Wolgograds schwarze Löcher

Der Verein für das Deutschtum im Ausland hat 22 Millionen Mark verschoben, und keiner weiß, wohin

Eine stattliche Summe: Über 213 Millionen Mark hat der Verein für das Deutschtum im Ausland (VDA) seit 1990 vom Bundesinnenministerium (BMI) erhalten. Für die üppigen Zahlungen andie Deutschtümler dürfte vor allem einer gesorgt haben: Horst Waffenschmidt, ehemals parlamentarischer Staatssekretär im Hause Kanther, auch "Vater der Rußland-Deutschen" (Bild am Sonntag) genannt.

Von 1988 bis 1997 war er im BMI für die Zahlungen an Rußland-Deutsche zuständig. Zwischen 1989 bis 1993 saß er gleichzeitig im Verwaltungsrat des VDA. Eine günstige Position: Als Staatssekretär war er Geldgeber, als VDA-Verwaltungsrats-Mitglied Empfänger der Steuermillionen.

"Wegen dieser Doppelfunktion kam die Kontrolle der Ausgaben durch das Innenministerium zu kurz, fand oft gar nicht statt", kritisierte Annelie Buntenbach. Mitte Mai hatte die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete zum wiederholten Male darauf hingewiesen, daß der VDA im Verdacht stehe, "Steuermittel zweckentfremdet und veruntreut zu haben". Dem VDA ist es nicht möglich gewesen, den Verbleib von 22 Millionen Mark aus Bundesmitteln nachzuweisen, so daß er die Summe an das BMI hätte zurückzahlen müssen. Dort hatte man freundlicherweise erwogen, dem VDA die Schulden zu erlassen. Und das Auswärtige Amt überstellte dem Verein ergänzend im ersten Quartal dieses Jahres 903 000 Mark.

Im Mai hatten diese Geldtransfers keinerlei Aufsehen erregt. Jetzt allerdings entdeckte der Bund der Steuerzahler (BdS) die VDA-Finanzierung und stellte gegen den Deutschtumsverein und das BMI Strafanzeige. Denn bei dem Vorgang handele es sich, so BdS-Präsident Karl Heinz Däke, um einen "unglaublichen Fall von Steuergeldverschwendung". Der Bundesrepublik Deutschland sei ein erheblicher Schaden entstanden, weil "über Jahre gegen die Haushaltsgrundsätze der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit verstoßen" worden sei. Sprich: Wenn denn der VDA zu erklären in der Lage wäre, wozu er die 22 Millionen Mark genutzt habe, wäre alles in bester Ordnung. Grundsätzlich steht die fragwürdige Finanzierung des Gesamtkomplexes VDA für die Steuerzahlervertretung nicht zur Disposition.

Annelie Buntenbach hatte darauf hingewiesen, daß nach wie vor unklar sei, "ob der Deutschtumsverein die Gelder, die teilweise über VDA-eigene Firmen verschoben wurden, unterschlagen und in illegale Landkäufe in Kaliningrad investiert hat, um die deutsche Wiederbesiedlung des ehemaligen Ostpreußen zu fördern". Was der Verein mit den Millionen aus der Kasse des BMI macht, läßt sich in der Satzung nachlesen: Die "Förderung und Erhaltung des Deutschtums im Ausland". Dabei setzt er sich für "ungehinderten Gebrauch und Pflege der Muttersprache", die "Verwirklichung der Menschen- und Volksgruppenrechte" sowie "den Minderheitenschutz für die Auslandsdeutschen" ein. Historisch betrachtet, konnte der VDA in diesen Bereichen so manchen Erfolg verbuchen - Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ließ deshalb 1939 in einer geheimen Weisung gar festlegen: "Für Volkstumsarbeit jenseits der Grenzen ist ausschließlich der VDA zuständig."

Schon zehn Jahre früher beschrieb der Verein anläßlich einer Werbewoche für den VDA in der Zeitung Deutsche Welt, warum er sich besonders als NS-Vorfeldorganisation eignen würde: "Deutschtum in Ausland - Merkt auf! das klagt: Fetzen vom uralten, deutschen Land sind wir in ruchloser Feindeshand; Franzosen, Belgier, Dänen, Polacken, Italiener, Rumänen und Tschechoslowaken erpressen das redlich erworbene Gut, mästen sich frech an deutschem Blut. Entdeutschung unsre Kinder bedroht: Deutsche Jugend in Not!"

Dieser zwar kryptisch formulierte, aber gleichsam exemplarische Appell aus der Geschichte des VDA, deren Komplexität von Hans-Rüdiger Minow und Walter von Goldendach in dem 1994 erschienenen Buch "'Deutschtum erwache!' Aus dem Innenleben des staatlichen Pangermanismus" herausgearbeitet wurde, hat sich ideologisch bis heute durchgesetzt. Im Jargon ist man mittlerweile natürlich zurückhaltender geworden. So ist in einem aktuellen VDA-Info-Blatt mit dem Titel "Wir bauen Brücken in alle Welt" zu lesen, daß der VDA "die Zukunft der 14 Millionen Deutschen sichern" wolle, in dem er die "Existenz der deutschen Volksgruppen, die Verbundenheit und Liebe zur alten Heimat sowie das aktive Mitwirken der deutschen Minderheiten in anderen Staaten stärkt".

Wenn sich dieser Pangermanismus mit der ökonomischen Potenz der Deutschen vermische, resümieren Goldendach und Minow, dann drohe Europa eine "Katastrophe, die noch umfassender, noch totaler sein würde als sämtliche ihrer Vorläufer". Schenkt man jedoch der Bild Glauben, dann haben die Deutschtümler zunächst Probleme in den Niederungen der Mittelverteilung. Als "Winterhilfe" habe der Verein, so moniert das Blatt und klagt die Verschwendung deutscher Steuergelder an, nach "Wolgograd unter anderem zwei Millionen Kondome, 1 500 Boxershorts, 200 000 Unterhemden und 6 300 Brillen geliefert".