Ein Märchen aus Mitte

Am Beispiel des Kulturhauses Acud lässt sich zeigen, wie die Rückübertragung »arisierten« Eigentums in Ost-Berlin an die jüdischen Erben oftmals vonstatten ging. von peter kessen

Thea Kabir aus Tel Aviv zeigt sich überzeugt: »Wir hätten für unser Haus mehr bekommen können.« Die Rede ist von einem Haus in der Veteranenstraße in Berlin-Mitte, das heute vor allem deshalb bekannt ist, weil es das linksalternative Kulturzentrum Acud beherbergt.

Seit dem Jahr 1925 gehörte das Haus dem Molkereihändler Heinrich Enoch, dem Großvater der heute 71jährigen Thea Kabir. Er starb 1936 in Kattowitz. Seine Ehefrau Fanni, die Kinder Kiwa und Erna kamen im Konzentrationslager Auschwitz ums Leben.

Im November 1998 übertrug das Landesamt für offene Vermögensfragen den Altbau mitsamt dem Grundstück an die Erben zurück. Es stellte fest: »Als in Berlin Gewerbetreibender gehörte Heinrich Enoch mit zu den ersten Opfern des nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 einsetzenden Terrors von SA-Kräften gegen jüdische Geschäftsleute. So entschied sich Familie Enoch schnell zur Ausreise und emigrierte noch 1933 nach Polen.«

Nach der Rückübertragung wollte Thea Kabir das Haus im Sommer 1999 schnell verkaufen: »Ich war 69 Jahre alt, mein Mann Jacob war im 75. Und die argentinischen Erben lebten in bescheidenen Verhältnissen.« Der erste Kaufinteressent war der Mieter, das Acud. Eineinhalb Jahre verhandelten die Parteien über den Preis, dann verkauften die Erben im Januar 2001 für 900 000 Mark an das Kulturhaus.

Der Berliner Bausenat fördert die Sanierung mit rund 1,7 Millionen Euro. Klaus Stahns, der Sachgebietsleiter für das Programm Modernisierung und Instandsetzung wohnungspolitischer Projekte und die dortige Sachbearbeiterin, Sabine Gäbler, geben an, den Kaufpreis des Hauses »nur aus der Zeitung« zu kennen. Stahns distanziert sich von der Unterstützung des Kulturhauses durch das Bauamt des Bezirks Mitte. Das wertmindernde Bebauungsverbot für das Vordergrundstück sei unhaltbar. »Wenn das Vorderhaus wieder entsteht, was von der Baugenehmigung her kaum zu versagen wäre, dann kommt man so auf eine wesentlich höhere Ausnutzung des Grundstückes.« Gäbler ergänzt: »Wenn der Bezirk das zugestanden hätte, dann hätte es natürlich einen ganz anderen Verkaufswert gehabt.«

Stahns sagt, dass die Förderung des Acud mit seiner hundertprozentigen Gewerbenutzung eigentlich dem Förderprogramm für die Modernisierung und Instandsetzung von Wohnungen widerspreche: »Nach den Richtlinien müssen mehr als 50 Prozent für Wohnungen genutzt werden.« Der Quadratmeterpreis für das Acud betrage rund dreißig Prozent weniger als der Durchschnittspreis für vergleichbare Objekte im Kiez. Stahns findet, man könne schon sagen, dass der Verkaufspreis »relativ günstig« sei, weil mit dem Grad der gewerblichen Nutzung eigentlich der Preis steige.

Der Bezirk erlaubte eine hundertprozentige gewerbliche Nutzung mit einer Kneipe, einem Kino, einem Club, einem Café, einem Theater und einer Galerie. Mit rund 1,7 Millionen Euro finanziert die Koalition der PDS und der SPD nun noch den Kinosaal, die Music Hall, das Nachtcafe und ein Restaurant.

Jutta Braband, die Geschäftsführerin des Acud, wird in der Stadtteilzeitung scheinschlag im Februar des Jahres 2002 zitiert, »wirklich wichtig« für den Hauskauf sei das Bezirksamt Mitte gewesen. »In für westdeutsche Verhältnisse ungewohnter, aber äußerst effizienter Zusammensetzung: ein CDU-Bürgermeister von PDS-Mehrheitsgnaden.« Alle hätten konstruktiv zusammengearbeitet, »wie im Märchen oder in der Nationalen Front«.

Der Bezirk Mitte war bis zum Oktober 1999 eine Hochburg der PDS, sie erhielt bis 42 Prozent der Wählerstimmen. Die Partei stellte die Mehrheit der Stadträte. Ab 1995 amtierte die PDS-Baustadträtin Karin Baumert, von 1998 bis 2000 Thomas Flierl, der heute Kultursenator in Berlin ist.

Das Bebauungsverbot für das Vordergrundstück, das vom Bezirk erlassen wurde und für den niedrigen Preis für das Acud entscheidend war, habe Flierl damals mitbetrieben, erklärt Jutta Braband: »Ich bin dahin und hab gesagt: Wir brauchen das jetzt mal als Abschreckung für Investoren! Und der hat dann gesagt, wie ich das machen soll!« Das war im Juli 1999. Die Strategie ging auf: »Und da wir Käufer auch durchaus verschreckt haben, konnten wir natürlich auch einen niedrigeren Preis bieten.«

Jutta Braband konnte sich im Häuserkampf auf die PDS verlassen. Die Bürgerrechtlerin war 1976 aus der SED ausgetreten, aus Protest gegen die Ausweisung von Wolf Biermann. Für die PDS/ Linke Liste saß sie vom Dezember 1990 bis zum Mai 1992 im Bundestag. Sie legte ihr Mandat nieder, als ihre sechsjährige Tätigkeit als IM der Staatssicherheit bekannt wurde. 1995 wurde sie Geschäftsführerin des alsbald bedrohten Acud.

Die Stiftung Umverteilen wiederum bezahlte den Kaufpreis für das Acud und überließ dem Kulturverein das Haus per Erbpachtvertrag. Sie wurde 1986 von dem Berliner Ulf Mann gegründet. Sein Vater besaß die Chemiefabrik Dr. Mann und war der Erfinder des früher recht bekannten Kopfschmerzmittels Vivimed. Mann ließ sein Erbe zum Teil in die Stiftung fließen. Sie unterstützt, wie es in einer Selbstdarstellung heißt, den »Kampf für Gerechtigkeit und Brüderlichkeit = gegen Repression, Manipulation, Isolation, gegen Rassismus, Patriarchat, Ausbeutung, gegen Schichtarbeit und Atomstaat, auch und besonders bei uns!«

Die Vorsitzende der Stiftung, Heike Brandt, findet die Frage übertrieben, ob die Erben einen Marktpreis erzielt hätten. »Das ist von uns ein bisschen viel verlangt. Ich denke, dass der Preis schon okay war. Vermute ich.«

Jutta Braband meint auch, »dass der Preis schon korrekt war. Also, es ist auf keinen Fall am oberen Ende.« Sie berichtet von einem Gutachten der Stiftung über den wirklichen Wert der Immobilie. Es kommt zu dem Schluss, allein das Grundstück sei 1,1 Millionen Mark wert gewesen. Diese Summe bestätigt später auch das Sekretariat der Stiftung. Der Verkaufspreis lag mit 900 000 Mark offenbar rund eine Million unter dem Marktwert.

Der Verlust resultierte aus dem wertmindernden Bebauungsverbot, dem um ein Drittel niedrigeren Quadratmeterpreis, der nicht berücksichtigten Wertsteigerung der Immobilie durch die hundertprozentige kommerzielle Nutzung und der Abschreckung interessierter Investoren durch öffentliche Kampagnen und eine angedrohte Besetzung, der ein langwieriges Gerichtsverfahren gefolgt wäre.

Das Acud, die Stiftung Umverteilen und Flierl sehen sich als wackere Linke, die ein Fleckchen alternativer Kultur verteidigt haben, einen »Freiraum«. Im Sommer 2004 wird das Acud in neuem Blau erstrahlen, saniert wie die Nachbarhäuser. Deren Alteigentümer jedoch erzielten wesentlich höhere Verkaufspreise als die Erben um Thea Kabir.

Nach dem Sanierungsplan aus dem Jahr 1999 befanden sich die beiden Nachbarimmobilien, allesamt unsanierte Altbauten aus der gleichen Bauzeit, im selben Zustand. Einem Notariatsvertrag vom 13. November 1998 zufolge erhielten die beiden Erben eines Hauses ohne bebaubares Grundstück 1 425 000 Mark. Der Vorfahr bekannte sich in der Parteistatistischen Erhebung der NSDAP von 1939, die im Bundesarchiv Koblenz zu finden ist, zur Mitgliedschaft in diversen NS-Organisationen wie der SS.