Gregor Schnitzlers »Was tun, wenn's brennt?«

Lass es brennen!

Das Kino ergreift Maßnahmen zur autonomen Vergangenheitsbewältigung. Gregor Schnitzlers »Was tun, wenn's brennt?« geht die Angelegenheit pragmatisch an.

Was man tut, wenn es brennt, dürfte klar sein. Aber was tut man, wenn es explodiert? 13 Jahre nachdem die, die sich Tim, Hotte, Maik, Nele, Terror und Flo nennen, bei einer spekulantenfeindlichen Maßnahme einen Sprengsatz in einer leer stehenden Grunewald-Villa deponiert haben, macht dieser sich aus heiterem Himmel selbstständig und geht seiner eigentlichen Bestimmung nach in die Luft. Nun sind 13 Jahre eine lange Zeit, nicht nur für einen Sprengsatz, sondern auch für seine Erbauer. Und weil die Zeit einen nicht nur zum Altern zwingt, sondern einem darüber hinaus auch die Möglichkeit zur Veränderung bietet, machen viele von dieser Möglichkeit Gebrauch. Nur Tim und Hotte nicht.

Die wohnen noch immer in ihrem zwar nicht mehr besetzten, dafür aber endgültig heruntergekommenen Haus, von dem die Ordnungskräfte wissen, dass dort ab und an eine kleine Razzia nicht schaden kann, und sei es, um den jüngeren Kollegen zu zeigen, wie das Razziamachen so geht. Und weil es Zufall, Drehbuch und Dramaturgie so wollen, fällt den Beamten auf diesem Umweg eine umfangreiche Kinemathek antideutschen, autonomen, landfriedensbrecherischen, totaloppositionellen und hausbesetzerischen Filmschaffens in die Hände, das den launigen Streifen über den vergangenen Sprengsatzbau selbstverständlich mit einschließt.

Was also tun? Wie es mit sehr kniffligen praktischen Fragen bekanntermaßen ist, können sie sich mitunter zu noch kniffligeren existenziell-philosophischen Fragen ausweiten, was aber ihrer baldigen Beantwortung nur in den seltensten Fällen dient. Bevor man sich dabei nun grübelnderweise festfährt, kann es sich als hilfreich erweisen, den Umweg über die eigene Geschichte zu nehmen. Sich also »Was habe ich getan?« zu fragen, womit nicht der Sprengsatzbau als solcher gemeint ist, sondern die Zeit zwischen dem Bau und seiner Explosion.

Mit dem Wissen um die eigene Biografie und der Zukunft im Blick lässt sich eine handliche Bestimmung vornehmen, um sich so gegenwärtigen Problemen zu stellen. Oder vereinfacht gesagt: Was soll zum Beispiel Nele, ihres Zeichens allein erziehende Mutter zweier Kinder, tun, als ihre autonome Vergangenheit sich plötzlich als ungeahnt folgenschwer erweist und wie eine Rauchwolke über ihrer mittlerweile bürgerlichen Existenz aufsteigt. Oder Flo, von der man nicht viel weiß, außer dass sie, egal wie man sich dem Problem nun stellt, immer nur »bis Freitag« Zeit hat. Oder Terror, der eine Karriere als Staatsanwalt anstrebt. Und nicht zuletzt Maik, der eine überaus erfolgreiche Werbeagentur führt, mit Filialen von New York bis Paris.

Nun mag man einwenden, dass der Film die Karrieren seiner Helden ins Klischeehafte zuspitzt, andererseits waren auch im wirklichen Leben autonome Jurastudenten nicht gerade eine Seltenheit - irgendwo müssen die ja geblieben sein. Und was seine Karriere als Werber angeht, versteht es Maik, sie durchaus schlüssig zu erklären: »Ich habe im besetzten Haus so viele zermürbende Plena mitgemacht, dass ich dadurch bestens geschult war, den Leuten einfach alles aufzuschwatzen!« Große Weisheit spricht aus solchen Dialogen.

Also: Was tun? Sich stellen kommt nicht in Frage, weil man dadurch seine Zukunft aufs Spiel setzt. Nichtstun kommt nicht in Frage, weil man dann früher oder später doch erwischt wird. Also bleibt einem nichts anderes übrig, als schleunigst etwas zu tun, was sämtliche Beweise vernichtet, damit es gar nicht erst zu irgendwelchen Verhaftungen kommt. Nur was?

Und während man auf der einen Seite diese Frage eingehend diskutiert, pflegen auf der anderen Tim und Hotte ihr Misstrauen gegenüber ihren ehemaligen Freunden, die, wie sie einmal waren, nun nicht mehr sind. Nur Tim und Hotte sind noch, wie sie sind. Wie Dick & Doof, Starsky& Hutch und Cagney & Lacey sind sie Figuren aus einer vergangenen Zeit, die es einmal gab, bevor die Mauer fiel und die Welt aus der Sicht derer, die Veränderungen nicht schätzen, noch besser war, weil einfacher strukturiert.

Es ist die kluge Pointe dieses Films, dass er zur Verdeutlichung dieses Themas eine Figur installiert, die Tim und Hotte geradezu überraschend ähnlich ist, obwohl sie die Welt aus einer ganz anderen Perspektive anschaut: Inspektor Manowsky, der berüchtigte Autonomenfresser aus West-Berlin, der schon nach einer flüchtigen Inaugenscheinnahme von Flugblättern und einschlägigen Bekennerschreiben kenntnisreiche Täterprofile erstellen kann, so lange und eingehend hat er sie zeit seiner Laufbahn studiert.

Doch weiß man seinen Instinkt heute noch zu schätzen? Immer häufiger wird seine hemdsärmelige Arbeitsweise von Technokraten des BKA unterlaufen, die mit neumodischen Ermittlungsmethoden dort im Dunkeln fischen, wo er längst einen Fang gemacht hätte; die jeden Ausdruck linksautonomer Folklore als Anschlag auf die bestehende Ordnung werten, während Manowsky sie als das versteht, was sie ist, sie aber dennoch mit aller Härte verfolgt, weil man das eben tut. So gesehen sind Tim und Hotte und Manowsky ein eingespieltes Team, das sich in den Disziplinen Provozieren und Fahnden blind versteht, das aber auch Vertreter einer alten Ordnung stellt, die heute etwas angestaubt scheint, ja irgendwie geradezu rettungslos gestrig.

Eine andere Frage, die der Film ganz nebenbei stellt: Verrät man seine Ideale, wenn man die linksautonome Laufbahn beizeiten verlässt, um eher bürgerliche Ziele anzusteuern; oder verrät man sich an seine Ideale, wenn man sich gegen diese Ziele, die sich bei Flo, Nele, Terror und Maik denkbar verschieden ausdrücken, wegen irgendwelcher Prinzipien verwahrt? Handelt es sich bei der Autonomenfrage mithin um ein politisches Phänomen oder vielmehr um eine Ausdrucksweise, die mehr im jugendkulturellen Bereich angesiedelt ist, also gewissermaßen um eine Mode?

Handelt es sich also bei Tim und Hotte, die seit über 13 Jahren in einem Haus leben, in dem es seit über 13 Jahren durchs Dach regnet, die aber im Übrigen nicht viel mehr tun als Ausdauer zu zeigen, Demos zu besuchen und Flugblätter zu verteilen, um hartgesottene Polit-Aktivisten oder zwei unmoderne liebenswerte Trottel, die irgendwie selbst dafür verantwortlich sind, dass es ihnen ständig auf den Kopf tropft?

Wahrscheinlich beides. Und wahrscheinlich liegt darin der besondere Charme dieser kleinen Komödie, dass sie die Grenzen nicht zwischen Gut, Böse, Richtig und Falsch zieht, sondern zwischen denen, die es geschafft haben, und denen, die mit einem Knall feststellen müssen, dass sie wohl irgendwann aus der Zeit gefallen sind. Mal ist man auf dem Bus, mal ist man runter vom Bus. Und was tut man nun, wenn es brennt? Man lässt es brennen, ganz einfach.

»Was tun, wenn's brennt?«, D 2001. R: Gregor Schnitzler, B: Anne Wild, Stefan Dähnert, D: Til Schweiger, Martin Feifel, Sebastian Blomberg, Nadja Uhl, Doris Schretzmayer, Matthias Matschke, Klaus Löwitsch. Start 31. Januar