David Zini: Ein Shin-Bet-Chef für das Himmelsreich
David Zini
Mit David Zini bekommt der Schin Bet einen Leiter, der sich weniger dem Staat als einer Idee verpflichtet fühlt. Die Demokratie? Sie wird zur Dekoration in einem Raum ohne Fenster.
Ein Mann, ein Jeep, ein schwarzer Pfeil. So präsentierte sich David Zini am Tag nach dem 7. Oktober – martialisch im Bild, prophetisch im Ton, staatstragend im Anspruch. Auf dem Feld der toten Hamas-Kämpfer stehend, ließ er sich feiern: Als Einziger, der sah, was kam. Als Einziger, der tat, was nötig war. Die Kamera lief, der Mythos war geboren. Dass er zur entscheidenden Schlacht gar nicht zugegen war, störte nicht weiter. In einer Demokratie, die längst an der Fiktion des Ausnahmezustands laboriert, zählen Bilder mehr als Berichte, und Erzählungen mehr als Ereignisse.
Jetzt soll er also Chef des Schin Bet werden – jenes Inlandsgeheimdienstes, der die Grenze zwischen Sicherheit und Willkür verwaltet. Der Mann, der einst seine Soldaten mit einem Film über Faschismus erziehen wollte, übernimmt bald eine Organisation mit der Lizenz zur Gesetzesbeugung. Was könnte da schon schiefgehen?
Von Tel Nof nach Zion – ein General auf messianischer Mission
Zini, Jahrgang 1974, Sohn eines algerisch-französischen Rabbiners und einer Auschwitz-Überlebenden, stieg in der Armee auf wie ein Meteor: Aus einem versprengten Bataillon machte er eine Eliteeinheit. Dabei war seine Methode so kompromisslos wie sein Glaube: Disziplin statt Therapie, Gehorsam statt Gedächtnis. Trauer war ihm suspekt, Denkmäler ein Luxus. Der Tod der Kameraden wurde nicht betrauert, sondern übergangen. Die Lebenden sollten marschieren, nicht memorieren.
Bereits 1998 sprach der junge Hauptmann vom „kritischen Werteverfall“ durch die Besatzung. Heute nennt er das israelische Justizsystem eine Diktatur und den Krieg in Gaza einen „ewigen“. Damals sah er moralische Apathie, heute verlangt er totalen Sieg. Die Reise von der Reflexion zur Repression war kein Sprung – sie war ein Marsch. Und an dessen Ende steht nun ein Mann, der glaubt, dass Demokratie bestenfalls hinderlich und schlimmstenfalls gottlos sei.
Zini vereint, was sich in liberalen Demokratien eigentlich gegenseitig ausschließen sollte: militärisches Charisma, ideologische Gefolgschaft und den Anspruch, im Namen einer höheren Ordnung zu handeln. In seiner Welt existieren keine Grautöne, nur Gut und Böse, Licht und Dunkel, Jeschiwa und Amalek. Dass seine Mentoren – darunter Rabbiner Thau und Kashtiel – Frauen als zweitklassig, Homosexualität als Krankheit und Tel Aviv als Ort der Verderbnis betrachten, scheint für ihn keine Last, sondern ein Leuchtfeuer.
Sein Schwiegervater, Rabbi Kashtiel, predigt öffentlich die Pflicht, selbst am Schabbat Krieg zu führen – nicht aus Notwehr, sondern aus Berufung. „Bis nach Beirut“, sagt er, müsse Israels Armee ziehen. Das sei Gottes Wille. Und Zini? Schweigt nicht, sondern schweigt zustimmend. Ein Mann, der nach eigenem Bekunden „für den Himmel kämpft“, ist nun für das staatliche Gewaltmonopol im Inneren zuständig. Man nennt das: ideologische Kohärenz.
Der Shin Bet als himmlisches Werkzeug
Kritiker befürchten, dass unter Zinis Leitung der Shin Bet weniger die Demokratie schützen als ihre Gegner bewachen wird – nicht zur Abschreckung, sondern zur Vorbereitung. Eine Geheimdienstbehörde mit Zugriff auf Telefone, Profile, Bewegungen und Gedanken ist unter autoritärer Leitung kein Wächter, sondern ein Werkzeug. Und wenn der neue Chef den liberalen Rechtsstaat für ein „verwirrtes Konzept“ hält, dann ist nicht mehr sicher, wer hier wen schützt.
Ein hochrangiger Offizier sagte Haaretz, Zini neige zu „dogmatischem Denken“ und glaube, jedes Problem sei mit Gewalt lösbar. In der Armee habe man ihn daher bewusst von strategischen Führungsrollen ferngehalten. Als Trostpreis schickte man ihn nach Zypern – heute schickt ihn der Premierminister ins Herz der inneren Sicherheit. Man könnte es Sarkasmus nennen, wenn es nicht so ernst wäre.
Auch familiär ist der neue Geheimdienstchef gut vernetzt. Bruder Shmuel arbeitet eng mit dem Netanjahu-nahen Tycoon Simon Falic zusammen. Bruder Bezalel führt mit Bulldozern „Gottes Arbeit“ im Gazastreifen aus – Häuserabrisse als Vorarbeit für Siedlungen. Ehefrau Naomi preist im eigenen Buch die Hauszerstörung als „Gebot“ und beklagt den „progressiven Verfall“ der Armee. Die Zinis sind kein Clan, sie sind ein System – mit ideologischer Zielrichtung und operativer Durchschlagskraft.
„Wir haben Unabhängigkeit erlangt – jetzt müssen wir das Himmelreich verkünden“, sagte Rabbi Kashtiel. Was früher in Bekenntnissen endete, soll nun in Strukturen münden. Der Shin Bet ist dafür ein Schlüssel. Wer kontrolliert, was im Inneren gedacht, geplant und verhindert wird, kann die äußere Ordnung umbauen. Die Verfassung? Wird ersetzt durch die Halacha. Die Justiz? Ein Hindernis. Die Gewaltenteilung? Dekoration in einem Raum ohne Fenster.
Zini, so sagen seine Verteidiger, sei ein Mann mit Integrität. Nur: Integrität zu welchem System? Dem säkularen Staat Israel oder einer Theokratie in spe? Die Frage stellt sich nicht rhetorisch, sondern konkret. Wenn der Schin Bet bald unter Führung eines Mannes steht, der Recht und Gesetz der Thora unterordnet, dann ist das nicht einfach ein neuer Ton in der Innenpolitik – es ist ein Strukturbruch.
Es ist nicht nur ein Mann, der den Stuhl des Schin Bet besteigt. Es ist ein Projekt. Eine Vision. Eine Idee, die dem Staat Israel seinen säkularen Kern entreißen will. Netanjahus Entscheidung, Zini zu ernennen, mag aus parteipolitischer Sicht rational erscheinen – für die Demokratie aber ist sie toxisch.
Was bleibt, ist eine Frage: Wer schützt die Demokratie, wenn ihr Schutz selbst unter Verdacht gerät? Die Antwort könnte bald nicht mehr aus Tel Aviv kommen, sondern aus den Höhen von Har Hamor. Von dort blickt man nicht auf einen Staat, sondern auf ein Reich – und nennt es Gottesstaat.