Opfer einer Hexenjagd

Nach zwei Verurteilungen kämpft Berlusconi gegen Justiz und "Regime"

Für den Cavaliere wird es eng. Innerhalb einer Woche ist der Medientycoon und ehemalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi zweimal strafrechtlich verurteilt worden: Weil die Richter davon ausgingen, daß Berlusconi über die Bestechung von Finanzbeamten durch Angestellte seines Fininvest-Konzerns Bescheid wußte, wurden 33 Monate Haft auf seinem Konto gutgeschrieben, und im All-Iberian-Verfahren kamen weitere 28 Monate sowie eine Geldstrafe von zehn Milliarden Lire (rund zehn Millionen Mark) dazu.

All Iberian war von Berlusconis Cousin Giancarlo Foscale auf der Kanalinsel Jersey gegründet worden und gehörte zum Offshore-Imperium der Fininvest; über diese Firma war nach Überzeugung der Mailänder Richter 1991 eine 20 Milliarden Lire-Schmiergeldzahlung an den Ex-Ministerpräsidenten Bettino Craxi und dessen sozialistische Yuppie-Partei PSI geflossen.

Craxi wurde im gleichen Verfahren zu vier Jahren Haft und 20 Milliarden Lire Geldstrafe verurteilt. Seine Reaktion aus der tunesischen Stadt Hammamet, wohin er sich vor den Ermittlungen der italienischen Justiz geflüchtet hat: Das Urteil habe von vorneherein festgestanden.

Diesem Verfahren kommt eine ganz eigene Qualität zu: Es betrifft das System der politischen Korruption der "ersten Republik", dem - so will es die offizielle Geschichtsschreibung - durch die Ermittlungen des Mailänder Richterpools Mani pulite ein Ende gesetzt wurde. Zugleich tangiert es den politischen Senkrechtstarter der sogenannten zweiten Republik, Silvio Berlusconi. In der "ersten Republik" war diesem der ökonomische Aufstieg gelungen: nicht zuletzt durch die politische Protektion Craxis und durch die Verbindungen zur P2-Loge, der Berlusconi 1978 beigetreten war. Auf politischer Ebene hatte er es 1994, als die christdemokratische und die sozialistische Partei unter einer Verfahrensflut zusammengebrochen waren, bis zum Ministerpräsidenten gebracht.

Kaum war das Urteil gegen Craxi und Berlusconi gefällt, inszenierte letzterer einen großen Auftritt im Römischen Presseclub. Dort erklärte er seine Version der Vorgänge vor 200 Journalisten aus aller Welt. Er sei Opfer einer politisch motivierten Hexenjagd, sein Prestige als Politiker sei aber immer noch intakt. Eine Minderheit in der Justiz würde nun versuchen, eine der größten Parteien Italiens - seine Forza Italia - zu eliminieren, um den Weg für ein totalitäres Regime nach kommunistischer Machart zu ebnen.

Der Richter, der in Spanien wegen des Verdachts von Steuerhinterziehung gegen des Medientycoons Firma ermittelt, sei "vom gleichen Virus befallen wie die Mailänder Richter". Im übrigen habe er, Berlusconi, Verleumdungsklage gegen einen führenden italienischen Journalisten eingeleitet, der geschrieben hatte, gegen Berlusconi werde wegen angeblicher Geldwäsche für die Mafia ermittelt.

Der Verdacht von Mafiakontakten hat sich zumindest bei Marcello Dell'Utri, die Nummer drei von Fininvest und Berlusconis rechte Hand, erhärtet. Denn tags zuvor hatten italienische Zeitungen berichtet, in Palermo habe diesen ein sizilianischer Geschäftsmann namens Filippo Alberto Rapisarda beschuldigt, Ende 1993 sieben Milliarden Lire von der Cosa Nostra für die Wahlkampagne von Forza Italia 1994 angenommen zu haben.

Schon nach dem ersten Prozeß hatten die italienische Rechte und Teile der Mitte sich auf Berlusconis Seite positioniert. Berlusconis Koalitionspartner aus dem Jahr 1994, Gianfranco Fini von der Alleanza nazionale, der auf demokratisch getrimmten Nachfolgeorganisation des neofaschistischen MSI, kommentierte das Urteil mit besonderer Sachkunde: Es handele sich um ein politisches Urteil, das eines "Sondergerichts" würdig sei.

Ex-Staatspräsident Francesco Cossiga, der das Projekt einer Neuformierung der politischen Mitte verfolgt, bemängelte, das Gericht habe Italien "Schaden" zugefügt - und nicht etwa die Praktiken, die zu den Verurteilungen führten. Rocco Buttiglione von der zentristischen Partei Union der Demokraten für die Republik meinte: "Wenige Italiener werden glauben, daß hinter dieser Verurteilung keine politische Motivation steht." Und Pierferdinando Casini, Mitglied der christdemokratischen Zentrumspartei, erklärte, die Verurteilung würde das Vertrauen in Berlusconi als Chef des Oppositionsbündnisses "Pol der Freiheiten" keineswegs schmälern.

Schärfere Töne noch fand Berlusconi selbst: Es habe sich um den Prozeß eines Regimes gehandelt, und da man sich nicht mehr in einer Demokratie befinde, werde sich die Opposition auch wie in einem Regime benehmen.

Nunmehr strebt die oppositionelle Rechte eine parlamentarische Untersuchungskommission an, die die Arbeit der Mailänder Mani pulite-Richter überprüfen soll - ein Ausschuß, von dem, wie es die NZZ formulierte, Berlusconi "natürlich in erster Linie selbst profitieren will".

Ministerpräsident Prodi lehnte Ende vergangener Woche in seiner Regierungserklärung vor dem Senat die Einrichtung einer solchen Kommission unumwunden ab. Das Mitte-Links-Regierungsbündnis Ulivo jedoch schwankt in dieser Frage. Rifondazione comunista hat der Regierung in einigen außenpolitischen Fragen die Zustimmung verweigert, die parlamentarische Mehrheit kam dann jeweils mit oppositionellen Stimmen zustande - ein Grund für Nachgiebigkeit im Regierungslager gegenüber Berlusconi. Prodi hat jedenfalls für Abstimmungen am Dienstag und Mittwoch die Vertrauensfrage gestellt, der Ausgang dieses Manövers ist unklar.

Erstaunlich ist, wie offen die Musterdemokraten um Oppositionsleader Berlusconi die Rechtsstaatlichkeit in Frage stellen. Zweifellos sind die Institutionen des bürgerlichen Staates nicht mehr im klassischen Sinne der Gewaltenteilung austariert. Eine doppelte Bewegung eigenartiger Verrechtlichung der Politik und seltsamer Politisierung der Justiz findet sich überall - offensichtlich wird dies beispielsweise auch bei den Machtspielen um die Verfahren gegen sozialistische Politiker wegen der Todesschwadron GAL in Spanien. Im speziellen Fall Italiens läßt sich dies in einer fortgeschrittenen Form beobachten: Als permanenter Konflikt zwischen politischer und justizieller Macht, immer - wie die linke italienische Zeitung Il Manifesto schrieb - an der Grenze zwischen "Ausnahmezustand und perverser Normalität".