Unendliche Geschichte

Im schleswig-holsteinischen Neumünster demonstrieren Rechtsextreme gegen die Wehrmachtsausstellung. Auch die örtliche FDP und die CDU wollten sie verhindern. von andreas speit

Die Entscheidung war umstritten. Sollen die Ratsherren- und damen in Neumünster das Hamburger Institut für Sozialforschung einladen, die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht – Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941–1944« in Neumünster zu zeigen, oder nicht? Die Ratsfraktionen der SPD und der Grünen waren dafür, die Fraktionen der CDU und der Statt-Partei waren dagegen.

Wochenlang debattierte man Ende des vergangenen Jahres darüber, schließlich setzten sich die SPD und die Grünen mit ihrer Mehrheit im Rat durch. Anfang April wurde die Ausstellung eröffnet, bis Mitte Mai soll sie im Stadtzentrum »Kiek in« gezeigt werden.

Noch kurz vor dem Ratsbeschluss versuchte die örtliche CDU, die Entscheidung abzuwenden. Sie wollte das Volk befragen lassen. »Die Verbrechen von damals sollen nicht beschönigt werden«, betonte der Fraktionsvorsitzende der CDU, Peter Jesse, nur in Neumünster solle die Ausstellung nicht gerade gezeigt werden. Die Stadt habe nicht das nötige Geld und ihr Image könne auch leiden, begründete Jesse den Antrag auf einen Bürgerentscheid. Schließlich sei »Neumünster schon für den ›Club 88‹ bekannt, da muss man mit der Wehrmachtsausstellung nicht noch einen drauf setzen.« Jesse warnte: »Wenn jetzt die rechten Demonstranten kommen, trägt alleine die SPD die Verantwortung.«

Die »rechten Demonstranten« ließen sich nicht zweimal rufen. Die Neonazikader des Club 88, die schon seit Jahren das Nazizentrum im Stadtteil Gardeland betreiben, fühlten sich sogleich berufen, gegen die »Schandausstellung« aufzumarschieren. Als die Ratsfraktionen noch stritten, meldete Peter Borchert, der Anführer der Freien Nationalisten und Parteivorsitzende der NPD in Schleswig-Holstein, für jeden Samstag in der Zeit, in der die Ausstellung gezeigt wird, einen Aufmarsch an.

Unter dem Motto »Keine Ruhe für Reemtsma – deutsche Jugend marschiert gegen die Schandausstellung« folgten am 5. April über 500 Neonazis zum ersten Mal Borcherts Ruf nach Neumünster. Doch bevor die Neonazis, die aus mehreren Bundesländern, aber auch aus Dänemark, Schweden und Großbritannien angereist waren, losmarschieren konnten, mussten sie über zwei Stunden in der Innenstadt herumstehen.

Denn 60 ihrer Kameraden waren mit Antifaschisten zusammengestoßen und konnten nur unter dem Schutz der Polizei und mit einem neuen Bus die Kundgebung erreichen. Immer wieder musste Borchert die wartenden Kameraden an den »kameradschaftlichen Zusammenhalt« mit den von den Antifas behinderten Neonazis und an das »würdige Auftreten« im Namen der verstorbenen Helden der Wehrmacht erinnern, da etliche ungeduldig wurden und sich mit Bier und Bockwurst vergnügten.

Auch der Aufmarschplatz war zunächst von Antifas besetzt. Mehr als 200 von ihnen war es trotz der 1 300 eingesetzten Polizisten gelungen, auf den Platz vorzudringen. Als die Polizei den Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken androhte, wichen die Demonstranten in die Seitenstraßen aus.

Zur gleichen Zeit, aber an einem anderen Ort hielt der »Runde Tisch für Toleranz und Demokratie« der Stadt eine Kundgebung ab. »Die Ausstellung können nicht genug Bürger besuchen«, klagte Neumünsters Stadtpräsidentin, Helga Hein (SPD), stellte aber fest: »Die Auseinandersetzung spaltet seit Tagen die Bürger.« Es sei ein nötiger Streit, meinte Heinz-Werner Arens (SPD), der Präsident des schleswig-holsteinischen Landtags. »Rechtsextremismus ist kein Problem von Randgruppen«, sagte Arens, »sondern ist bei uns in der Mitte angesiedelt.«

Aber zu den Antifaschisten, die sich den Neonazis an diesem Tag auf der Straße entgegenstellten, sagte Arens: »Für Frieden schreien und selbst Gewalt billigen – da scheidet sich der Weg.«

Schließlich kam das Konzept der »niedrigen Toleranz« zur Anwendung. Schon während der Nazi-Kundgebung schritten die Beamten gegen die Antifas ein. Vor einem Jugendzentrum nahmen sie dann über 75 Personen vorübergehend in Gewahrsam, wobei es auf beiden Seiten zu Verletzten kam. »Die Personen wollten eine Sperre durchbrechen«, rechtfertigte ein Polizeisprecher den Einsatz.

Angeführt von Polizeisonderkräften und Wasserwerfern konnten die Neonazis dann marschieren. »Die gleichen Verbrecher, die das Deutsche Reich überfielen, greifen heute den Irak an«, schimpfte der Nazianführer Thomas Wulff. Thorsten Heise aus Nordheim erklärte den Kameraden, dass nur »Volksverhetzer die Soldaten des eigenen Volkes« beleidigen, und Ralph Tegethoff aus Bad Honnef ermutigte die Gefolgschaft: »In Deutschlands dunkelster Zeit habt ihr den deutschen Soldaten und der europäischen Freiwilligenarmee die Ehre erwiesen.« Gemeint war die SS, deren Taten man sogleich würdigte.

Erst in der Nacht ging die Polizei in Neumünster gegen die Neonazis vor. Nach dem Aufmarsch veranstaltete der Club 88 ein Rechtsrockkonzert. Als in der angemieteten Lagerhalle »Symbole verfassungsfeindlicher Organisationen« gezeigt wurden, »schritten die Kollegen ein«, erklärte ein Polizeisprecher. Da die Beamten mit Flaschen angegriffen wurden, stellten sie die Personalien von 400 Konzertgästen fest. Die Bands Ultima Ratio und White Law hätten ihre Auftritte aber »erfolgreich durchgeführt«, meinte Peter Borchert später.

Unerwartete Rückendeckung erhielten die Neonazis vom Kreisverband der FDP. Die Wehrmachtsausstellung sei eine »ideologisch motivierte Geldverschwendung«, meinte der Kreisvorsitzende der FDP, Wolf Reith, »keine Vergangenheitsbewältigung, sondern eine Polit-Show«. Auf ihrer Internetseite dokumentierte die FDP als Argumentationshilfe Texte der NPD und bot Links zu der rechtsextremen Partei an.

Erst als der Landesverband der Grünen die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machte, löschte der FDP-Kreisverband die Links. »Wir verwahren uns dagegen, dass man uns eine rechte Gesinnung vorwirft«, schimpfte Reith. Er wird wohl nicht bei den Demonstrationen mitmarschieren, die die Neonazis für die kommenden Samstage angekündigt haben. Höchstens im Geiste.