Protest ja, aber …

Mit einer flexiblen Taktik versuchen die nordafrikanischen Regierungen, die Antikriegsstimmung zu kanalisieren. von bernhard schmid, paris

Als eine McDonald’s-Filiale angegriffen und Plakate abgerissen wurden, die für US-Produkte warben, griff die Polizei ein. Den frontalen Angriff auf die Demonstration aber vermied die Staatsmacht. Immerhin hatte die Veranstaltung, die am 30. März in der marokkanischen Hauptstadt Rabat stattfand, eine Genehmigung von der Regierung erhalten. Und die etwa 200 000 Teilnehmer unnötig zu provozieren, hätte unabsehbare Folgen haben können.

Im Umgang mit der Antikriegsstimmung in der Bevölkerung steht das marokkanische Regime, wie alle anderen Machthaber im nordafrikanischen Maghreb, vor einem Dilemma. Einerseits soll den Menschen die Gelegenheit gegeben werden, etwas Dampf abzulassen, um unkontrollierte Proteste zu vermeiden. Andererseits sind auch bei legalen Demonstrationen immer wieder regierungsfeindliche Parolen zu hören.

Die Zahl der Protestierenden war vor Beginn der Kampfhandlungen im Irak am 20. März relativ gering. Nach Kriegsbeginn wurden die Demonstrationen größer, die Teilnehmerzahlen waren jedoch geringer als während des zweiten Golfkriegs 1991. Die starke Repression erklärt dies nur zum Teil, zumal sich auch diesmal abzeichnete, dass in großen Teilen der Bevölkerung erhebliche Verbitterung über den erneuten militärischen Angriff auf ein arabisches Land herrschte.

Der irakischen Diktatur werden wenig Sympathien entgegengebracht. In der gesamten Region hält das kollektive Gedächtnis jedoch die Erinnerung an die Kolonialära wach. Schließlich sind auch die Regierungen Tunesiens und Ägyptens repressive Regime. Vor diesem Hintergrund betrachteten viele Nordafrikaner das irakische Regime als kleineres Übel, weil es immerhin Widerstand gegen die westlichen Interventionstruppen leistet.

Während des zweiten Golfkriegs vor zwölf Jahren bestand noch die Illusion, dass Saddam Hussein erfolgreich sein könne. Die irakische Niederlage vom 28. Februar 1991 war eine der Ursachen für die damals einsetzende politische Depression in den nordafrikanischen Ländern, von der hauptsächlich die Islamisten profitierten. Doch deren repressiver Terror isolierte die Bewegung. Diese Erfahrung, verbunden mit der Niederlage der wichtigsten bewaffneten Gruppen in Ägypten und Algerien Ende der neunziger Jahre, verstärkte die politische Passivität der Bevölkerung gegenüber einem letztlich doch übermächtigen Staat.

Heute schaffen es die Islamisten nicht, auf vergleichbare Weise von der Antikriegsstimmung zu profitieren. Einen wichtigen Grund dafür sieht die algerische Aktivistin Chafia* in den großen Antikriegsdemonstrationen in Europa und den USA. Die Fernsehbilder und Erzählungen dort lebender arabischer Immigranten hätten das Bild der westlichen Gesellschaft als eines einheitlichen, feindlichen und arroganten Blocks zerstört. Daher sei der identitätspolitische Rückschluss, der behaupte, »nur unter Muslimen« sei Solidarität möglich, bei weitem nicht so verbreitet wie beim letzten Konflikt.

Am stärksten bleiben die Islamisten in Marokko präsent. Dort profitieren sie davon, dass die Bevölkerung noch wenig eigene Erfahrung mit radikalen Islamisten gemacht hat. Auf der Demonstration in Rabat waren sie stark präsent. Hingegen teilte sich der Protestmarsch in Marrakesch in drei Züge auf. In einem marschierten die Islamisten, im anderen die Linken und Gewerkschafter, den dritten stellten die Regierungsparteien. Angesichts der Stimmung nach Ausbruch des Irakkriegs forderte Ismael Alaoui, Generalsekretär der marokkanischen postkommunistischen PPS, vor kurzem die Verschiebung der Kommunalwahlen, um zu verhindern, dass die Islamisten alle Armenviertel erobern.

Dagegen spielen die islamistischen Muslimbrüder Ägyptens derzeit eher die Feuerwehr für das Regime. Der seit der Ermordung des Präsidenten Anwar al-Sadat 1981 ununterbrochen geltende Ausnahmezustand verbietet Demonstrationen außerhalb des geschlossenen Geländes von Universitäten oder Moscheen. Nach Ansicht der ägyptischen Aktivistin Aischa* werden die Protestwilligen »draußen vor der Universität durch die Polizei und innen durch die Muslimbrüder« daran gehindert, das Campusgelände zu verlassen.

Die Muslimbrüder verfolgen eine Strategie der »Selbstbeschränkung«, die Staatsmacht soll nicht herausgefordert werden, solange die Hegemonie über Berufsverbände und andere gesellschaftliche Sektoren nicht hergestellt ist. Dass die Islamisten die bislang größte und ausnahmsweise legale Kundgebung in einem Stadion Kairos mit etwa 140 000 Teilnehmern zumindest optisch prägen konnten, dürfte eine Gegenleistung des Regimes für diese Zurückhaltung gewesen sein.

Weit weniger kulant zeigt man sich gegenüber nicht autorisiertem Protest. Im Februar wurde der sozialistische Intellektuelle Kamal Khelil verhaftet und gefoltert, weil er Antikriegsaktivitäten vorbereitet haben soll. Am ersten Wochenende nach Kriegsausbruch verhaftete die Polizei über 500 Demonstranten aus einem Protestzug von mehreren Zehntausend Menschen, elf von ihnen waren auch nach zwei Wochen noch in Haft.

Auch die meisten anderen Regierungen der Maghrebstaaten treten den Protesten mit einem Wechselbad aus Repression und Kanalisierungsversuchen entgegen. In Tunesien fand im Februar zunächst eine Kundgebung des Gewerkschaftsbunds UGTT in Gafsa statt, die brutal zusammengeknüppelt wurde, es gab mehrere Dutzend Verletzte. Die daraufhin einsetzenden Proteste gegen die Repression an der Universität in Tunis wurden durch ein beeindruckendes Polizeiaufgebot im Keim erstickt. Als der Druck anwuchs, versuchte die Staatspartei RCD Mitte März, die Proteste selbst zu organisieren. Die Demonstration wurde von einem Ordnerdienst strikt kontrolliert, der unliebsame Parolen unterband. Eine Woche darauf wurde der legalen, bürgerlich-liberalen Opposition erlaubt, ebenfalls zu demonstrieren. Die größte Demonstration stellte dann aber einige Tage später der Gewerkschaftsbund UGTT.

In Algerien, wo Demonstrationen außerhalb der Hauptstadt gestattet sind, verhinderte ein martialisches Polizeiaufgebot während des Generalstreiks Ende Februar, dass eine Demonstration von 10 000 Stahlarbeitern das Firmengelände verlassen konnte. Besonders die Möglichkeit, die Antikriegsstimmung könnte sich mit sozialem Protest verbinden, bereitet den Machthabern Sorgen.

* Die wirklichen Namen sind der Redaktion bekannt