Deutsche Markenbutter

Sozialabbau? Nicht ohne ideologische Begleitmusik.
Auf dem Kongress »Marke Deutschland« in Berlin forderten
Jungmanager eine Revolution für Deutschland. von paul wellsow

Soziale Sicherheit passt nicht zur Marke Deutschland. Darin waren sich Teilnehmer des Kongresses »Marke Deutschland« in der vergangenen Woche in Berlin einig. Fast alle Referenten betonten, dass Deutschland unternehmerisches Risiko statt sozialer Absicherung braucht.

»Schluss mit dem Reformstau« und Kampf dem »Besitzstandsdenken« lauteten die Forderungen, die von der Kampagne vorab in der Presse lanciert worden waren. 450 »junge Führungskräfte von morgen« kamen schließlich zu der Veranstaltung, die von drei großen Beraterfirmen initiiert wurde. Mit der Organisation »Deutschland packt’s an« und der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« waren zwei weitere Ruck-Initiativen aus der Wirtschaft als Unterstützer vertreten, die Sozialabbau und Deregulierung propagieren.

Auftaktredner und Star des Abends war Hilmar Kopper, der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank. Er machte eingangs erst einmal klar, dass die deutsche Wirtschaft derzeit eigentlich gut dastehe, da die wichtigsten Bedingungen stimmten: ein großer Binnenmarkt, die »Lage im Herzen Europas« als »gateway to the east« und ein Telekommunikationssystem, das »Weltspitze« sei. Fragen nach der Höhe der Steuern oder der betrieblichen Mitbestimmung seien da, streng betrachtet, zweitrangig. »Deutschland hat eine geile Ausgangsposition«, fasste ein Nachwuchsmanager die gegenwärtige Lage zusammen.

Doch damit wollen sich die Manager von gestern und morgen nicht zufrieden geben. Die zentrale Frage war daher, wie es möglich sei, »eine Gesellschaft von mehr als achtzig Millionen Menschen so zu motivieren, dass sie sich auf die ihnen innewohnenden Tugenden und Qualitäten besinnt«, um noch profitabler zu produzieren. Ihre Lösung nennen sie »Branding Nations«, und das bedeutet, eine Nation als Firma und Produkt gleichzeitig aufzufassen, um sie, mit einem positiven Image versehen, auf den Markt zu bringen.

Das Ziel der Initiative »Marke Deutschland« ist es, eine koordinierte Bewegung ins Leben zu rufen, um den Ruck »konkret werden zu lassen«, den der damalige Bundespräsident Roman Herzog 1997 gefordert hatte. Dafür wurden von den drei Gründungsfirmen, dem Goethe-Institut und »200 führenden Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur« zehn Kernforderungen aufgestellt und als »Markenmanifest für Deutschland« veröffentlicht.

Denn mit dem Aufbau eines einheitlichen Logos ist es nicht getan. So wird unter anderem der Aufbau einer »nationalen Identität« gefordert, um die Menschen im Land auf ein gemeinsames Ziel einzuschwören. Denn eine »positive Einstellung zu Nation und Nationalbegriff« sei äußerst hilfreich, um sich weltweit mit der »Marke Deutschland« durchsetzen zu können. Auch sei es erforderlich, sich von den Belastungen der deutschen Vergangenheit zu verabschieden. »Genug!«, rief Wolfgang Harrer, der USA-Korrespondent der Zeitung Die Welt, ins Publikum. »Es ist endlich Zeit, dass wir die Schuld gehen lassen.«

Statt sich also mit den deutschen Verbrechen der Vergangenheit auseinanderzusetzen, steht der »offene Umgang mit eigenen Interessen« auf der Tagesordnung, wie es im »Markenmanifest für Deutschland« heißt. Dieses Land dürfe »nicht länger vor Führungsaufgaben und Führungsrollen zurückschrecken«. Außerdem müssten Risikobereitschaft und marktkonforme Bildung gefördert werden.

Welch skurrile Blüten die Debatte zum Teil trieb, bewies die »Arbeitsgruppe Wissensgesellschaft«. Deren 26jährige Sprecherin machte sich ganz konkrete Gedanken über die zukünftige Finanzierung der Bildung und schlug vor, Schulen als autonome Unternehmen zu betrachten. Diese könnten dann, »über den Verkauf von Produkten der Schüler aus dem Schulgarten oder so«, selber zur Finanzierung beitragen.

Um die Veränderungen auch politisch voranzutreiben, fordern die Jungmanager nicht weniger als eine »Revolution für Deutschland« oder zumindest eine Reform der Verfassung. »Vielleicht muss diese heilige Kuh irgendwann geschlachtet werden«, verkündete der Sprecher eines Workhops, denn schnelle und effiziente Entscheidungen statt ewiger Diskussionen seien nötig. Und so forderte der »Arbeitskreis Verfassung« dann auch »klare Kompetenzen«, etwa wie in einem Unternehmen, und gestand: »Wir wollen politische Führung!«

Mitveranstalter des Kongresses war auch die Bundeszentrale für politische Bildung. Deren Präsident Thomas Krüger (SPD) versuchte in seinem Vortrag noch, den Unterschied zwischen Staatsbürgern und Konsumenten hochzuhalten, und plädierte dafür, Politik nicht als Produkt, sondern als Vermittlung verschiedener Interessen zu begreifen. Damit stieß er aber auf taube Ohren, denn gefragt waren hier Politiker, die sich als »Brandmanager« verstehen. Trotzdem verteidigte Krüger die Unterstützung des Kongresses. »Ich will hier junge Leute erreichen und die Kontroverse suchen«, sagte er der Jungle World.

Sich selbst und ihre Vorbilder begreifen die Nachwuchsmanager als »Spielmacher«. Insgesamt 33 Personen und Unternehmen nennen sie in einer Broschüre ihre Vorbilder. Joschka Fischer, Gerhard Schröder, Hans-Dietrich Genscher, Roman Herzog, Roland Koch, Angela Merkel, der Mittelstand, Siemens, VW und Herbert Grönemeyer vermitteln schon heute einen Eindruck, wie die »neue« Gesellschaft aussehen soll.

Die Jungmanager halten sich für politisch unabhängig, weder für rechts noch für links, und glauben, die legitimen Vertreter einer neuen Generation zu sein. Beispielhaft dafür ist der Verein BerlinPolis, der ebenso an der Kampagne »Marke Deutschland« beteiligt ist. Gegründet von dem SPD-Yuppie Daniel Dettling aus dem Umfeld der Zeitschrift Berliner Republik, versammelt sich hier der Nachwuchs aus Politik und Wirtschaft, um gemeinsam an der eigenen Karriere zu basteln.

Einen Ruck-Kongress zu organisieren, scheint heute erfolgreicher zu sein, als Bewerbungen zu schreiben. Ganz im Sinne ihrer Förderer aus Wirtschaft, Medien, Politik und der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« wird über Elitenbildung, den Zuzug »niedrig qualifizierter Arbeitskräfte« und das Karrierehemmnis Wehrpflicht diskutiert. Die Gewerkschaften werden, wie könnte es anders sein, beschimpft.

Durch die Bündelung verschiedener Initiativen scheint die Kampagne »Marke Deutschland« einflussreicher als ähnliche Versuche zuvor. Sie ist Teil einer Reihe von Vorstößen wie etwa der Ruck-Rede von Herzog oder der »konservativen Revolution« des Historikers Arnulf Baring. Dieser forderte im vergangenen Jahr einen »Aufstand gegen das erstarte Parteiensystem«, einen »massenhaften Steuerboykott« und »Notverordnungen«, um »schmerzliche Reformen« einzuleiten. (Jungle World, 50/02)

Die Kampagne verlangt im Namen der Gewinnmaximierung den Abbau von Rechten, der Demokratie und des Sozialstaats. Der Gürtel soll mal wieder enger geschnallt werden. Her mit der Ich-AG! So liefert sie die ideologische Begleitmusik zum Umbau der Gesellschaft.

Karl-Ulrich Kuhlo, der Geschäftsführer von »Deutschland packt’s an«, ist überzeugt, das Richtige zu tun, und erwartet Erfolge. Ein erstes Treffen der Ruck-Initiativen soll noch im Juli stattfinden, um dem gemeinsamen Ziel näher zu kommen. Die Menschen müssten endlich die Notwendigkeit verstehen, »Opfer zu bringen«, sagt Kuhlo.

Ausgerechnet General Stephan Kretschmer, der Kommandeur im Zentrum Innere Führung der Bundeswehr, war auf dem Kongress etwas anderer Meinung. Was er sagte, klang zum Teil wie aus einer Welt von gestern: »Deutschland braucht soziale Sicherheit.«