Feuchte Sanierung in Mitte

Aus allen Rohren

Mit vielen Tricks versucht eine Immobilienfirma, die letzten Bewohner aus zwei Häusern in Mitte zu treiben.

Ein weiter Blick über die Dächer Berlins, ein blauer Himmel und mittendrin der schöne Turm der Zionskirche: ein Foto, das Käufer ins »Quartier mit Flair« locken soll. »Tür auf für eine gute Investition in Berlins Mitte«, steht im Hochglanzprospekt der Immobilienfirma Stenschke. Hier wird potenziellen Käufern von Wohnungen in der Fehrbelliner Straße mit hübschen Bildern und Worten die Wohnlage »mit Zukunft« schmackhaft gemacht. »Die Gegend um den Zionskirchplatz mit ihrer 1866 erbauten Zionskirche ist eine der beliebtesten Wohngegenden von Mitte.« In höchsten Tönen lobt der Prospekt die intakte Infrastruktur, die lebendige Kulturszene und den nahe gelegenen Weinbergspark, der noch im letzten Jahrhundert wegen seiner südlichen Hanglage »dem Weinanbau diente«.

Was die potenziellen Käufer nicht wissen: In der Fehrbelliner Straße 52 und 52a wohnen noch einige Mieter, die sich hartnäckig gegen den Verkauf der Wohnungen wehren. Kürzlich luden die verbliebenen Bewohner zum Protestfrühstück vor dem Haus. »Hier entstehen 29 Eigentumswohnungen«, steht auf einem Werbeplakat der Immobilienfirma. »In diesem Haus Vernichtung von preiswertem Wohnraum auf Raten«, haben die Bewohner auf ein anderes Plakat daneben gemalt.

Zwischen Bauzäunen und Gerüst informieren die letzten Mieter über den aktuellen Stand des Wohnungskriegs. »Sonntagnachmittags bin ich kurz eingeschlafen und habe im Traum Regen gehört«, erzählt die Kunststudentin Marina Klinker. »Dann bin ich aufgewacht und es kam richtig heftig Wasser durch die Decke.« In der bereits leer stehenden Wohnung über ihr waren plötzlich die Wasserrohre offen. Für Marina Klinker steht fest: »Das war kein Unfall, das war Absicht.«

Der Vorfall bedeutet nur eine weitere Eskalation in der bereits seit einem Jahr andauernden Auseinandersetzung zwischen Mietern und der Stenschke-Acon GbR. Die Immobilienfirma bietet den Mietern mittlerweile hohe Abfindungen an, um sie zum Auszug zu bewegen. Marina Klinker soll 9 000 Mark und einen monatlichen Mietzuschuss von 200 Mark für die nächsten zwei Jahre bekommen.

Die meisten Mieter sind bereits ausgezogen. Doch einige Studenten wollen nicht so schnell klein beigeben. »Ich wollte keine Abfindung, sondern hier wohnen bleiben mit einer Miete, die ich bezahlen kann«, sagt Beatrice. Doch das Wohnen in dem bereits fast leeren Haus 52a wird langsam zur Zumutung. »Anfang des Jahres hatte ich keinen Strom mehr, vor zwei Tagen kam rotes Wasser aus dem Hahn, und wenn ich abends nach Hause komme, habe ich Angst, weil alle Türen offen stehen.«

Die zwei Häuser in der Fehrbelliner Straße gehören zum Sanierungsgebiet Rosenthaler Vorstadt. Es sind die letzten nicht sanierten Gebäude im herausgeputzten Viertel. Im Auftrag des Bezirksamts Mitte berät Michael Schwarz vom Büro für stadtteilnahe Sozialplanung (BFSS) die Mieter. »Es gibt keine Verpflichtung auszuziehen«, stellt er fest, »aber der Modernisierung kann man sich nicht entgegenstellen.«

Schwarz sucht nach so genannten Zwischenumsetzwohnungen für die Mieter. Doch erst müssen Vermieter und Mieter eine Sanierungsvereinbarung treffen. Dem verweigern sich einige Bewohner, weil sie fürchten, die höhere Miete nicht mehr zahlen zu können. »In den letzten Jahren wollen immer mehr Eigentümer die Wohnungen verkaufen und die Häuser komplett leer kriegen«, so Schwarz.

Die nicht immer ganz sanften Methoden der »Entmietung« kennt er zur Genüge: »Wir hatten schon den Fall, dass Schlösser mit Kontaktkleber versiegelt wurden, dass unter dem Vorwand einer Dichtprobe das Gas abgestellt wird oder sogar ein Deckendurchbruch gemacht wird, angeblich aus Versehen.«

Martin Schmidt wohnt im vierten Stock. Seine Wohnung soll nach der Sanierung verkauft werden. »Die gesamte Stadt liegt einem quasi zu Füßen«, heißt es in dem Immobilienprospekt, »die raffiniert geschnittenen und mit hochwertigen Ausstattungsmerkmalen versehenen Dachgeschoss- und Maisonette-Wohnungen erlauben es, den Himmel über Berlin zu genießen.«

Für Martin Schmidt klingen diese Sätze wie Hohn, denn das Wohnglück im himmlischen Berlin wird ein Käufer erleben. Von der versprochenen »Sanierung mit Vernunft« kann Schmidt nichts entdecken. »Ich sollte bis zum 15. Juni hier ausziehen und warte jetzt auf eine Räumungsklage.« Er will hart bleiben. »Die stellen mich als Querulanten hin und wollen mich schikanieren.«

Mittlerweile gebe es sogar einen Verein der von Stenschke Geschädigten. Schmidt verlangt eine Zwischenumsetzwohnung und eine ordentliche Modernisierungsankündigung. Mit der Immobilienfirma befindet er sich in einer Art Kriegszustand. »Die haben mich sogar mit Detektiven beobachten lassen«.

Ein Vorgang, den Andreas Stenschke, Projektleiter der Immobilienfirma, bestätigt: »Wir haben eine Detektei beauftragt, nachdem mehrere Abmahnungen nichts gefruchtet haben.« Die Detektive hätten Schmidt beim nächtlichen Anbringen von Plakaten im Treppenhaus beobachtet. Für Stenschke ein Fall von Sachbeschädigung. »Da hingen vollflächig Plakate, da muss man sich nicht wundern, wenn man eine Kündigung an die Backe kriegt.«

Normalerweise greife man zwar nicht zu solchen Methoden, »einen Blockdienst einzurichten wie in Stasizeiten«, doch die »Aggression der Mieter« rechtfertige das Vorgehen. Die Observation sei ein Einzelfall, sagt Stenschke. »Wir wollen nicht in allen Leerstandswohnungen Kameras einbauen, um zu überwachen.«

Die Vorwürfe der Mieter hält Stenschke für übertrieben. Die Abfindungen seien hoch und die Mieten nach der Sanierung gesetzlich geregelt. »Da wird niemand in die Armut getrieben«, so Stenschke. Bei rund 1 000 bereits sanierten Wohnungen habe man immer eine einvernehmliche Regelung gefunden.

Der Projektleiter ist zuversichtlich, dass das Haus bis zum Jahresende fertig ist. »Jeder muss wissen, was auf ihn zukommt, wenn er während der Sanierung in dem Haus wohnt«, sagt Stenschke vorsorglich, »da muss man sich nicht wundern, wenn Staub durch die Decke rieselt.« Mit dem renitenten Mieter Schmidt werde »bis zur letzten Instanz« gestritten und »irgendwann sanieren wir durch seine Wohnung durch«.