Samstag, 04.02.2023 / 12:56 Uhr

Kurdistan: Man kann die Zeit nicht einfach zurück drehen

Von
Thomas von der Osten-Sacken
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Demonstration gegen Polygamie in Irakisch-Kurdistan, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Ein Gespräch mit mir über die aktuelle Lage in Kurdistan, warum kurdische Parteien sich zum Teil bekämpfen und weshalb heute, anders als vor noch zwanzig Jahren, kurdische Selbstverwaltung aus der Region kaum noch wegzudenken ist.

 

Global Review: Herr Osten- Sacken, die kurdischen Iraner scheinen ja bei den iranischen Protesten eine sehr aktive Rolle, die YPG gilt als Helfer der USA und des Westens im Kampf gegen den IS und auch im Nordirak scheinen sie ein für Nahostverhältnisse relativ stabiles Gemeinwesen hinbekommen zu haben nach dem Sturz Saddam Husseins durch den Irakkrieg 2003. Kurden haben das Image säkular, demokratisch und frauenfreundlich zu sein, jedenfalls genießen sie im Westen ein recht positives Image. Nun scheint es aber außer der PKK keine kurdische Partei zu geben, die ein Großkurdistan will, wenngleich es schon mal ein Referendum im Nordirak unter Barzanis KDP gab, die ein Kleinkurdistan wollte, dann aber nach Drohungen der irakischen Zentralregierung und der Türkei davon Abstand nahm. Könnten Sie uns einen Überblick geben über die wichtigsten kurdischen Gruppen, ihre Ziele und Anführer geben und wie sie untereinander zueinander stehen: PKK HDP, YPG, PUK, KDP, iranische Kurdenparteien und islamistische Kurdenparteien?

Thomas von der Osten-Sacken:  Sie verlangen da etwas viel von mir, nämlich eigentlich ein Buch zu schreiben. Die politische Parteienlandschaft in den verschiedenen Teilen Kurdistans ist äußerst vielfältig und zuerst gilt: Diese, besonders in Deutschland so gerne kolportierte, Idee es gäbe „die Kurden“ wird dieser Vielfalt in keinster Weise gerecht, sondern erscheint eher als völkisch-projektive Angelegenheit, die dann wiederum einigen kurdischen Parteien sehr gut in den Kram passt, weil sie sich ja gerne als Repräsentanten des „kurdischen Volkes“ inszenieren. Dies gilt ganz besonders natürlich für die Arbeiterpartei Kurdistans mit ihren unzähligen Unterorganisationen, die ja in Deutschland extrem die „Szene“ dominiert. Dabei ist die PKK eine sehr türkische Partei, sowohl, was ihre ideologische Ausrichtung als auch ihre Geschichte anbelangt. In der Türkei wurde kurdische Existenz ja lange einfach geleugnet, man sprach von „Bergtürken“ und Kurdinnen und Kurden waren nicht nur Opfer politischer Verfolgung und Repression, sondern auch kultureller. Teilweise war es sogar verboten, kurdisch zu sprechen. Das war sowohl im Irak als auch Iran immer anders: So sehr dort Kurden unter politischer Repression zu leiden hatten, ihre Kultur und Sprache wurde dort nie in Frage gestellt. Die PKK hat dann diesen Kemalismus zum Teil einfach negativ gespiegelt und der so fatalen Türkisierung quasi eine "Kurdisierung" entgegengesetzt. Außerdem entstand sie aus der türkischen Linken der 70er Jahre – ist also eine sehr späte Erscheinung etwa im Vergleich zu den beiden Kurdischen Demokratischen Parteien im Iran und Irak, die in den 40er Jahren gegründet wurden. Anders als diese, verfolgte  die PKK einen leninistisch-befreiungsnationalistischen Kurs mit extremem Führerkult um die Person Öcalans.

Zwischen Forderungen nach einem eigenen kurdischen Staat bzw. kurdischen Staaten und der Realität klafft eine durchaus bedeutende Lücke. Weder im Irak noch dem Iran, den zwei Ländern mit großen kurdischen Bevölkerungsgruppen verfügt die PKK über einen großen Rückhalt. Das liegt einerseits daran, dass in diesen Gebieten hauptsächlich der Sorani-Dialekt gesprochen wird und nicht Kurmanji wie in der Türkei und Syrien – und diese Sprachbarriere spielt eine enorme Rolle – und an der ganz anderen Geschichte dieser Länder. Besonders im Irak galten die Kurden eher als konservativ und stammesverbunden, die KDP wird ja bis heute von den Barzanis und Mitgliedern von ein paar anderen Stämmen dominiert. Sie widersetzten sich nach Gründung der Republik häufig Landreformen und standen auch gesellschaftlichen Modernisierungsprozessen eher ablehnend gegenüber. Unter anderem deshalb wurde die zweite bedeutende irakisch-kurdische Partei, die Patriotische Union Kurdistans (PUK) ins Leben gerufen, die sich selbst als eher sozialistisch und progressiv verstand. In Realität geht es aber auch hier um die Trennung irakisch-Kurdistans in zwei Sprachbereiche: Die KDP hat ihre Hochburgen bis heute im Kurmanji sprachigen Bereich im Norden, die PUK im Sorani sprachigen um Suleymaniah. Kurz nach Befreiung von der Diktatur Saddams 1991 kam es dann auch zu einem internen Parteienkrieg zwischen beiden im Irak und bis heute hat die PUK in Dohuk keinen Einfluss, die KDP dagegen keinen in Suleymaniah.  Bis vor einigen Jahren spielte es eine enorme Rolle, ob man KDP oder PUK angehörte, erst jetzt mit der neuen jungen Generation ändert sich dies. Dabei sind beide Klientelparteien, die weniger Inhalte unterscheidet, es geht um Ressourcenverteilung und Loyalitäten, auch wenn insgesamt die PUK weniger nationalistisch auftritt und etwas das Referendum 2017 in den von ihr kontrollierten Gebieten auf sehr wenig positive Resonanz stieß.

 

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Frauenmiliz der YPG, Bildquelle: Youtube

 

Zur Geschichte aller kurdischen Akteure zählt seit langer Zeit, dass sie, auch aufgrund der geographischen Gegebenheiten, gezwungen sind jeweils gute Beziehungen zu mindestens einem der mächtigen Nachbarländer zu unterhalten – selbst wenn auch dort Kurden unterdrückt werden. Im Irak pflegt die KDP traditionell eine sehr enge Beziehung zur Türkei, die PUK zum Iran. Das wiederum hat natürlich Auswirkungen auch auf innerkurdische Auseinandersetzungen. Während die PUK eine rein irakische Partei ist, verfolgt die KDP eine gewisse pankurdische Richtung. Auch wenn inhaltlich und organisatorisch völlig von ihr getrennt, ist die KDP-Iran doch eine Art Schwesterpartei und auch in Syrien versuchte die KDP nach Beginn der dortigen Massenproteste Einfluss zu gewinnen.

Damit dürfte klar sein, dass PKK und KDP nicht nur miteinander konkurrieren, sondern sich meist in offener, oft bewaffneter Gegnerschaft befinden. Die PKK pflegte bis 2003 eine gewisse Nähe zum Saddam Regime und ist außerdem sehr eng mit dem Iran verbunden. Im Irak kontrolliert sie das an der iranischen Grenze liegende Kandil Gebirge und Gebiete im Norden von Dohuk, wo es dauernd zu Kämpfen mit KDP-Milizen und mit ihnen verbündeten türkischen Soldaten kommt.

Für viele Bewohner dieser Gebiete des Nordirak stellt die PKK genau so eine Bedrohung dar wie die türkische Armee. Das Ziel, das die PKK verfolgt ist eine so genannte Kantonalisierung, was Teil ihres neuen Programms ist. So wie Syrisch-Kurdistan oder Rojava, ja in Kantone aufgeteilt ist, versuchen seit langem im Nordirak PKK-nahe Milizen einen neuen Kanton im Sinjar-Gebirge auszurufen, also jenem Gebiet, das von Jesiden bewohnt ist und wo 2014 der Islamische Staat einen Völkermordbegangen hat. Diese Kantone laufen auf substaatlicher Ebene, klingen in der Theorie sehr progressiv, stellen aber natürlich die Existenz bestehender Staaten in Frage, weshalb etwa die irakische Regierung ebenso wie die KDP alles unternehmen, damit so etwas nicht auf irakischem Staatsgebiet entsteht.

 

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Dem IS entkommen: Camp für jesidische Flüchtlinge, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken
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Die Gemengelage ist für Außenstehende nur schwer zu verstehen: In Syrien ist die PYD – de facto ein Ableger der PKK – sowohl mit den USA verbündet als auch mit Russland und unterhält zusätzlich recht gute Beziehungen zum Assad-Regime. Dass fast 600 km gemeinsame Grenze von ihr kontrolliert wird, stellt objektiv ein Problem für die Türkei dar, nicht etwa nur für Erdogan. Und auch die USA verfolgen da eine schizophrene Politik, steht doch die PKK – man mag davon halten, was man will – auf ihrer Terrorliste. Nun dienen bekanntermaßen recht viele PKKler in den Miliz Einheiten in Rojava, die täten sie die Grenze zur Türkei überqueren von den USA als Terroristen eingestuft werden würden, in Syrien aber Verbündete sind.

Global Review: „Die Kurden“ werden wie schon erwähnt als säkular, demokratisch und frauenfreundlich im Westen angesehen. Aber welche Religionszugehörigkeit haben die Kurden und welche Bedeutung hat die Religion bei den Kurden? Und gibt es auch islamische und auch islamistische kurdische Parteien?

Osten-Sacken: Auch hier gilt es Ideologie, Projektion und Realität zu trennen. Ganz sicher sind weibliche kurdische Milizverbände der YPG oder PKK nicht repräsentativ für Kurdistan. Und: Die Bilder mögen schön aussehen, nur sind Frauen in Waffen nun auch nur bedingt Ausdruck von großer Emanzipation. Dazu kommt noch dieser Märtyrerkult, dem auch die PKK anhängt und den leider sehr viele im Westen toll finden. Aber zweifelsohne hat die PKK viel für die Emanzipation kurdischer Frauen getan, wie gesagt, sie ist in den 70er Jahren entstanden, als Teil der türkischen Linken. Was dabei aber schnell in Vergessenheit gerät ist: Traditionell sind die meisten Gebiete, in denen Kurdinnen und Kurden leben eher konservativer und traditioneller als andere Landesteile. Nur im Irak und Iran gab es früher kurdische Städte, wie Suleymaniah oder Sanandaj, das restliche Kurdistan war weitgehend ländlich geprägt.

Man muss sich auch heute nur anschauen, wie in Türkisch-Kurdistan gewählt wird: Da ist die AKP die zweitstärkste Partei, im irakisch-kurdischen Parlament sitzen zwei islamische Parteien und nicht zu vergessen Al Qaida Irak entstand in der Nähe von Halabja. Selbst in Kobani, das so heldenhaft von der YPG gegen den Islamischen Staat verteidigt wurde, kämpften viele Kurden auch auf Seiten der Jihadisten. Als islamistische Kurdenparteien sind zu nennen: Die Kurdistan Islamic Group (Komal) und die Kurdistan slamic Union. Die eine steht der Türkei nahe, die andere Saudi Arabien.Als offenen Jihadisten sind Mullah Krekar und die Ansar Al- Islam in Iraqi Kurdistan zu nennen.(Näheres siehe Artikel nach dem Interview GR)

Es stimmt also nicht, dass Kurdinnen und Kurden, nur weil sie kurdisch sind, weniger religiös seien. Was stimmt ist, dass kurdischer Nationalismus eher ohne religiöse Grundierung auskommt, weshalb in Zeiten, in denen anderswo im Nahen Osten Islamisten massiven Zulauf hatten, kurdischer Nationalismus diese Entwicklung ein wenig ausgebremst hat. In den 90er Jahren, als verschiedene islamistische Parteien auch in Irakisch-Kurdistan erstarkten gab es zeitweilig bewaffnete Auseinandersetzungen mit der PUK aber insgesamt versuchen die irakisch-kurdischen Parteien sich nicht mit dem Klerus anzulegen.

Interessant ist die Entwicklung im Iran, wo ja Kurden und Belutschen, die beiden großen sunnitischen Minderheiten ausmachen. Das sind zugleich auch die Gebiete, in denen es gerade ganz massiv zu Demonstrationen und Protesten kommt und in diesen spielt der Klerus eine wichtige Rolle. Gerade wurden wieder einige verhaftet. Diese Kleriker nun haben sich den Forderungen der Protestbewegung angeschlossen, d. h. de facto stellen sie sich nicht nur gegen die Islamische Republik, sondern fordern freie Wahlen, ein Ende des Hijabzwanges und vieles mehr. Dies zeigt auch, wie viel sich da in letzter Zeit verändert hat. Ähnliches ist bei irakisch-kurdisch-islamischen Parteien zu beobachten, die alle noch unter dem Eindruck des Terrors durch den Islamischen Staat leiden. Man möchte den Eindruck erwecken, mit so etwas nichts zu tun zu haben und gibt sich Mühe sich als demokratisch und modern zu inszenieren. Das ist Teil der gewaltigen Umwälzungsprozesse, die in der Region stattfinden.

 

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Wahlplakat der PUK, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Bei diesen Umbrüchen spielen Frauen und Frauenbewegung überall eine wichtige Rolle, sie ist nur weit pluraler, als die Bilder von PKK-Aktivistinnen Glauben machen. Auch in Irakisch-Kurdistan wurden in den letzten Jahrzehnten einige bedeutende Erfolge errungen: Es gibt Gesetze, die de facto Polygamie verbieten, alle Formen von Gewalt sind unter Strafe gestellt, Genitalverstümmelung wurde verboten und vieles mehr. Auch im Alltag machen sich diese Veränderungen natürlich bemerkbar aber der Weg zu Gleichberechtigung ist noch lang und steinig.

Global Review: Nach dem Istanbuler Attentat, für das Erdogan die PKK und YPG verantwortlich machte, kam es zu einer Bodenoffensive in Nordsyrien. Inwieweit kommt es zu Solidarisierungen von Irakern, Syrern, Iranern mit den kurdischen Minderheiten und untereinander? WS IST DER Stand der Bodenoffensive: Putin, Assad und Erdogan wollen ja nun eine gemeinsame Syrienlösung, wobei erstere beide den Abzug der türkische Truppen fordern, um die syrische Souveränität und Territorialität wiederherzustellen und die kurdischen Gebiete Assads Kontrolle zu unterstellen? Wird dies die YPG und PKK zulassen und ihre Hoffnung von einen länderübergreifenden Großkurdistan aufgeben? Und was ist mit den US- Truppen in Nordsyrien?

Osten-Sacken: Nein, bislang eben kam es zu keiner Bodenoffensive, auch wenn die Türkei das gerne gewollt hätte. In seltsamer Einvernehmlichkeit machten sowohl die USA als auch Russland wie der Iran klar, dass sie einem solchen Anliegen nicht zustimmen würden. Die USA vor allem hat in letzter Zeit sehr deutlich Richtung Ankara signalisiert, dass sie an einem stabilen Rojava interessiert sei. So deutlich waren diese Signale vorher nicht, denn immerhin ist die Türkei Nato-Mitglied und noch immer ein wichtiger Verbündeter Washington. Und , da hat Ankara wie gesagt ja Recht, de facto sind die USA in Syrien mit einer Tochterorganisation der PKK verbündet, die sie mit Waffen ausrüsten und trainieren. Offiziell heißt es, dies fände im Rahmen eine Koalition im Kampf gegen den Islamischen Staat statt nur fragt man sich natürlich in Ankara, ob diese Waffen nicht eines Tages auch gegen türkische Soldaten zum Einsatz kommen.

Ich denke nicht, dass Putin, Assad und Erdogan eine gemeinsame Syrienlösung wollen. Das ist Propaganda und dient in der Türkei dem Wahlkampf. Bestenfalls wollen sie alle, dass die USA abziehen, aber dann divergieren die Interessen doch sehr. Die Türkei hält große Teile Nordwestsyrien besetzt und hat keinerlei Interesse dort abzuziehen, was wiederum Russen und Syrer unbedingt wollen. In der Türkei leben mehrere Millionen syrische Flüchtlinge, die jetzt zum Walkampfthema geworden sind – vor allem die Opposition verspricht, sie im Falle eines Sieges so schnell wie möglich abzuschieben. Das geht kaum in von Assad kontrolliertes Gebiet, auch Erdogan hat ja angekündigt, ein großes Rückführprogramm starten zu wollen; allerdings in die türkisch kontrollierten Gebiete Nordwestsyrien, wo es in den letzten Jahren vor allem in und um Afrin ja auch zu systematischen ethnischen Säuberungen gekommen ist. Die ursprüngliche kurdische Bevölkerung wurde zu großen Teilen vertrieben und an ihrer Stelle Araber angesiedelt.

 

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US-Truppen in Rojava, Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Nach Jahren des Bürgerkrieges ist die Lage in Syrien nicht nur hoffnungslos, sondern auch völlig verfahren. Selbst wenn sich nun diese drei Akteure einigen wollten und würden, wäre es alles andere als einfach irgendein Abkommen umzusetzen. Da spielt der Iran noch eine wichtige Rolle und natürlich auch die PYD. Zudem ist sie es, die mit amerikanischer Hilfe den Islamischen Staat in den Grenzgebieten zum Irak einigermaßen unter Kontrolle hält. Sollte sie kollabieren oder die USA abziehen, würde quasi über Nacht der IS erneut erstarken und da hat momentan nun niemand ein großes Interesse dran.

Ich denke, der Konflikt wird erstmal eingefroren bleiben in Syrien, irgendwann wird etwas passieren aber was, wissen wir nicht. Dafür ist Syrien zu sehr Schauplatz aller regionalen Konflikte geworden und momentan entscheidet sich die Zukunft dieses geschundenen Landes eher in Teheran oder der Ukraine als in Damaskus.

Zu kurdischen Parteien in Syrien sollte man auch wissen, dass die PYD da keineswegs von allen geliebt wird. Ich denke bei freien Wahlen würde sie vermutlich 50% erhalten und andere kurdische Parteien ebenso viele Stimmen. Die syrische Opposition wirft der PYD ja vor, de facto vom Assad-Regime die Kontrolle übernommen zu haben, man sollte nicht vergessen, dass syrische Armee und Geheimdienst weiterhin in Qamishli präsent sind. Die anderen syrisch-kurdischen Parteien dagegen hatten mit den Massenprotesten sympathisiert auch wenn es ihrerseits viel Kritik am arabo-zentrierten Programm vieler syrischer Oppositionsgruppen gab und gibt. Für die islamischen Teile der Opposition, die mit der Türkei kooperieren stellt die PYD einen zu bekämpfenden Feind dar und es kommt immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen.

 

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Bildquelle: Wikimedia Commons

 

Wie gesagt, es ist schwer irgend eine Prognose über die Zukunft Syriens zu sagen, leider handelt es sich da auch um ein enormes Versagen auch des Westens vor zehn Jahren und selbst mit viel gutem Willen lässt sich kaum ein Szenario vorstellen, wie es mit diesem Land weiter gehen kann. Es liegt in Trümmern, Assad hält sich nur dank iranischer und russischer Unterstützung an der Macht und die Wirtschaft liegt darnieder. Haupteinnahmequellen des Regimes sind Drogenproduktion- und Handel und internationale Hilfsgelder. Die Situation in Damaskus und anderen Städten ist bei rasender Inflation, mangelnder Versorgung und brutaler Repression durch das Regime katastrophal und eigentlich jeder im Land denk daran, es zu verlassen – so dies möglich wäre. Mit Assad hat Syrien keinerlei Zukunft, nur solange der Iran und Russland ihn stützen wird er sich wohl an der Macht halten, während die Situation sich weiter verschlechtert. Inzwischen haben Millionen das Land verlassen, unter ihnen große Teile der Intelligentsia und planen auch nicht mehr, in absehbarer Zeit zurück zu kehren.

Zurück zu den kurdischen Parteien: Ich denke, es hat sich sehr viel in den letzten Jahrzehnten geändert. Sowohl im Irak wie in Syrien sind sie wichtige Partner geworden und niemand stellt mehr in Frage, dass es irgend eine Form von Selbstverwaltung geben muss. Der Irak ist ein föderaler Staat, kurdisch im ganzen Land offizielle Zweitsprache und wer in den letzten 20 Jahren in Irakisch-Kurdistan geboren wurde kann sich heute kaum mehr vorstellen, was Verfolgung und Unterdrückung durch die Zentralregierung bedeutet. Auch in Syrien ist die Selbstverwaltung Fakt , das lässt sich nicht einfach zurück drehen. Heute lernen Kinder dort in der Schule kurdisch und hören kurdische Musik. Bleibt die Frage, wie es in der Türkei und dem Iran weitergeht. Auch in der Türkei hat sich ja, trotz allem, sehr viel in den letzten Jahren geändert, die kulturelle Unterdrückung von Kurdinnen und Kurden, wie es sie früher unter den Kemalisten gab, existiert so nicht mehr und es wird gerne vergessen, dass die AKP ja anfangs eine ganz andere Politik verfolgt hat. Kurzum: Überall sind Kurden zu einem wichtigen politischen Faktor geworden, so sehr sich ihre politische Ausrichtung in den verschiedenen Ländern auch unterscheidet. So bleibt zu hoffen, dass sich, sollte es zu weiteren Veränderungen in der Region kommen, diese auch positiv auf Kurdinnen und Kurden auswirken, wobei ich seit je her denke, dass föderale  Strukturen und Systeme, wie etwa im Irak, den für alle besten Weg weisen.

Global Review: Die angekündigte Nordsyrienoffensive gegen die YPG scheint ja ein ziemlicher Rohrkrepierer, auch weil die USA dort noch Resttruppen haben und an der YPG festhalten und sein erhofftes neoosmanisches Reich auch keine wirklichen Fortschritte gemacht hat. Deswegen versucht er ja da Syrien und Russland an Bord zu bringen, was wie du richtig beschrieben hast auch scheitern wird. Aber deswegen wird er sich Griechenland zuwenden und hofft da eben eine Art Zypern 1974 hinzubekommen bei den Ägaisinseln und den USA da die NATO-Mitgliedschaft Schwedens anzubieten, die er sich noch als Faustpfand zurückbehält.

Osten-Sacken: Die Nato und USA werden  Erdogan, wie in der Vergangenheit auch, sehr klar machen, dass es mit Ägäis nichts wird. Und bitte, was will die Türkei genau in Lesbos, was bringt ihr ein Einmarsch?  Um ihm seine Grenzen aufzuzeigen – also innenpolitisch kann er so viel erklären wie er mag, solange daraus keine außenpolitischen Aktionen werden – haben die USA jüngst erst die militärische Zusammenarbeit mit Athen verstärkt. Ohne jetzt mögliche Gefahren kleinreden zu wollen, habe ich doch den Eindruck, diese Drohungen werden oft viel zu ernst genommen. Im engeren Sinne gibt es keine türkische Außenpolitik, alles, was Ankara macht ist vom Blick nach innen motiviert, dazu gehört auch dieses regelmäßige Aufbringen von Laussane.

 

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Blick auf die türkischen Berge; Mytillini auf Lesbos, Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

 

Wobei: Blickt man mal auf eine Karte, wo diese ostägäischen Inseln eigentlich liegen, kann man irgendwie auch verstehen, dass sich die Türkei da betrogen fühlt. Rein geographisch gesehen dürfte niemand in Frage stellen, dass diese Inseln eigentlich zu Kleinasien gehören.

Global Review: Gutes Argument. Aber dieses ewige Gepoltere und das Nichteinlösen seines neoosmanischen Reichs bewirken ja auch einen Glaubwürdigkeitsverlust unter den eigenen Anhängern der AKP und der MHP, wo es dann fast wieder lächerlich wird und die eigene Substanz nebst Wirtschaftskrise geht. Nicht der Kaiser, sondern der Sultan ohne Kleider. Nun ,wir werden sehen, ob er den Putin bei den Ägais macht oder nicht.

Osten-Sacken: Türkische Innenpolitik folgt ganz eigenen Regeln, die oft schwer nachvollziehbar erscheinen. So ganz ernst ist dieser Neo-Osmanismus nun auch nicht gemeint aber man muss ihn eben auch als Antwort auf kemalistischen Nationalismus und Panturanismus sehen. Ich weiß, man hört das nicht gerne, aber die AKP hat sehr vieles in der Türkei verändert, das auch positiv ist. Die Macht des Militärs ist gebrochen, es gab einen enormen Modernisierungsschub in den letzten Jahrzehnten, von dem sehr viele Menschen profitiert haben und Osmanismus heißt auch, größere Toleranz zu religiösen Minderheiten zeigen, die ja immer Teil des Osmanischen Reiches waren. Heute ist. Neben gigantischen Moscheeneubauten, in Istanbul etwa , wurden z. B. christliche Kirchen renoviert. Es reicht nicht, die AKP einfach nur zu verteufeln.

Global Review: Trotzdem zum 100. Jahrestag des Lausanner Vertrags und der Gründung der Attatürktürkei spitzt sich das zu. Zurück zur prowestliche Attatürk-Partei oder Back to the Future- Osmanisches Reich.

Osten- Sacken:  Nun die Attatürkpartei war so prowestlich auch nicht. Adnan Menderes ist unter anderem wegen „zu prowestlich sein“ zum Tode verurteilt worden. Liest man Texte der Kemalisten aus den 60 und 70er Jahren überbieten sie fast die Islamisten noch in antiwestlicher Rhetorik und Verschwörungstheorie.

Global Review: Aber Erdogan beruft sich wegen des gescheiterten Militärpfuschputsches witzigerweise auf Menderes, um seinen Autoritarismus und neoosmanischen Reichsambitionen eine demokratischen Anstrich zu geben, trotz Menderes prowestlicherer Ausrichtung gegenüber der CHP, die er ohnehin zum 100 Jahrestag am liebsten begraben würde. Atatürk  und seine Militärs waren zwar Autokraten, aber eben doch prowestlich, weswegen die Türkei ja auch in die NATO aufgenommen wurde.

Osten-Sacken: So einfach ist das alles nicht. Es gab im Nahen Osten immer Regimes oder Länder, die sich taktisch auf den Westen ausrichteten, innenpolitisch allerdings einen ganz anderen Kurs gefahren sind. Diese Ambivalenz zieht sich durch die gesamte Geschichte der modernen Türkei und man sollte nicht vergessen, dass die AKP mal als ganz prowestlich begonnen hat und unbedingt den Beitritt der Türkei in die EU wollte.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Global-Review