich attackiert, bevor sie und ihr Begleiter vor dem Mob flüchten konnten.

»Die Stimmung in der Türkei ist toxisch«

 »Man muss wissen, dass dieser Angriff nicht nur auf das Team von Sokak Kedisi verübt wurde, sondern der gesamten Presse in unserem Land gilt. Er zielt auf die Rede- und Meinungsfreiheit aller Menschen ab. Denn die Presse zum Schweigen zu bringen bedeutet, der Bevölkerung ihr Recht auf Redefreiheit zu nehmen«, kommentierte sie anschließend auf ihrem Twitter-Account. Zwar wurden, wie Reporter ohne Grenzen berichtete, nach dem Angriff drei Verdächtige von Polizeibeamten festgenommen, diese aber nach kurzer Befragung wieder auf freien Fuß gesetzt.

Ähnliches musste der Journalist Latif Simsek erleben, der nach einer TV-Diskussion vom nationalistischen Abgeordneten Cemal Enginyurt und dessen Bodyguard körperlich angegriffen wurde. Die TV-Moderatoren Zafer Arapkirli und Aysenur Arslan wiederum wurden per Twitter bedroht, nachdem sie Esin Davutoğlu Şenol, eine Spezialistin für Infektionskrankheiten, unterstützten, als diese von türkischen Impfgegnern attackiert worden war. Der unter dem Namen Dr. Mustafa Yücel twitternde Erdogan-Aktivist bezeichnete die beiden Journalisten als »Feinde Erdogans, des Islam und des Staates«. Zuvor hatte er die Ärztin massiv bedroht, was zu seiner Verhaftung führte, doch auch er wurde unmittelbar darauf wieder freigelassen.

Toxische Stimmung

»Die Stimmung in der Türkei ist toxisch«, meint RSF-Geschäftsführer Christian Mihr. »Wir befürchten, dass diese Angriffe eine neue Welle der Gewalt gegen Journalisten ankündigen, wie wir sie schon bei den Kommunalwahlen 2019 gesehen haben.« Zusätzlich sorgt sich Mihr um die zahlreichen inhaftierten Medienvertreter, die ohne Anklage in türkischen Gefängnissen einsitzen, und um die Sicherheit jener Journalisten, die aus Angst vor Verfolgung den Weg ins Exil angetreten sind, wo sie jedoch jederzeit zum Ziel von im Ausland lebenden türkischen Nationalisten werden könnten.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch