Sanfter Aufstand

Ein paar linke Abgeordnete der SPD wollen mit einem Mitgliederbegehren Schröders Reformen verhindern. Der Kanzler kontert mit einem Sonderparteitag. Doch im Stillen wird an einer Einigung gearbeitet. von alexander wriedt

Das erste Mitgliederbegehren in der Geschichte der SPD nimmt seinen Lauf. Eine Gruppe von Abgeordneten des linken Flügels der Partei, u.a. Klaus Barthel, Rüdiger Veit, Rene Röspel, Ottmar Schreiner und Sigrid Skarpelis-Sperk, erklärte in seiner Begründung: »Kürzungen bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Sozialhilfe und Krankengeld sind unsozial und führen zu einer gefährlichen Schwächung des Konsums.« Sollten zehn Prozent der SPD-Mitglieder das Begehren mit dem Titel »Wir sind die Partei« unterschreiben, kommt es zur Abstimmung.

Bundeskanzler Gerhard Schröder zeigt Wirkung. Am Montag schlug er seiner Partei einen Sonderparteitag vor. Derweil wird hinter den Kulissen längst an Kompromissen gefeilt, denen die Gewerkschaften zustimmen können. Die Gewerkschafter haben wohl akzeptiert, dass es Kürzungen im sozialen Berich geben wird. Ihnen dürfte klar sein, dass sie ihre Forderung nach höheren Staatsschulden und höheren Steuern nicht durchsetzen können.

»Noch haben wir Gestaltungsspielraum. Und den werden wir natürlich nutzen«, sagte Klaus Barthel der Jungle World. Er war früher Gewerkschaftssekretär der ÖTV. Bis zum 28. April, wenn Schröders so genannte Agenda 2010 im Parteivorstand der SPD beschlossen werden soll, wollen Barthels und seine Kollegen Gegenvorschläge erarbeiten.

Die strittigen Punkte sind vor allem die Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer, die private Finanzierung des Krankengeldes, die Einschränkung des Kündigungsschutzes, die Tariföffnungsklauseln und die Absenkung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau. »Uns geht es nicht um eine Blockade«, sagte Barthel, »doch Arbeitsplätze schafft man mit solchen Maßnahmen nicht.«

Der Abgeordnete Hans Büttner, der Mitglied bei Verdi ist und über den schon zu lesen war, er wolle im Bundestag gegen die Reformen stimmen, machte im Gespräch mit der Jungle World klar, missverstanden worden zu sein. Er werde selbstverständlich »alle Möglichkeiten nutzen, um die Gesetze so zu gestalten, dass ich sie auch verantworten kann«.

Während in der Öffentlichkeit noch der große Aufstand angekündigt wird, scheint also eine Einigung näher zu sein als behauptet wird. Die linken Abgeordneten und die Gewerkschaftsfunktionäre stecken in der Klemme. Auf der einen Seite müssen sie ihre Klientel, die linken Genossen, zufrieden stellen, denen sie immer wieder versprochen haben, alles gegen den »Kahlschlag« zu unternehmen.

Andererseits wollen sie auch nicht als diejenigen in die Geschichte der SPD eingehen, die todesmutig die eigenen Reihen zu Fall bringen. »Es muss verstanden werden, dass unten der Teufel los ist«, sagte der Mitunterzeichner Rüdiger Veit. »Es muss verstanden werden« heißt: Der Bundeskanzler und sein Wirtschaftsminister müssen verstehen. Und »unten« meint: Eigentlich will ich ja gar nicht widersprechen, doch die Basis zwingt mich dazu.

Das Mitgliederbegehren nennt sieben Punkte, die noch einmal verhandelt werden sollen. Unter anderem soll jeder in die gesetzliche Renten- und Krankenversicherung einzahlen müssen, die Vermögensteuer soll wieder eingeführt werden, und der Staat soll mehr Mittel für öffentliche Investitionen bereitstellen.

»Leistungskürzungen per se führen nicht zu mehr Arbeitsplätzen oder volleren Kassen«, kritisierte Büttner. »Hans, wir arbeiten ja an Verbesserungen«, soll der Fraktionsvorsitzende, Franz Müntefering, versprochen haben. Offensichtlich hat dieses Versprechen nicht ausgereicht.

Besonders fürchten die Linken neben der Streichung von Leistungen rhetorische Entgleisungen, die als neoliberal verstanden werden könnten. Ein Drittel der Arbeitslosen arbeite, wenn man es »zieht und lockt«, und ein weiteres Drittel müsse der Staat »schieben«, wird Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vom Spiegel zitiert.

Zwei Drittel der Arbeitslosen wollen gar nicht so recht arbeiten? Für Heerscharen von erwerbslosen Facharbeitern, Bauleuten, Bankangestellten, ehemaligen Managern der New Economy und ausgemusterten Führungskräften müssen solche Bemerkungen wie Hohn klingen. Selbst die CDU ist vorsichtig, wenn es darum geht, Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfängern die Schuld an ihrer Lage zuzuschieben. Im letzten Bundestagswahlkampf wies der Kanzlerkandidat Edmund Stoiber (CSU) Pläne für eine Kürzung der Arbeitslosenunterstützung noch zurück. Diese sei schließlich ein Anspruch der Arbeitnehmer, den man nicht antasten dürfe.

Da sich die Diskussionen mittlerweile nur noch um die Höhe der Leistungskürzungen drehen, ist an der linken Basis das Wort Reform längst zum Schimpfwort geworden. Warum sollen »Faulenzer« motiviert werden und Arbeitslose »fit« gemacht werden, wenn es gar keinen Bedarf an Arbeitskräften gibt? Selbst die Verfechter der neoliberalen Deregulierungspolitik müssen zugeben: Auch das von den Fesseln des Sozialstaates befreite Individuum kann trotz vorbildlicher Eigeninitiative keinen Job finden, wenn es keinen gibt.

Auch beim Thema der Tariföffnungsklauseln argumentieren die so genannten Reformer unlauter. »Deutschland ist weltweit das einzige Land mit einem Tarifkartell«, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Hans-Olaf Henkel. Es sei ungerecht, dass ein wirtschaftlich angeschlagenes Unternehmen genauso hohe Löhne zahle wie eine florierende Firma. Das muss es allerdings schon heute nicht. Etwa 60 Prozent aller 54 900 Tarifverträge sind inzwischen individuelle Firmentarifverträge, die von einem Unternehmen und einer Gewerkschaft vereinbart werden.

Darüber hinaus haben sich Unternehmer und Gewerkschaften, unter anderem in der Metall- und Elektroindustrie, darauf verständigt, in »begründeten« Fällen, etwa bei drohenden Pleiten, Löhne und Arbeitszeiten zu kürzen. Immer wieder haben die Unternehmer und die Gewerkschaften gezeigt, dass sie sich nicht als Gegner im Klassenkampf, sondern vielmehr als »Sozialpartner« verstehen.

Als in den neunziger Jahren die Unternehmen viele Arbeitsplätze abbauten, gab es kaum Widerstand der Gewerkschaften. Millionen von Arbeitsplätzen wurden »sozialverträglich« abgebaut - unter Beteiligung der Gewerkschaften und auf Kosten des sonst so verachteten Sozialstaates.

Das Image als Blockierer haben sich die Gewerkschaften auch auf Nebenkriegsschauplätzen verdient. Beim Ladenschluss beharrten sie auf der alten Regelung, obwohl sie wussten, dass sie sich nicht halten ließ. Zudem stößt ihre Rhetorik immer mehr auf das Unverständnis der konsensgeübten Deutschen. »Es ist nicht vernünftig, auf totalen Konfrontationskurs zu gehen«, sagte der scheidende IG Metall-Vorstitzende Klaus Zwickel auf einer Veranstaltung in Hamburg. »Ich kann den Gewerkschaften nur raten, Lautstärke nicht mit Macht zu verwechseln«, pflichtete der DGB-Vorsitzende, Michael Sommer, ihm bei.

»Die Gewerkschaftsführer haben es natürlich nicht leicht, einen Kurs zu finden, den die Basis ebenso akzeptieren kann wie die Bundesregierung«, zeigte sich Barthel verständnisvoll. Doch die Basis der Gewerkschaften ist eben zum Teil auch die Basis der SPD. »Wir müssen den Mut haben, die Sache zuende zu bringen«, fordert der Generalsekretär der SPD, Olaf Scholz. Am 6. Mai tagt der Gewerkschaftsrat der SPD und am 8. Mai der rot-grüne Koalitionsausschuss. Und spätestens beim Sonderparteitag darf es dann keinen Dissens mehr geben.